"Der syrische Machthaber Baschar al Assad hat am
Wochenende einen Plan zur nationalen Mobilmachung verkündet. Führt er
das Land damit nicht weiter ins Verderben?
Es ist ein großer historischer Fehler, das Angebot
Assads zu Verhandlungen über die Zukunft Syriens nicht anzunehmen. Schon
zu Beginn des Aufstands vor fast zwei Jahren hat er sich bereit
erklärt, über die Sonderrolle der Baath-Partei zu reden, weil sie nicht
mehr in der Lage ist, das Land zu dirigieren. Auch der Gründung neuer
Parteien hat er zugestimmt.
Am Ende waren alle Angebote aber nur rhetorisch, den Aufstand lässt er bis heute blutig niederschlagen.
Trotzdem ist es falsch, bis zum Ende gegen Assad zu
kämpfen. Obwohl er allein gegen die ganze Welt kämpft, gegen Amerika,
die Ölstaaten, die Macht des Geldes, hat er bis heute widerstanden.
Zurzeit jedenfalls ist Syrien näher an der Demokratie als alle anderen
Länder in der Region, die von sich behaupten, die Menschenrechte zu
verteidigen. Die Golfstaaten, die die Opposition unterstützen, tun das
sicherlich nicht.
Seit Beginn der Revolution im März 2011
sind Zehntausende in Gefängnissen verschwunden, die Opposition wird
gewaltsam unterdrückt. Das nennen Sie Demokratie?
Ich habe immer gesagt, dass es nötig ist, einen
Dialog zu führen, um in Syrien Demokratie einzuführen. Wer soll dieses
komplett zerstörte Land denn am Leben erhalten nach Assad, wer das Chaos
in den Griff kriegen? Wo sind sie denn, die viel zitierten moderaten
Araber? Ich bin nicht gegen die Demokratie, aber ich bin gegen das, was
kommt. Was uns nach einem Sturz Assads blüht, ist die Herrschaft der
Islamisten. Und mit denen kommt keine Demokratie.
Sie sind am Ende des Libanon-Krieges vor den Truppen von
Assads Vater Hafiz geflohen und konnten 2005 erst in den Libanon
zurückkehren, als die syrische Armee abgezogen war. Weshalb stehen Sie
nun auf Seiten Ihrer einstigen Verfolger?
Das lässt sich mit Frankreich und Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg vergleichen. Um Konflikte zu lösen, muss man sich
um gute Nachbarschaft bemühen. Als ich Syrien 2008 besucht habe, war das
eine Art von Versöhnung zwischen zwei Völkern, die sich bekriegt haben.
Wir dürfen nicht vergessen, dass es die Christen der Levante waren, die
den Aufstieg der Region befördert haben. Und die leben im Libanon
ebenso wie in Syrien heute unter schwierigen Bedingungen.
In Ägypten fürchten viele Christen seit dem
Sturz Husni Mubaraks und der Wahl Muhammad Mursis zum Präsidenten um
ihre Sicherheit. Was raten Sie ihnen?
Sie müssen Teil der Opposition sein. Zunächst haben
sie sich der Revolution gegen Mubarak angeschlossen, jetzt müssen sie
sich gegen Mursi stellen. In Ägypten sind Demokratie und Menschenrechte
in Gefahr, weil die Islamisten das Recht auf Verschiedenheit nicht
respektieren.
Die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz sind
für Freiheit und Würde auf die Straße gegangen, jetzt demonstrieren sie
gegen Mursi. Das Aufbegehren gegen Autoritäten ist seit dem Arabischen
Frühling trotz aller Rückschläge nicht mehr aufzuhalten.
Es ist kein Frühling, sondern die Hölle. Schauen
Sie sich die Salafisten an, die in Ägypten jetzt stark sind: Diese Leute
suchen Lösungen in der Vergangenheit, aber die Antworten liegen in der
Gegenwart und in der Zukunft.
Die freiheitlichen Strömungen der Bewegung kämpfen weiter für universelle Menschenrechte, in Ägypten ebenso wie in Syrien.
Aber ihre Erfolgschancen sind sehr gering. Anders
als die Islamisten haben sie es versäumt, sich gut zu organisieren. Die
Muslimbrüder hingegen haben sich zusammengeschlossen zu einer Partei der
Gläubigen, die für die Rückkehr des Kalifats eintritt. Wenn sie in
Syrien gewinnen, brechen schwere Zeiten für Nichtmuslime an.
Sie haben 2006 mit
Hizbullah-Generalsekretär Hassan Nasrallah ein Bündnis geschlossen. Auch
er strebt ideologisch nach einem Gottesstaat wie das iranische Regime
in Teheran.
Ich unterscheide zwischen Integristen und
Fundamentalisten. Letztere verteidigen die Fundamente ihrer Religion,
die Integristen wollen anderen ihr Lebensmodell überstülpen - oder wie
die sunnitisch-islamistische Al Qaida mit Terror Leute von ihrem Weg
überzeugen. Das gilt nicht für die schiitisch-fundamentalistische
Hizbullah, die als politische Partei den Widerstand gegen Israel
aufrechterhält.
Die Hizbullah führte 2006 Krieg gegen Israel, die mit ihr
verbündete islamistische Hamas Ende 2012. Ist die Zeit nicht längst reif
für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts?
Solange es keine Lösung auf Grundlage von
Völkerrecht und Gerechtigkeit für die Palästinenser gibt, wird die Lage
weiter instabil bleiben. Zugleich hat sich 2006 und 2012 gezeigt, dass
Israel seine verfehlte Politik nicht fortführen kann - weil es nicht
mehr in der Lage ist, Kriege zu gewinnen. Das ist für ein Volk, das seit
Jahrzehnten im Krieg ist, schwer zu verkraften.
Sie setzen sich in ihrem Land für einen
starken Staat ein, sind aber verbündet mit einer Partei, die einen Staat
im Staat unterhält. Wie geht das zusammen?
Bevor die Hizbullah ein Staat im Staat sein kann,
müsste es im Libanon erst einmal einen Staat geben. Das ist bislang
nicht der Fall. Wir müssen ihn erst bauen, damit der kleinere dann darin
aufgehen kann. Deshalb steht für uns der Kampf gegen Korruption sowie
die Schaffung rechtsstaatlicher Standards an erster Stelle.
Was hat die Allianz mit der Hizbullah Ihnen und Ihrer Partei gebracht?
Der Libanon hat an Stabilität gewonnen, die Partei
an Zustimmung verloren und ich an Popularität. Um einen Bürgerkrieg
zwischen Christen und Muslimen zu verhindern, ist das ein Preis, den ich
gerne zahle. Außerdem ist es auf diese Weise gelungen, die Hizbullah
stärker in das politische System des Landes zu integrieren."
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/arabische-welt/michel-aoun-im-f-a-z-gespraech-es-ist-kein-fruehling-es-ist-die-hoelle-12020554.html
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