Vorrede: Was den Luftangriff auf Syrien betrifft, so gibt es immer noch
wenig faktische Klarheit. Deshalb als kleines Vorwort eine Anmerkung zu
der hierzulande populären Version (die ursprünglich von AFP verbreitet
wurde), der Angriff habe einer Fahrzeugkolonne gegolten, welche
“Buk”-Raketen an die Hisbollah (oder wo auch immer hin) liefern sollte.
Die “Buk”-Raketen (NATO-Klassifikation SA-17), von denen die Medien schwätzen
(9M38M1 und 9M317) sind als solche von keinerlei Interesse und ohne
eine ganze Batterie an Technik und Ausrüstung gar nicht einsatzfähig.
Die Komponenten dieser Batterie kann man hier nachschauen
(und die Liste dort ist unvollständig, es fehlt ein knappes Dutzend an
Versorgungsfahrzeugen, wie etwa das Elektrofahrzeug, eine mobile
Kompressorstation, Werkstattwagen usw.).
Um diese ganzen Dinge bedienen zu können, müsste man mindestens eine Brigade russischer
ukrainischer Luftabwehrleute anheuern. Die Hisbollah hat dazu einfach
nicht das Personal. Und würde auch nur eine halbe Batterie Buks irgendwo
im Libanon aufgebaut werden, so würden die Israelis sogleich Fotos
davon durch ihre Presse reichen. Von Drohnen oder Satelliten gemachte
Fotos natürlich, welche die imminente Bedrohung dieser
Verteidigungswaffen veranschaulichen sollen... und damit genug der
Vorrede.
Haue, Hölle, Israel
Der Luftschlag Israels gegen Syrien bringt eine ganze Reihe an Fragen
hervor. Sicher nicht bei allen. Denn in israelischen Internet-Foren geht
es derzeit nur um Haue, Hölle und Israel. “Nur Hardcore!” brüllen die
Bewohner des Gelobten Landes in patriotischer Rage. Bislang ist nicht
endgültig klar, wen man gebombt, was man gebombt und - als wichtigstes -
wozu man gebombt hat, doch das vor Stolz über ihre glorreichen Falken
wie Kröten aufgeblähte israelische Wahlvolk interessiert sich nicht für
derlei Kleinigkeiten.
Im trockenen Bodensatz der Meldungen sieht der Angriff Israels auf
Syrien bislang immer noch ziemlich unklar aus. Die Syrer sprechen von
einem Angriff auf ein gewisses militärisches Forschungszentrum, die
westlichen Medien vom Angriff auf eine mysteriöse Fahrzeugkolonne - mal
sei es ein Transport von “Buk”-Raketen, mal ein Chemiewaffentransport
gewesen - die in Richtung der libanesischen Hisbollah unterwegs gewesen
sein soll. Das offizielle Israel hüllt sich überhaupt in Schweigen.
Alle bislang geäußerten Versionen sehen gelinde gesagt seltsam aus. Ein
Angriff auf ein Forschungszentrum ist vollkommen unlogisch, selbst, wenn
darin Komponenten für Chemiewaffen aufbewahrt werden. Damaskus ist zum
jetzigen Zeitpunkt die bestgeschütze Stadt in Syrien, die Armee erledigt
gerade die Reste der Rebellenbanden in Daraya und verlagert sich in
Richtung Duma, wo verschiedenen Quellen zufolge um die 5 Tausend
Rebellen festsitzen, samt ihrer Vorratslager, Lazaretts, Waffen- und
Lebensmittelreserven. Duma ist zum jetzigen Zeitpunkt bereits praktisch
eingekesselt.
In diesem Fall kann man sich zwar um die Sicherheit der Chemiewaffen
sorgen, man muss es aber nicht - die Syrer kümmern sich selbst darum.
Ein Päckchen für die Hisbollah und die nervöse Reaktion Israels darauf
nimmt sich als Version auch vollkommen seltsam aus. Erstens hat man auch
früher bereits auf diese Weise Waffen geschickt - woher sollte die
Hisbollah wohl sonst ihre Waffen haben? Zweitens ist die Hisbollah seit
inzwischen schon ungefähr einem Jahr hinsichtlich der “syrischen Frage”
gespalten: ein Teil tritt für eine vollumfängliche Unterstützung Assads
ein, der andere ist der Meinung, man habe sich eher um die eigenen
Probleme zu kümmern. Würde man zum jetzigen Zeitpunkt einer der
Fraktionen innerhalb der Hisbollah Waffen liefern, so hieße das, ein
endgültiges Auseinanderbrechen ihrer Reihen zu bewirken, was Assad
sicher nicht gebrauchen kann. Dazu hat noch die libanesische
Armeeführung erklärt, dass sie weder von einer Fahrzeugkolonne, noch von
einem Angriff auf eine solche Kenntnis habe.
Es gibt einen Umstand, der von den Medien bislang überhaupt nicht
betrachtet wird. Der Luftangriff passierte synchron zur Ernennung Kerrys
zum US-Außenminister. Ebenso synchron hat gestern die unversöhnliche
syrische Opposition durch ihren Chef Moas al-Chatib verkündet, sie sei
zu Verhandlungen mit Assad bereit, das heißt also etwas zu tun, was sie
im Verlauf der zwei Jahre andauernden “Revolution” immer kategorisch
abgelehnt hat.
Das bedeutet, dass der Krieg in Syrien in einer Umbruchsphase angekommen
ist. Die Opposition räumt ein, dass sie keine Möglichkeit mehr hat,
ihre Ziele auf militärischem Wege zu erreichen und versucht, noch so
viel wie möglich Vorteile aus ihrer derzeitigen Lage zu retten; solange
die syrische Armee eben die militärischen “Argumente” ihrer Gegner noch
nicht vollständig aufgerieben hat. Sicherlich gibt es außer dieser
Opposition noch die Islamisten - radikale, hirnverbrannte Dschihadisten,
mit denen man unter keinerlei Umständen verhandeln wird. Nach dem
neuerlichen Massenmord an Zivilisten in Aleppo hat Präsident Assad
versprochen, die Gruppierung namens “Al-Nusra-Front” bis auf den letzten
Mann zu vernichten. Mit solchem Gelichter führt man keine Gespräche.
Alles zusammen heißt, dass Syrien es durchlitten und standgehalten hat.
Nein, es ist noch lange nicht zu Ende, aber es gibt ein Licht am Ende
des Tunnels. Und das ist es, was vielen nicht recht ist. Einschließlich
Netanjahu. Einfach deshalb, weil ein Ende des Kriegs in Syrien nach
einem Szenario, das nicht dem der arabischen Monarchien und des Westens
entspricht, zweifellos ein Erstarken der Positionen des Iran in der
Region bedeutet. Nicht einen Sieg, aber doch eine merkliche Änderung des
Kräfteverhältnisses.
Netanjahu wird nicht müde, von der iranischen Bedrohung und von
Atomwaffen zu erzählen. Es ficht ihn nicht einmal an, dass sowohl der
Westen als auch die USA inzwischen mitteilen, dass der Iran seine
Atomforschungen “deutlich verlangsamt” habe und es ihm vor 2015
theoretisch nicht möglich sein wird, an einen Atomsprengsatz zu
gelangen. Netanjahu sagt aber, dass es jetzt schon möglich ist. Folglich
ist es jetzt schon möglich. Er bezweckt, die USA in einen Krieg
mit dem Iran zu hetzen, die USA, die das demonstrativ ablehnen, während
Kerry nicht minder demonstrativ von der dringenden Notwendigkeit
spricht, alle Fragen mit dem Iran auf eine rein diplomatische Ebene zu
verlagern.
In diesem Falle soll ein Angriff auf Syrien den Iran dazu herausfordern,
sich einzumischen und seine Behauptungen, er sei bereit, das syrische
Territorium im Fall einer Intervention zu verteidigen, mit Taten zu
belegen. Dann würde man den Iran als Aggressor hinstellen können, Israel
veranlaßt die USA zur Einmischung, denn es wird ja nicht irgendwer
angegriffen, sondern deren Verbündeter.
Mit anderen Worten, dem Angriff Israels liegen keine rein militärischen
Ziele zugrunde. Die israelische Luftwaffe hatte keine militärische
Aufgabe. Das Ziel des Angriffs ist eine Provokation als ein Versuch,
erst Syrien, dann den Iran und schließlich die USA zu einer Vergeltung
zu verleiten.
Was tut ein kluger Mensch, wenn sein Gegner versucht, ihn zu bestimmtem
Handeln zu provozieren? Richtig, er macht es gerade andersherum.
Hauptsache ist, nicht das zu tun, was der Feind von dir erwartet. Assad
benimmt sich bislang wie ein kluger Mensch - er hat sich einfach
Netanjahus Spucke aus dem Gesicht gewischt. Genau, wie er es getan
hatte, als die Türkei syrisches Territorium beschossen hatte. “Wir
ertragen das”, sagten die Syrer. Und wie sehr das auch nach Feigheit
aussehen mag, eine solche Reaktion ist am effektivsten.
Für Syrien hat jetzt die Befriedung im Landesinneren Priorität. Wenn es
Verhandlungen mit der Opposition geben soll, dann eben auf dem
Verhandlungsweg. Wenn nicht, dann werden die Rebellenbanden eben
systematisch vernichtet werden. Alle anderen Aufgaben sind von
geringerer Wichtigkeit. Und deshalb dulden die Syrer es auch. Es ist
klar, dass die im Saft ihrer eigenen Tiraden geifernden israelischen
Internetforen die Syrer jetzt massiv verhöhnen - “Wo war sie denn, eure
vielgepriesene Luftverteidigung?” Das ist unangenehm. Aber die Syrer
haben es nicht eilig damit, die Lösung ihrer wichtigsten Aufgabe - den
Frieden im Lande - jetzt zu gefährden. Das ist auch die bestmögliche
Entscheidung, die sie treffen können. Und es ist sehr wichtig, dass sie
es erst einmal ertragen. Antworten können sie nachher. Wenn sie diese
wichtigste Aufgabe gelöst haben."
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