Es sind Sätze, die vor fünfzehn Monaten noch
als Bruch zwischen zwei befreundeten Staaten verstanden worden wären.
Von „Freiheit“, „Grundrechten“ und „Reformen“ spricht der iranische
Präsident Mahmoud Ahamdinejad in einem Interview mit der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) in Bezug auf die Situation in Syrien.
„Wahlen in einer friedlichen Atmosphäre“ fordert er (im Original
spricht Ahmadinejad sogar an anderer Stelle von explizit freien Wahlen
für Syrien). Doch in der öffentlichen Perzeption des Interviews
verpufften die Worte, als Unterstützung eines Diktators, der um sein
politisches wie physisches Überleben kämpft.
Ein politischer Wandel, so die westliche Lesart der Unruhen in Syrien, sei erst nach dem Sturz Assads möglich. Reformen, so bekräftigt auch die Exilopposition des syrischen Nationalrates stoisch, können nur ohne Bashar Al-Assad angegangen werden. Bekenntnisse zum friedlichen Wandel in Syrien gelten bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als Unterstützung eines menschenverachtenden Diktators. Doch der politische Wandel in Syrien hat längst begonnen. Politische Rahmenbedingungen, die seit der Machtübernahme von Hafez Al-Assad vor 42 Jahren als unumstößlich galten, sind 15 Monate nach Beginn der Unruhen überholt. Seit Beginn der Unruhen im März 2011 forcierten Syriens Mächtige ein Reformprogramm, welches weit mehr ist als ein bloßes Lippenbekenntnis.
Entgegenkommen statt Tränengas
Ein politischer Wandel, so die westliche Lesart der Unruhen in Syrien, sei erst nach dem Sturz Assads möglich. Reformen, so bekräftigt auch die Exilopposition des syrischen Nationalrates stoisch, können nur ohne Bashar Al-Assad angegangen werden. Bekenntnisse zum friedlichen Wandel in Syrien gelten bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als Unterstützung eines menschenverachtenden Diktators. Doch der politische Wandel in Syrien hat längst begonnen. Politische Rahmenbedingungen, die seit der Machtübernahme von Hafez Al-Assad vor 42 Jahren als unumstößlich galten, sind 15 Monate nach Beginn der Unruhen überholt. Seit Beginn der Unruhen im März 2011 forcierten Syriens Mächtige ein Reformprogramm, welches weit mehr ist als ein bloßes Lippenbekenntnis.
Entgegenkommen statt Tränengas
Schon vor Ausbruch der Unruhen im März 2011
überraschte Assad mit einer der erstaunlichsten Coups des „Arabischen
Frühlings“. Verzweifelt versuchten im Februar 2011 andere Despoten der
arabischen Welt den überwiegend jungen Demonstranten die Kommunikation
über das Internet zu erschweren. Hosni Mubarak schaltete gar das gesamte
Netz ab. Assad hingegen tat das Gegenteil: In Syrien wurde Facebook
freigegeben – ohne jede Ankündigung und nach fünfjähriger Sperre. Bis
heute genießen Syrer einen weithin uneingeschränkten Zugang zum
Internet.
Nicht nur die die so genannten „Facebook-Revolutionäre“ waren Adressaten von Assads Reformbemühungen. Eine seiner ersten politischen Antworten auf die Proteste beendete am 6. April das Verbot der Vollverschleierung für muslimische Lehrerinnen, ein Zugeständnis an die konservativ-islamische Opposition. Erst zwei Jahre zuvor hatte das streng säkulare Regime das Verbot erlassen, hunderten Frauen den Arbeitsplatz genommen und konservative Kritiker gegen sich aufgebracht.
Nur einen Tag später wandte sich die Regierung einer dritten Gruppe der Proteste zu. In Städten wie Qamishli und Amoda protestierten - zwei Wochen, nachdem in Daraa die ersten Syrer auf die Straße gegangen waren - nun auch Tausende Kurden. Assad reagierte mit der Einbürgerung von 150.000 Menschen, die seit 1962 als Ausländer ohne irgendwelche staatsbürgerlichen Rechte behandelt wurden.
Mehr als vereinzelte Zugeständnisse
Nicht nur die die so genannten „Facebook-Revolutionäre“ waren Adressaten von Assads Reformbemühungen. Eine seiner ersten politischen Antworten auf die Proteste beendete am 6. April das Verbot der Vollverschleierung für muslimische Lehrerinnen, ein Zugeständnis an die konservativ-islamische Opposition. Erst zwei Jahre zuvor hatte das streng säkulare Regime das Verbot erlassen, hunderten Frauen den Arbeitsplatz genommen und konservative Kritiker gegen sich aufgebracht.
Nur einen Tag später wandte sich die Regierung einer dritten Gruppe der Proteste zu. In Städten wie Qamishli und Amoda protestierten - zwei Wochen, nachdem in Daraa die ersten Syrer auf die Straße gegangen waren - nun auch Tausende Kurden. Assad reagierte mit der Einbürgerung von 150.000 Menschen, die seit 1962 als Ausländer ohne irgendwelche staatsbürgerlichen Rechte behandelt wurden.
Mehr als vereinzelte Zugeständnisse
Zu Recht mag man einwenden, dass einzelne
Zugeständnisse an opponierende Minderheiten eher dem Versuch geschuldet
sind, ein System zu stützen als es zu reformieren. Spätestens das
Schicksal von Assads langjährigen Kollegen Zine el-Abidine Ben Alis in
Tunesien und Hosni Mubarak in Ägypten hatte außerdem gezeigt, dass sich
der Volkszorn nicht allein mit Tränengas besänftigen lässt.
Doch die anfänglich vereinzelten Zugeständnisse entwickelten sich Mitte des Jahres 2011 zu einem ernsthaften Reformprogramm. Mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes kam Assad nicht nur einer der Hauptforderungen der Opposition entgegen. Zumindest auf dem Papier schuf er dadurch erst die rechtlich-formelle Möglichkeit für Massenproteste. Die Notstandsgesetze waren 1963 erlassen wurden und griffen tief in bürgerliche Freiheiten ein. Menschenansammlungen von mehr als drei Personen galten als verboten.
Am 21. April – einen Tag bevor am sog. „Großen Freitag“ die bis dahin größten Demonstrationen stattfinden sollten – erlaubte Assad überraschend mit Dekret 54 erstmals Demonstrationen in Syrien. Einen Monat später erließ er am 31. Mai 2011 die erste Amnestie für politische Gefangene. Das syrische Staatsfernsehen berichtete, dass darin ausdrücklich auch Anhänger der bis dahin verbotenen Muslimbruderschaft eingeschlossen waren. Ein neues Mediengesetz brach zudem am 28. August das Monopol der staatlichen Rundfunkanstalten und versprach Journalisten einen umfassenden Schutz vor staatlicher Verfolgung. Eine Entwicklung, die selbst das amerikanische Committee to Protect Journalists als „positiv“ würdigte.
Die Revolution in Artikel 8
Doch die anfänglich vereinzelten Zugeständnisse entwickelten sich Mitte des Jahres 2011 zu einem ernsthaften Reformprogramm. Mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes kam Assad nicht nur einer der Hauptforderungen der Opposition entgegen. Zumindest auf dem Papier schuf er dadurch erst die rechtlich-formelle Möglichkeit für Massenproteste. Die Notstandsgesetze waren 1963 erlassen wurden und griffen tief in bürgerliche Freiheiten ein. Menschenansammlungen von mehr als drei Personen galten als verboten.
Am 21. April – einen Tag bevor am sog. „Großen Freitag“ die bis dahin größten Demonstrationen stattfinden sollten – erlaubte Assad überraschend mit Dekret 54 erstmals Demonstrationen in Syrien. Einen Monat später erließ er am 31. Mai 2011 die erste Amnestie für politische Gefangene. Das syrische Staatsfernsehen berichtete, dass darin ausdrücklich auch Anhänger der bis dahin verbotenen Muslimbruderschaft eingeschlossen waren. Ein neues Mediengesetz brach zudem am 28. August das Monopol der staatlichen Rundfunkanstalten und versprach Journalisten einen umfassenden Schutz vor staatlicher Verfolgung. Eine Entwicklung, die selbst das amerikanische Committee to Protect Journalists als „positiv“ würdigte.
Die Revolution in Artikel 8
Den Höhepunkt der Reformbemühungen stellte die
Verabschiedung einer neuen Verfassung dar. Im Oktober 2011 wurde ein
Komitee mit der Ausarbeitung beauftragt. Am 26. Februar 2012 stimmten
die Syrer in einer Volksabstimmung dem Vorschlag zu. So beeindruckend
die Geschwindigkeit war, mit der die neue Verfassung ausgearbeitet
wurde, so offensichtlich sind allerdings auch ihre Mängel: Sie wurde
nicht von einer gewählten Versammlung, sondern von einem vom Präsidenten
eingesetzten Komitee ausgearbeitet.
Die Hürden für eine Kandidatur sind hingegen ungewöhnlich hoch. Ein Kandidat benötigt die Unterstützung eines Viertels aller Parlamentsabgeordneten. Dies stärkt zwar das Parlament, macht aber die Aufstellung mehrerer oppositioneller Kandidaten so gut wie unmöglich. In anderen Bereichen übergibt die Verfassung dem Präsidenten parlamentarische Rechte: Nicht die Abgeordneten, sondern der Präsident entscheidet über die Ernennung des Ministerpräsidenten.
Doch trotz aller Mängel stellt die neue Verfassung eine Zäsur in der Geschichte Syriens dar. Als „Führer von Staat und Gesellschaft“ legte Artikel 8 der vorherigen Verfassung die regierende Baath-Partei fest. Nun liest man an gleicher Stelle: “Das politische System basiert auf dem Prinzip des politisches Pluralismus. Herrschaft kann nur durch demokratische Wahlen erlangt werden.“
Die Monopolstellung der Baath-Partei wird so nach 60 Jahren Alleinherrschaft formell beendet. Allein dies sei „revolutionär“, sagt Prof. Günther Meyer, Leiter des „Zentrums für Forschung zur arabischen Welt“.
Wahlen blieben bedeutungslos
Die Hürden für eine Kandidatur sind hingegen ungewöhnlich hoch. Ein Kandidat benötigt die Unterstützung eines Viertels aller Parlamentsabgeordneten. Dies stärkt zwar das Parlament, macht aber die Aufstellung mehrerer oppositioneller Kandidaten so gut wie unmöglich. In anderen Bereichen übergibt die Verfassung dem Präsidenten parlamentarische Rechte: Nicht die Abgeordneten, sondern der Präsident entscheidet über die Ernennung des Ministerpräsidenten.
Doch trotz aller Mängel stellt die neue Verfassung eine Zäsur in der Geschichte Syriens dar. Als „Führer von Staat und Gesellschaft“ legte Artikel 8 der vorherigen Verfassung die regierende Baath-Partei fest. Nun liest man an gleicher Stelle: “Das politische System basiert auf dem Prinzip des politisches Pluralismus. Herrschaft kann nur durch demokratische Wahlen erlangt werden.“
Die Monopolstellung der Baath-Partei wird so nach 60 Jahren Alleinherrschaft formell beendet. Allein dies sei „revolutionär“, sagt Prof. Günther Meyer, Leiter des „Zentrums für Forschung zur arabischen Welt“.
Wahlen blieben bedeutungslos
Schon Monate bevor diese Formulierung mit den
Parlamentswahlen vom 7. Mai 2012 zum ersten Mal in die Tat umgesetzt
wurde, gingen Syrer an die Wahlurnen. Im Dezember 2011 entschieden die
Syrer über neue kommunale Repräsentanten. Zum ersten Mal fand ein neues
Gesetz Anwendung, welches Kommunen Autonomie zubilligte und Wahlen unter
die Kontrolle unabhängiger Komitees - statt unter die des
Innenministeriums - stellte.
Doch die Kommunalwahlen wurden - wie auch die Parlamentswahlen - von vielen Gegnern Assads boykottiert. Es waren neun Oppositionsparteien, die am 7. Mai 2012 antraten. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: Die National-Progressive Front, ein Parteienbündnis unter der Dominanz der Baath-Partei, gewann über dreifünftel der Sitze. Eine Sitzverteilung, welche die politische Stimmung in der syrischen Bevölkerung widerspiegelt, lieferte die Wahl nicht.
Nicht nur Iran will Reformen
Trotz des Boykotts sieht ein Großteil der
syrischen Opposition in den Reformen den einzigen realistischen Weg zu
einem demokratischen Syrien. Diese Stimmen werden im Westen selten
gehört. Mit der Gründung des exil-oppositionellen Syrischen
Nationalrates (SNR) verloren westliche Medien und Staaten das Interesse
an der inner-syrischen Opposition - und auch weil diese sich gegen eine
Einmischung des Westens ausspricht.Doch die Kommunalwahlen wurden - wie auch die Parlamentswahlen - von vielen Gegnern Assads boykottiert. Es waren neun Oppositionsparteien, die am 7. Mai 2012 antraten. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: Die National-Progressive Front, ein Parteienbündnis unter der Dominanz der Baath-Partei, gewann über dreifünftel der Sitze. Eine Sitzverteilung, welche die politische Stimmung in der syrischen Bevölkerung widerspiegelt, lieferte die Wahl nicht.
Nicht nur Iran will Reformen
Das bedeutendste Bündnis der inner-syrischen Opposition ist das aus 13 Parteien bestehende „Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel“ (NCC). In vielerlei Hinsicht sehen Syrer in ihnen gegenüber dem SNR das glaubwürdigere Oppositionsbündnis. Viele seiner Mitglieder gehören zu den Initiatoren der gewaltlosen Proteste in Syrien. Ihr 80-jähriger Vorsitzende Hassan Abdul Azim wirkte 2005 an der „Erklärung von Damaskus“ mit, die schon im Jahr 2005 demokratische Reformen in Syrien forderte. Ein Großteil ihrer Unterzeichner landete damals im Gefängnis. Auch das NCC kann sich Syriens Zukunft nur ohne Assad vorstellen. Doch der Weg dahin, so bekräftigt Abdul Azim, müsse über die Weiterführung politischer Reformen und nicht über einen Bürgerkrieg geschehen.
Nicht zuletzt aufgrund der eigenen Sicherheitsinteressen warnt auch Iran vor einer militärischen Eskalation. Die Einmischung der NATO (und somit auch der Türkei) habe die Situation kompliziert, formuliert Ahmadinejad im Interview mit der FAS diplomatisch. Direkter wird ein anderer: Ein Verräter an der syrischen Sache sei jeder, der eine Einmischung des Auslands verlange, sagt Haytham Manna’a – einer der führenden Köpfe der syrischen Opposition."
Quelle: http://irananders.de/home/news/article/syriens-heimliche-revolution.html
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