"Zwischen dem Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf und Damaskus
liegen 3700 Kilometer Luftlinie. Doch wenn eines Tages ein neues
Syrien aus den Trümmern der Assad-Diktatur entsteht, könnten
wesentliche Impulse aus dem alten preußischen Amtsgebäude mit der
Hausnummer 3–4 stammen, in dem ein der Bundesregierung naher deutscher
Thinktank residiert.
Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP) hat sich seit Januar eine Gruppe von bis zu 50 syrischen
Oppositionellen aller Couleur geheim getroffen, um Pläne für die Zeit
nach Assad zu schmieden. Das geheime Projekt mit dem Namen »Day After«
wird von der SWP in Partnerschaft mit dem United States Institute of
Peace (USIP) organisiert, wie die ZEIT von
Beteiligten erfuhr. Das deutsche Außenministerium und das State
Department helfen mit Geld, Visa und Logistik. Direkte
Regierungsbeteiligung gibt es wohlweislich nicht, damit die Teilnehmer
nicht als Marionetten des Westens denunziert werden können.
Zwar nehmen auch Angehörige der Freien Syrischen Armee teil, die in Syrien die Kämpfe der Rebellen anführt, doch der Weg hin zum Sturz Assads
und die damit verbundene Debatte um Fluch und Segen militärischer
Interventionen wird in Berlin bewusst ausgeklammert. Die Frage bei den
Treffen lautet: Wie kann der Übergang zu einem demokratischen Syrien
organisiert werden? Das unweigerliche Ende des Regimes wird schlicht
vorausgesetzt, als eine Art Arbeitshypothese. Darin zeigt sich, dass die
Bundesregierung schon viel länger mit dem Sturz des syrischen Regimes
kalkuliert, als Berliner Diplomaten zugeben können. Und: Deutschland ist
sehr viel stärker in die Vorbereitungen der syrischen Opposition
einbezogen, als man bisher öffentlich erklärte.
Dies allerdings mit gutem Grund: Unter beträchtlichem Aufwand wurden
diskret Ex-Generäle, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertreter
aller Ethnien und Konfessionen -– Muslimbrüder eingeschlossen, aber auch
säkulare Nationalisten – aus der ganzen Welt nach Berlin eingeflogen.
Die Sache musste unter dem Radar der Öffentlichkeit gehalten werden, um
eine freie Debatte zu ermöglichen und Teilnehmer vor dem langen Arm des
syrischen Geheimdienstes zu schützen. Außerdem: Solange Deutschland noch
an Assad und seine Paten in Moskau und Peking appellierte, wäre es
kontraproduktiv gewesen, konkrete Planungen für ein freies Syrien
offenzulegen.
Nach der Eskalation der Kämpfe und dem Scheitern der Diplomatie durch
das Veto Russlands und Chinas aber ist ein »Wendepunkt« (Westerwelle)
erreicht; Deutschland stellt sich offener hinter die Opposition.
Der Syrienkenner Volker Perthes, Direktor der SWP, betont, die
beteiligten Regimegegner hätten »sich selbst rekrutiert, denn es ist
nicht unsere Aufgabe, hier eine neue syrische Regierung auszuwählen«.
Ziel des Projekts sei vielmehr, Prioritäten beim Umbau der
Assad-Diktatur in eine Demokratie zu identifizieren. »Vielleicht
wichtiger noch«, fügt Perthes hinzu: »Wir haben der Opposition die
Chance gegeben, unbeobachtet und ohne Druck eine Diskurscommunity zu
schaffen.« Im August soll ein Dokument veröffentlicht werden, das den
Konsens der Opposition darüber darstellt, wie die neue Verfassung
aussehen muss, wie Armee, Justiz und Sicherheitsapparate reformiert
werden können, wie die Konfessionen künftig friedlich zusammenleben
können und die Wirtschaft umgebaut werden muss.
Für Berlin als Tagungsort sprach von Beginn an, dass es kaum möglich
gewesen wäre, die Teilnehmer aus dem islamistischen Spektrum in die USA
zu bringen. Außerdem sind mit Perthes und der Projektleiterin Muriel
Asseburg langjährige Kenner Syriens vor Ort verfügbar. Deutschland hat
zudem wertvolle eigene Erfahrung mit der Überwindung von Diktaturen:
Perthes erzählt, ein Besuch bei der Stasi-Unterlagenbehörde habe bei den
Syrern heftige Debatten über den Umgang mit Geheimdienstakten und
belasteten Mitarbeitern ausgelöst. Eines der wichtigsten Themen ist die
Frage, welche Teile des Sicherheitsapparats und der Justiz man bewahren
sollte. Der Irak gilt im Nachbarland Syrien als abschreckendes Beispiel
dafür, wie die Totalabwicklung des alten Regimes ins Chaos führen kann.
Die Bundesregierung zieht mit der Förderung der syrischen Opposition
Konsequenzen aus der Fehlentscheidung, im Libyenkonflikt mit Russland
und China gegen eine Intervention gestimmt zu haben.
In diesem Zusammenhang sind auch die offiziellen Aktivitäten
Deutschlands im Rahmen der Freundesgruppe des syrischen Volkes zu sehen.
Darin sind 70 Staaten vertreten, die trotz der russisch-chinesischen
Blockade für den Wandel in Syrien eintreten. Deutschland hat in der
Freundesgruppe zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten die
Verantwortung für die Arbeitsgruppe Wirtschaftlicher Wiederaufbau und
Entwicklung übernommen. Die erste Sitzung fand Ende Mai in Abu Dhabi
statt, die zweite Ende Juni in Berlin. In Berlin wurde jüngst ein
Sekretariat eingerichtet, das die Sitzungen koordinieren und den Kontakt
zur syrischen Opposition halten soll, geleitet vom ehemaligen Chef des
afghanischen Büros der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Gunnar
Wälzholz. Das Auswärtige Amt finanziert das Sekretariat mit 600.000 Euro
für zunächst sechs Monate. Deutsche Diplomaten äußern sich erfreut,
dass der Syrische Nationalrat, der größte Zusammenschluss
oppositioneller Kräfte, sich beim Treffen der Arbeitsgruppe klar zu
Marktwirtschaft und Korruptionsbekämpfung bekannt hat.
Beide von Deutschland geförderten Aktivitäten, die klandestinen und
die öffentlichen, passen zusammen: Ob die Pläne der Oppositionellen für
ein demokratisches Syrien umgesetzt werden können, hängt wesentlich
davon ab, ob der wirtschaftliche Wiederaufbau allen Syrern Chancen
bietet.
Ob die Berliner Transformationskonzepte aber am Ende überhaupt zum
Zuge kommen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Hass bis zu Assads
erwartbarem Abgang zwischen den syrischen Oppositionsgruppen noch
freigesetzt wird. Alle Beteiligten, heißt es, sind sich dessen bewusst.
Dass Deutschland sich diesmal aufrichtig bemüht hat, dürften sie aber in
jedem Fall nicht vergessen."
Quelle: http://www.zeit.de/2012/31/Syrien-Bundesregierung
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