Sonntag, 3. Juni 2012

"Ein entlarvender Besuch in Syrien"

"FRAGE: Hashim al-Malki war einer von fünf Schweden, die Anfang Mai mit Journalisten-Visum Syrien besuchte. Kannst du erzählen?
 ANTWORT: Die Medienberichterstattung ist einseitig und übertrieben und beruht auf Quellen, die der Opposition angehören. Die Journalisten versuchen nicht einmal, Angaben darüber zu erhalten, wer an den Morden schuldig ist oder Bestätigungen von Terrorangriffen zu bekommen. Wir trafen viele, die von dem Terror der bewaffneten Gruppen erzählten. Im Westen wird die Schuld der Regierung zugeschoben. Ich meine, dass es gefährlich ist, wenn man im Westen nicht über den Terrorismus spricht und ihn nicht verurteilt.
F:  Es wird oft behauptet, dass Syrien sich weigert, Journalisten frei arbeiten zu lassen. Habt ihr nur gesehen, was die Regierung wollte, dass ihr seht?
A: Wir trafen, wen wir wollten und mehrere Treffen wurden durch private Kontakte arrangiert. Z. B. hatten wir ein Treffen mit einer der kritischsten Oppositionsalliansen, die sich weigert, einen Dialog mit der Regierung zu führen und zum Boykott der Wahl aufrief.
[Hashim al-Malki gibt zu, dass sie etwas beunruhigt waren, als sie sich zum Hauptquartier des NCC begaben.]
Wir waren halt auch vom Medienbild beeinflusst, das sagt, dass das Regime alles streng kontrolliert und gegen die Opposition hart vorgeht. Wir glaubten, dass deren Büro versteckt in einer Gasse liegen würde. Das stimmte nicht. Es liegt offen im Herzen von Damaskus und es gab jede Menge Leute, die kamen und gingen.

[Die Schweden konnten Abd al-Aziz al-Khayir von der NCC-Führung treffen. Er nannte das Regime dktatorisch, beschuldigte es der Gewalt gegen das Volk und verlangte eine Übergangs-Regierung in der Zeit, in der eine neue Verfassung geschrieben wird.]

 Er brachte seine Ansichten ganz offen vor, wie es die Oppositionsallianz auch gegenüber anderen Journalisten getan hatte. Und niemand steckt sie deswegen ins Gefängnis. Die haben volle Bewegungsfreiheit.
Im Dezember vorigen Jahres konnten die NCC-Führer ins Ausland reisen zu Verhandlungen mit der bekanntesten Oppositionsallianz, dem Syrischen Nationalrat (SNC). Aber das Gespräch über eine geeinte Front scheiterte.
Unabhängig davon, was man von der NCC hält, so verteidigen diese Partei   Syriens Selbständigkeit. Sie ist gegen die bewaffneten Gruppen und die ausländische Einmischung. NCC fühlt sich auch bedroht von den religiösen Fanatikern und Terroristen, die jetzt losgelassen wurden. Der Syrische Nationalrat (SNC), der vom Westen, der Türkei und den Golfstaaten unterstützt wird, hat andere Ziele. Die wollen einen ausländischen Militär-Eingriff.
[Eine Person, die großen Eindruck auf die Schweden machte, war Munir al-Hamish, Professor der Ökonomie und Leiter im Komité für den nationalen Dialog. Er verurteilte die bewaffneten Gruppen und die Golfstaaten, die die Waffen liefern. Aber er betonte, dass Syriens Regierung große Schuld am Konflikt trägt durch seine neoliberalen Reformen.]

 In den 80-er und 90-er Jahren war die Weltbank ein Schimpfwort in Syrien. Aber um das Jahr 2000 begann man, Delegationen der Weltbank zu empfangen und unterwarf sich deren Empfehlungen, wie Munir al-Hamish ausführte.
Der Beschluss, die Subventionen für im Inland produzierte Waren zu streichen und zur gleichen Zeit die Grenzen zu öffnen, hatte dramatische Folgen. Billige Waren aus der EU und der Türkei strömten herein und die syrischen Produkte waren nicht mehr konkurrenzkräftig. Fabriken mussten schließen und Arbeiter verloren ihren Job. Handwerker und Kleinproduzenten konnten sich nicht mehr über Wasser halten.
Viele verließen die ländlichen Gebiete und leben in den Slums am Rande der Großstädte. Die Arbeitslosigkeit stieg stark. Und durch die Sanktionen ist alles noch schlimmer geworden. Munir al-Hamish meinte, dass es unter den Armen in den Vororten und auf dem Land eine Unterlage für religiösen Extremismus, Sektierertum und andere reaktionäre Ideen gibt.
FRAGE: Was ist Munir al-Hamish' Alternative zum Neoliberalismus?
ANTWORT: Eine Planwirtschaft, in der vom Staat eine gerechte Verteilungspolitik geführt wird, und in der der Staat wieder die Verantwortung für Ausbildung und Arbeit übernimmt. Ich will hinzufügen, dass Munir al-Hamish ein glühender Anhänger von Gunnar Myrdal ist, dessen Theorien und Forschung eine große Rolle für sozialistische Ökonomen in der arabischen Welt spielten.
[Trotz der Verstärkung der Gewalt meint Hashim al-Malki, dass es positive Anzeichen gibt. Wie etwa die größere Offenheit und die lebhaften Debatten vor der Wahl am 7.Mai.]
In den staatlichen und nichtstaatlichen Medien sahen wir Debatten zwischen Parteien, die zur Nationalen Progressiven Front und oppositionellen Parteien gehören. Selbst innerhalb der Front gibt es große Meinungsverschiedenheiten in sozialen und politischen Fragen.
FRAGE: Dein Bild stimmt überhaupt nicht überein mit dem Bild, das im Westen von der Wahl gemalt wurde. Wir haben nur von „Bluff-Wahlen“ und einem „bösen Scherz“ gehört.
ANTORT: Ich meine, es hat Fortschritte im demokratischen Prozess gegeben. Noch ein Beispiel: Khalid al-Abbud ist Vize-Sprecher des Parlamentes und vertritt die Sozialistische Union. Das ist eine kleine Partei, die „Nasseristen“ sind, nach Ägyptens sozialistischem Präsident Gamal Abdel Nasser, dem Führer des Panarabismus. Khalid al-Abbud stand auf dem 12. Platz der Liste der Nationalen Progressiven Front in Damaskus. Aber er erhielt mehr Stimmen als die elf, die vor ihm standen. Das zeigt, dass die Syrier eine bewusste Wahl trafen, als sie abstimmten.

Quelle: http://einarschlereth.blogspot.de/2012/06/ein-entlarvender-besuch-in-syrien.html

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