Sonntag, 8. Juli 2012

Interview von Jürgen Todenhöfer mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad

"Jürgen Todenhöfer: Herr Präsident, Angehörige der Opposition und westliche Politiker sind der Auffassung, dass Sie das größte Hindernis für den Frieden in Ihrem Land sind. Wären Sie bereit, als Präsident zurückzutreten, wenn ein solcher Schritt Ihrem Land Frieden bringen und das Blutvergießen beenden könnte?

Bashar al-Assad: Ein Präsident sollte vor nationalen Herausforderungen nicht davonlaufen und wir stehen hier im Augenblick vor einer nationalen Herausforderung in Syrien. Der Präsident kann sich einer solchen Situation nicht einfach entziehen. Auf der anderen Seite jedoch, kann man nur dann in einer solchen Funktion verbleiben, wenn man sich der Unterstützung durch die Öffentlichkeit sicher sein kann. Daher müsste die Antwort auf diese Frage eine Antwort seitens der Öffentlichkeit sein und durch das syrische Volk anlässlich von Wahlen und nicht durch den Präsidenten gegeben werden. Ich kann mich als Kandidat aufstellen, ich kann zur Wahl antreten oder auch nicht. Aber ob ich gehe oder nicht gehe, das soll das syrische Volk entscheiden.

Jürgen Todenhöfer: Glauben Sie, dass Sie nach wie vor eine Mehrheit in Ihrem Land hinter sich haben?

Bashar al-Assad: Wenn ich nicht die Unterstützung durch die Öffentlichkeit hätte, wie könnte ich dann in diesem Amt verbleiben? Die Vereinigten Staaten sind gegen mich, der Westen ist gegen mich, zahlreiche regionale Mächte und Länder sind gegen mich, wenn dann auch noch das Volk gegen mich wäre, wie könnte ich mich dann in meiner Stellung halten? Also lautet die Antwort: Ja. Natürlich genieße ich nach wie vor die Unterstützung durch die Öffentlichkeit – wie groß diese ist, wie viel Prozent, darüber habe ich im Moment keine Zahlen. Das ist eine andere Frage. Aber, um in dieser Stellung zu bleiben, in einer solchen Situation, dazu braucht man die öffentliche Unterstützung.

Jürgen Todenhöfer: Ich bin zu einigen dieser Demonstrationen gegangen - auch in Homs. Das waren friedliche Demonstrationen. Ist es nicht legitim, dass die Menschen mehr Freiheit und Demokratie fordern und weniger Macht in den Händen nur einer Familie, in den Händen der Geheimdienste?

Bashar al-Assad: Können wir zuerst Ihre Frage korrigieren, damit wir eine korrekte Antwort geben können? Es gibt hier keine Macht in den Händen einer Familie. Es gibt in Syrien den Staat und es gibt die Institutionen – vielleicht nicht die idealen Institutionen. Aber hier regiert nicht eine Familie das Land. Wir sind ein Staat. Das dazu. Und nun können wir Ihre Frage beantworten. Natürlich haben sie das Recht, sie haben das legitime Recht, ob sie nun als Demonstranten auftreten oder nicht. Nicht nur die Demonstranten verlangen ja nach Freiheit. Tatsächlich verlangt die Mehrheit des Volkes nach Reformen, nach politischen Reformen – und nicht nach Freiheit. Freiheit haben wir. Nicht die ideale Freiheit. Nein, sie verlangen nach Reformen. Sie wollen in stärkerem Maße Beteiligung an der Macht und an der Regierung ihrem Land. Und das ist legitim. Aber die Mehrheit beteiligt sich nicht an den Demonstrationen. Da gibt es die, die demonstrieren und die anderen. Aber legitim ist das.

Jürgen Todenhöfer: Eine Frage, die jedermann im Westen und auch in Ihrem Lande stellt: Wer hat diese Tausenden Zivilisten umgebracht, die in dem Konflikt ums Leben gekommen sind? Die Opposition beschuldigt Sie.

Bashar al-Assad: Wenn man fragt, wer jemanden umgebracht hat, gilt es zunächst zu klären, wer denn umgebracht wurde. Man kann nicht über die Verbrecher reden, solange man die Opfer nicht kennt. Die Opfer, die Sie ansprechen, gehören in ihrer Mehrheit zu den Unterstützern der Regierung. Wie kann man gleichzeitig Verbrecher und Opfer sein? Die Mehrheit von Ihnen sind Menschen, die die Regierung unterstützen und ein großer Teil der übrigen sind völlig unschuldige Menschen, die durch unterschiedliche Gruppen in Syrien getötet wurden.

Jürgen Todenhöfer: Würden Sie einräumen, dass zumindest ein gewisser Prozentanteil dieser unschuldigen Zivilisten durch Ihre Sicherheitskräfte getötet wurde?

Bashar al-Assad: Nein, eine Zahl haben wir nicht. Es gibt eine Untersuchungskommission, die alle Verbrechen untersucht, die sich in Syrien ereignet haben. Den Listen, den Namen, die uns vorliegen, zufolge, wurde der (weitaus) größte Anteil von Banden getötet. Es handelt sich dabei um ganz verschiedene Banden. Ob nun Al Kaida oder Extremisten oder Gesetzlose, die sich schon vor Jahren dem Zugriff der Polizei entzogen haben.

Jürgen Todenhöfer: Also sagen Sie, dass die Rebellen, die Sie als Terroristen bezeichnen, mehr Zivilisten umgebracht haben als die Sicherheitskräfte?

Bashar al-Assad: Eigentlich nicht. Sie haben mehr Sicherheitsleute und Soldaten vielleicht umgebracht, als Zivilisten. Ich spreche hier über die Regierungsanhänger.

Jürgen Todenhöfer: Aber wenn wir nur über die Zivilisten sprechen?
Haben die Rebellen mehr Zivilisten umgebracht als die Sicherheitskräfte? Oder haben die Sicherheitskräfte mehr Zivilisten umgebracht?

Bashar al-Assad: Ja, das meine ich ja gerade. Wenn wir über die Regierungsanhänger reden, dann sind die Opfer aus Sicherheitsdiensten und Armee zahlreicher als die Zivilisten.

Jürgen Todenhöfer: Sie sagten, es laufen Untersuchungen gegen diejenigen Angehörigen der Sicherheitsdienste, die unschuldige Zivilisten getötet haben könnten. Sind einige von ihnen bestraft worden?

Bashar al-Assad: Ja, natürlich. Sie wurden inhaftiert und werden nun vor Gericht gestellt. Wie jeder andere Verbrecher.

Jürgen Todenhöfer: Wer hat das Massaker von Hula begangen, bei dem mehr als einhundert Menschen brutal ermordet wurden, darunter zahlreiche Kinder?

Bashar al-Assad: Verbrecherbanden kamen zu Hunderten von außen, nicht aus der Stadt und griffen die Stadt und Polizisten an. Sie haben die Stadt und die dort stationierte Polizei- und Sicherheitseinheit angegriffen. Und dann brachten sie viele Familien und dabei auch, wie Sie erwähnen, Kinder und Frauen um. Und diese ermordeten Familien zählten tatsächlich nicht zur Opposition sondern zu den Regierungsanhängern.

Jürgen Todenhöfer: Jemand, der in Hula lebt, und der Angehörige seiner Familie verloren hat, sagte mir, die Mörder hätten Armeeuniformen getragen. Warum trugen sie Armeeuniformen?

Bashar al-Assad: Einfach, um unsere Regierung zu beschuldigen. Das ist schon oft so gelaufen. Sie begehen ein Verbrechen, nur um unsere Regierung zu beschuldigen. Sie begehen ein Verbrechen, sie veröffentlichen Videos, gefälschte Videos, sie tragen die Uniformen unserer Soldaten um sagen zu können, es war die Armee – sie hat die Menschen umgebracht in Syrien.

Jürgen Todenhöfer: Sie sagen, das sei eine der Strategien der Rebellen?

Bashar al-Assad: Ja, von Anfang an. Das machen sie dauernd so. Und zwar nicht nur in Hula, sondern an vielen Orten.

Jürgen Todenhöfer: Wer sind diese Rebellen, die Sie als Terroristen bezeichnen?

Bashar al-Assad: Das ist eine bunte Mischung aus Leuten von Al Kaida und anderen Extremisten, nicht unbedingt von Al Kaida, sowie Gesetzlosen, die sich dem Zugriff der Polizei entziehen und vorwiegend Drogen von Europa in die Golfregion schmuggeln. Und viele andere, die wegen der verschiedensten Verbrechen verurteilt wurden. Also ein buntes Durcheinander.

Jürgen Todenhöfer: Wie viele Rebellen bekämpfen Ihre Regierung?

Bashar al-Assad: Zahlen gibt es nicht, aber Sie können ruhig von Tausenden reden.

Jürgen Todenhöfer: Zwanzig, dreißig?

Bashar al-Assad: Kann ich Ihnen nicht sagen. Ich werde Ihnen keine Zahl nennen, wenn ich das nicht mit Genauigkeit tun kann.

Jürgen Todenhöfer: Würden Sie sagen, dass alle diese Rebellen Terroristen sind?

Bashar al-Assad: Es kommt darauf an, was sie tun. Wenn sie Menschen attackieren, wenn sie niederbrennen und zerstören, dann ist das nach dem Gesetz Terrorismus. Aber es sind auch Personen dabei ohne Verbrecher zu sein. Aus den verschiedensten Gründen. Zum Beispiel aus finanziellem Interesse. Manche bekommen Geld, andere werden bedroht. Andere machen sich irgendwelche Illusionen oder haben solche verloren. Also, sie sind nicht alle Terroristen. Deswegen haben wir viele von ihnen auf freien Fuß gelassen, nachdem sie ihre Waffen niedergelegt hatten.

Jürgen Todenhöfer: Konnten Sie einige der Al Kaida–Kämpfer festnehmen, die Sie vorhin erwähnt haben?

Bashar al-Assad: Ja, wir haben viele von ihnen verhaftet – Dutzende.

Jürgen Todenhöfer: Und aus welchen Ländern stammen die?

Bashar al-Assad: Ich meine Tunesier und Libyer.

Jürgen Todenhöfer: Kann ich mit einem von ihnen sprechen?

Bashar al-Assad: Ja, das können Sie.

Jürgen Todenhöfer: Mit einem Dolmetscher, allein?

Bashar al-Assad: Natürlich.

Jürgen Todenhöfer: Welche Rolle spielen in diesem Konflikt die Vereinigten Staaten?

Bashar al-Assad: Sie sind Teil dieses Konflikts. Sie spannen einen Schirm auf und bieten diesen Banden politischen Schutz um Syrien zu destabilisieren.

Jürgen Todenhöfer: Sie sagen, die Vereinigten Staaten unterstützen die Rebellen politisch - ist das korrekt?

Bashar al-Assad: Ja, ganz genau.

Jürgen Todenhöfer: Und Sie sagen, diese Rebellen, die Sie Terroristen nennen, bringen Zivilisten um? Das heißt, Sie machen die US-Regierung, zumindest teilweise, verantwortlich für die Ermordung von unschuldigen syrischen Zivilisten. Ist das richtig?

Bashar al-Assad: Natürlich. Ja, genau. Solange sie in irgendeiner Weise Terroristen Unterstützung gewähren, werden Sie zu deren Partner. Mit Waffen, Geld oder öffentliche und politische Unterstützung in der UNO - oder wo auch immer – ist das die Implikation.

Jürgen Todenhöfer: Es ist Ihnen bekannt, dass Politiker im Westen das anders sehen und dass sie über eine Militärintervention in Syrien diskutieren? Wie würden sie darauf reagieren? Vergeltung üben gegen Staaten des Westens?

Bashar al-Assad: Es geht da nicht um Vergeltung sondern um die Verteidigung unseres Landes. Unsere Priorität ist es, unser Land zu verteidigen und nicht Vergeltung zu üben gegenüber irgendjemandem. Dies ist unsere Pflicht und daher auch unser Ziel.

Jürgen Todenhöfer: Und sind sie vorbereitet auf solch einen Angriff?

Bashar al-Assad: Ob man vorbereitet ist oder nicht. Man hat sein Land zu verteidigen und muss also vorbereitet sein.

Jürgen Todenhöfer: Wenn die Vereinigten Staaten für Sie ein Teil des Problems sind, warum verhandeln Sie dann nicht mit Ihnen? Warum laden Sie Hillary Clinton nicht nach Damaskus ein? Warum machen Sie nicht den ersten Schritt?

Bashar al-Assad: Wir haben nie irgendeinem Land oder irgendeinem Vertreter eines Landes die Tür versperrt, solange sie zur Lösung eines Problems beitragen wollen. Vorausgesetzt, sie sind ernsthaft und aufrichtig. Aber sie haben die Tür zugeschlagen. Wir haben damit kein Problem. Ich habe immer wieder, auch öffentlich, bekannt gegeben, dass wir bereit sind für jede Art von Hilfe und Dialog.

Jürgen Todenhöfer: Wären Sie bereit zu einem Dialog mit Hillary Clinton? Wären Sie bereit, mit ihr durch die Straße von Damaskus zu gehen? Ihr die Krankenhäuser zu zeigen – die ganze Situation in der Stadt?

Bashar al-Assad: Wie gesagt, versperren wir die Tür niemandem und dazu gehören auch die Amerikaner und alle anderen. Es geht da nicht speziell um Hillary Clinton oder einen anderen Regierungsvertreter, wir haben damit kein Problem. So etwas haben wir immer wieder getan - wie Sie sagen - mit anderen durch die Straße zu laufen - und würden das auch wieder tun. Gar kein Problem.

Jürgen Todenhöfer: Kommen wir zur Lage im Inneren. Sind Verhandlungen mit den verschiedenen Oppositionsgruppen nach wie vor eine realistische Option oder gehen Sie davon aus, dass Sie diesen Konflikt bis zum bitteren Ende durchfechten müssen?

Bashar al-Assad: Der Dialog ist eine strategische Option, was immer Sie sonst auch tun. Welche anderen Optionen Sie auch sonst noch haben mögen. Den Dialog brauchen Sie und sei es nur, um sicherzustellen, dass Sie auch friedlich etwas erreichen können. Aber solange Sie es mit Terrorismus zu tun haben, und solange der Dialog nicht funktioniert, müssen Sie den Terror bekämpfen. Sie können nicht nur einfach auf Dialog setzen solange sie Ihr Volk und Ihre Soldaten umbringen.

Jürgen Todenhöfer: Aber Sie könnten ja den Dialog mit denen führen, die nicht Terroristen sind.

Bashar al-Assad: Wir hatten im letzten Sommer einen Dialog und wir hatten sie auch ständig weiter dazu eingeladen. Einige von ihnen haben „ja“ gesagt, den Dialog akzeptiert und sich an den Parlamentswahlen beteiligt. Sie bekamen auch Sitze im Parlament und Ministerien in der neuesten Regierung von letzter Woche.

Jürgen Todenhöfer: Aber bei den letzten Wahlen sind sie nur auf 2% gekommen.

Bashar al-Assad: Ja, aber daran sind nicht wir Schuld. Wir haben denen ja nicht so und so viel Prozent anzubieten. Wir bilden ja nicht die Regierung.

Jürgen Todenhöfer: Wären Sie auch bereit, mit der Opposition im Exil zu reden?

Bashar al-Assad: Ja. Und das haben wir auch gesagt. Wir sind bereit, mit allen zu reden.

Jürgen Todenhöfer: Wären Sie auch bereit, mit Rebellen zu reden und zu verhandeln, wenn diese ihre Waffen niederlegen?

Bashar al-Assad: Eindeutig: Ja. Wir haben das auch schon getan und haben ihnen eine Amnestie gewährt. Einige von ihnen leben inzwischen ein ganz normales Leben – ohne alle Probleme.

Jürgen Todenhöfer: Sie sind also bereit, mit jedem zu reden, der seine Waffen niederlegt?

Bashar al-Assad: Natürlich. Und wir haben auch schon vorher mit ihnen gesprochen, um zu den genannten Ergebnissen zu kommen.

Jürgen Todenhöfer: Wie steht es mit dem Kofi-Annan-Plan, ist er gescheitert?

Bashar al-Assad: Nein, der sollte auch nicht scheitern. Kofi Annan macht bisher eine schwierige, aber sehr gute Arbeit. Wir wissen, dass er auf zahllose Hindernisse stößt, aber sein Plan sollte nicht scheitern. Es ist ein sehr guter Plan.

Jürgen Todenhöfer: Nennen Sie mir das größte Hindernis.

Bashar al-Assad: Das größte Hindernis ist, dass viele Länder den Erfolg dieses Plans gar nicht wollen, also bieten sie politische Unterstützung an und versorgen die Terroristen in Syrien weiterhin mit Waffen und mit Geld. So versuchen sie, den Plan zum Scheitern zu bringen.

Jürgen Todenhöfer: Wer schickt Waffen nach Syrien? Welches Land unterstützt die Rebellen am meisten?

Bashar al-Assad: Wenn man keine konkreten Beweise hat, dann muss man nach Anzeichen gehen. Das sind ja Länder, die offiziell ankündigen, sie wollten diese Terroristen unterstützen. In erster Linie der Außenminister Saudi Arabiens und sein Amtskollege in Katar. Sie haben ihre Unterstützung ganz offen bekannt gegeben. Wohlgemerkt, was die Bewaffnung betrifft. Die Türkei hat, meine ich, logistische Hilfe beim Schmuggeln angeboten.

Jürgen Todenhöfer: Und die Vereinigten Staaten?

Bashar al-Assad: Die Vereinigten Staaten bieten im Wesentlichen, soweit wir wissen, politische Unterstützung.

Jürgen Todenhöfer: Auch Kommunikationsmittel?

Bashar al-Assad: Uns liegen gewisse Informationen darüber vor. Ich habe es nicht erwähnt, weil wir keine konkreten Beweise haben, die wir Ihnen vorlegen könnten.

Jürgen Todenhöfer: Und wie sieht es mit dem Kofi-Annan-Plan einer Einheitsregierung mit den verschiedenen Oppositionsgruppen, unter Einschluss von Mitgliedern der Bath-Partei, aus?

Bashar al-Assad: Da sprechen Sie jetzt von der Genfer Konferenz.

Jürgen Todenhöfer: Ja, von seinem Plan einer Einheitsregierung.

Bashar al-Assad: Wir haben in Syrien darüber gesprochen. Wir haben jetzt ja eine Einheitsregierung – auch mit der Opposition. Auch mit dem Teil der Opposition, der sich an den Wahlen beteiligt hat. Die sind ja auch in der Regierung. Aber man braucht natürlich Kriterien, wie definiert sich Opposition. Da gibt es Zehntausende, Hunderttausende oder Millionen. Können die alle mitmachen? Für diese Art von Demokratie der Regierung brauchen Sie Mechanismen neben den Kriterien. Für mich, zum Beispiel, die Wahlen. Wenn sie Menschen vertreten, dann kandidieren sie, gewinnen Sitze und können dann auch in die Regierung. Wenn sie aber, ohne Sitze, nur Opposition machen, wen vertreten sie dann? Vielleicht nur sich selbst.

Jürgen Todenhöfer: Wann sind denn die nächsten Wahlen?

Bashar al-Assad: Welche Wahlen meinen Sie? Die zum Parlament?

Jürgen Todenhöfer: Nein, die nächsten Präsidentschaftswahlen.

Bashar al-Assad: Nein, nein, ich meine die Parlamentswahlen. Die waren ja erst vor zwei Monaten.

Jürgen Todenhöfer: Aber die Exilopposition, zum Beispiel, war ja gar nicht dabei. Würden Sie eine Beteiligung der Exilopposition an einer Interimsregierung akzeptieren? Nennen wir die Übergangsregierung einmal so.

Bashar al-Assad: Wenn die unsere Regeln und Gesetze einhalten können und sich nicht an kriminellen Aktivitäten beteiligen und nicht die NATO und andere Länder auffordern, Syrien anzugreifen, was ja gegen unsere Gesetze verstößt, dann haben sie das Recht, mitzumachen. Kein Problem für uns. Ein großer Teil der Opposition in Syrien war ja auch dabei. Warum sollten wir die Opposition außerhalb des Landes fernhalten. Dafür hätten wir als Regierung gar keinen Grund.

Jürgen Todenhöfer: Ein Mann wie Ghalioun oder den neuen Präsidenten des Nationalrats, würden sie die akzeptieren?

Bashar al-Assad: Es geht da nicht um Namen oder Positionen sondern um Grundsätzliches. Da müssen wir uns jeden Einzelfall ansehen. Hat jemand gegen geltendes Recht verstoßen, sodass er nicht kandidieren könnte? Das muss für jeden gelten. Das ist keine Frage der Mittel.

Jürgen Todenhöfer: Herr Präsident, wenn Sie daran denken, was aus den Führern Ägyptens und Libyens geworden ist, wenn Sie sich der Bilder erinnern, die wir alle im Fernsehen gesehen haben – haben Sie dann nicht Angst um Ihre Familie, um Ihre Frau und Ihre kleinen Kinder?

Bashar al-Assad: Sie sprechen von zwei ganz verschiedenen Szenarien. Wenn Sie an Al Gaddafi denken: Das war ja reine Brutalität, das war kriminell. Was immer er verbrochen haben mag, wer immer er war, niemand auf der Welt kann das hinnehmen, jemanden so umzubringen. Bei Mubarak war das ganz anders. Das war ein Prozess. Jeder Bürger, der im Fernsehen einen Prozess sieht, versetzt sich an seine Stelle und denkt „da möchte ich nicht stehen“, also soll er sich entsprechend verhalten. Aber wenn Sie Angst ansprechen, dann muss ja der Vergleich stattfinden und wir sind in einer völlig anderen Situation. In Ägypten ist es ganz anders gelaufen als in Syrien, in einem anderen geschichtlichen Zusammenhang. Ebenso das gesellschaftliche Gefüge. Und wir haben immer eine andere Politik verfolgt. Da gibt es keine Gemeinsamkeiten und keinen Vergleich. Und man braucht auch keine Angst haben - höchstens Bedauern oder Mitleid empfinden.

Jürgen Todenhöfer: Sie haben eine harte Opposition gegen sich und entschlossene Rebellen. Sie wissen, was die vorhaben. Daher noch einmal meine Frage: Haben Sie Angst um Ihre Familie?

Bashar al-Assad: Das wichtigste überhaupt bei allem, was man tut: Man muss davon überzeugt sein. Da muss man nicht um sein Leben fürchten. Die Leute können ganz anderer Meinung sein als Sie, aber sie spüren, dass Sie im Interesse Ihres Landes handeln. Wer sich für sein Land einsetzt, muss keine Angst haben. Wenn Sie die Bevölkerung schützen, warum sollen Sie dann Angst haben. Gut, Sie sprechen von Tausenden von Opfern. Aber was wäre, wenn Sie Hunderttausende hätten? So könnte es ja in Syrien kommen.

Jürgen Todenhöfer: Wenn man alles zusammenfasst, welche Lösung haben Sie für den Konflikt in diesem Land? Und noch einmal meine Frage: Denken Sie, dass Sie das bis zum bitteren Ende durchkämpfen müssen?

Bashar al-Assad: Wir müssen eine Lösung auf zwei Achsen sehen: Dass Terroristen bekämpft werden müssen, steht völlig außer Frage – überall auf der Welt. Und was machen Sie, wenn jemand Zivilisten umbringt, Unschuldige, Kinder und auch Ihre Soldaten, die Polizei und alle? Da müssen Sie kämpfen, da ist keine Dialogbereitschaft. Und so ist es hier bisher. Dann die zweite Achse: Der Dialog mit den verschiedenen politischen Kräften und gleichzeitig der Reformprozess, der zur Einbindung aller führt. Und dann werden die Menschen an der Urne entscheiden, wer sie vertreten soll.

Jürgen Todenhöfer: Können diese Reformen denn nicht schneller kommen?

Bashar al-Assad: Das ist sehr subjektiv. Sie sagen langsam und ich vielleicht schnell. Am Ende muss gelten, dass man so schnell macht wie möglich, ohne einen zu hohen Preis dafür zu bezahlen oder große Nebenwirkungen zu riskieren. Also, so schnell wie möglich, und das hat nichts mit mir zu tun und auch nicht mit der Regierung. Das ergibt sich aus den objektiven Umständen in Syrien.

Jürgen Todenhöfer: Herr Präsident, unsere Zeit läuft ab. Wo würden Sie Ihr Land gerne in zwei Jahren sehen? Welche Vision haben Sie für Syrien?

Bashar al-Assad: Ich würde gerne zu jedem Zeitpunkt ein blühendes Land sehen. Damit meine ich eine bessere Wirtschaft, eine bessere Lage in jeder Hinsicht. Kulturell und in allen Belangen. All das geht nicht ohne Sicherheit. Ohne Sicherheit gibt es keinen Traum von einer besseren Zukunft. So sehe ich mein Land.

Jürgen Todenhöfer: Herr Präsident, ich bedanke mich für dieses Gespräch. Alles Gute für Ihr Land. Vor allem Frieden, Freiheit und Demokratie."

Quelle: http://www.daserste.de/weltspiegel/beitrag_dyn~uid,9hbnurpbql12if1k~cm.asp 

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