"...
Aber im Jahr 2010 geschah Merkwürdiges: Die Türkei begann im
Grenzgebiet westlich von Aleppo, auf ihrer Seite, Lager zu errichten.
Natürlich löste dies bei den Syrern allgemeines Befremden aus, aber
inmitten all der gutgelaunten Aufbruchsstimmung ordnete legte man es
unter der Rubrik „Oh, diese Türken…“ ab, und landesweit kursierten neue
Türkenwitze in der Art von: Das soll wohl die Hauptstadt des neuen
Kurdenstaates auf türkischem Boden werden…
Der Fortgang war weniger skurril als entsetzlich: Fast ein Jahr
später, im Frühjahr 2011, begann die Invasion der Terrorgruppen und
ihrer Aktivisten in Daara und weitete sich im Sommer dann bereits auf
Homs und Umland aus. Die im Vorjahr fertiggestellten Lager waren bereit
und in Erwartung der Flüchtlingsströme – die zunächst aber trotz der
Unruhen ausblieben. Im Juni 2011 ging die syrische Bevölkerung nämlich
noch davon aus, dass ihre Regierung es schon richten würde. In dieser
Situation erhielten die offiziellen Verwaltungsstellen einiger Weiler
plötzlich aufgeregte Anrufe – angeblich von Einwohnern benachbarter
Dörfer im Umfeld von Idlib bis Jisr ash-Shugur (etwa auf der Höhe von
Gaziantep auf der türkischen Seite): Es herrsche Krieg, und ihr gesamtes
Örtchen sei von Panzern dem Boden gleichgemacht worden, Tote habe es
gegeben. Im Hintergrund der aufgeregten Anruferstimmen waren Schüsse und
Detonationen zu hören. Die Panzer seien weiter gerollt, geradewegs auf
das nun angerufene Dorf zu.
Kurze Zeit später fielen Horden bewaffneter, aufgeregt schreiender
Gesellen in die telefonisch vorgewarnten Siedlungen ein und verbreiteten
Panik und Todesangst bei den Bewohnern, so dass eine Massenflucht
einsetzte. Die türkischen Lager waren in nächster Nachbarschaft; zum
Teil war, wie Amnesty International rügte, nicht einmal der
Mindestabstand von 50 Metern hinter der Grenzlinie eingehalten worden.
Als sich das Geschehen nach wenigen Tagen als potemkinsches Szenario
entpuppt hatte und sich die Mehrzahl der Familien wieder auf den Weg
nach Hause begeben wollte, voll Sorge, noch rechtzeitig einzutreffen,
ehe Haus und Hof geplündert und Nutztiere gestohlen wären – da ließen
sie die Türken nicht gehen, dies sei „zu ihrem eigenen Schutz“. Es
bedurfte wochenlanger massiver Verhandlungen seitens der syrischen
Regierung, ehe die ins Boxhorn gejagten „Flüchtlinge“ die türkischen
Lager endlich wieder verlassen durften."
Quelle: http://juergenelsaesser.wordpress.com/2012/10/01/wie-die-turkei-syrische-fluchtlinge-konstruierte/#more-4871
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