"Vor dem
Bürgerkrieg lebten rund 100.000 Armenier in Syrien. Unter dem
Assad-Regime ging es ihnen gut: Sie konnten ihre Sprache und Kultur
pflegen, ihre Kinder armenische Schulen besuchen. Doch die Angst treibt
viele zurück in die Heimat ihrer Großeltern und Eltern.
Kework Shadoyan schiebt Tüten und Kartons zur Seite und räumt einen
Stuhl frei. Der 39-Jährige richtet sich gerade ein Büro in Armeniens
Hauptstadt Eriwan ein. Die langen Haare fallen ihm ins Gesicht. Shadoyan
ist Modedesigner, er entwirft
Abendroben und Hochzeitskleider,
vorzugsweise mit traditionellen armenischen Motiven und viel Einblick.
In Aleppo in Syrien hat er eine Modeschule geleitet. Vor drei Monaten
ist er geflohen.
"Das war tragisch.
Ich bin in Aleppo geboren. Und ich sage immer: Wir wurden von den Syrern
nur gut behandelt. Ich habe dort 20 Jahre meines Lebens verbracht. Und
auch während ich im Ausland studiert und gearbeitet habe, bin ich immer
gern nach Aleppo zurückgekommen. Ich liebe nicht nur Aleppo, sondern
ganz Syrien. Es ist unser Land. Wir mögen die Menschen dort. Ich habe
mich dort nie fremd gefühlt. Sie haben uns wie Syrer behandelt."
Rund
100.000 Armenier haben, vorsichtigen Schätzungen zufolge, zu Beginn des
Konflikts in Syrien gelebt, die meisten von ihnen in Aleppo. Sie
konnten ihre Sprache und Kultur pflegen und armenische Schulen besuchen,
erzählt Shadoyan. Die Armenier gelten, wie auch die übrigen
christlichen Minderheiten, als weitgehend loyal gegenüber dem
Assad-Regime. Sie hielten sich aus dem Konflikt heraus. Auch jetzt will
sich Kework Shadoyan nicht zur Politik in Syrien äußern. Der
stellvertretende Außenminister Armeniens, Shavarsh Kocharyan, tut dies
umso lieber.
"Wir sind weder dafür,
die Kräfte zu unterstützen, die Assad stürzen wollen, noch sind wir
dafür, Assad um jeden Preis zu halten. Wir verurteilen alle Versuche,
die Situation in Syrien von außen zu destabilisieren. Denn jede
Destabilisierung wirkt sich sehr negativ auf die nationalen und
ethnischen Minderheiten in Syrien aus."
Mit dieser
Position steht Armenien fest an der Seite Russlands, zu dem es enge
wirtschaftliche, militärische und politische Verbindungen unterhält.
Auch der russische Außenminister Lawrow führt immer wieder das Argument
ins Feld, wenn Assad gehe, führe das zu Chaos und gefährde vor allem die
Minderheiten in Syrien. Armenien hat bisher mehr als 6000 Flüchtlinge
aufgenommen. In letzter Zeit hätten zudem zahlreiche Armenier aus Syrien
die armenische Staatsbürgerschaft beantragt, sagt der stellvertretende
Außenminister Kocharyan.
"Wir
beobachten eine Entchristianisierung des gesamten Nahen Ostens. Dabei
hat das Christentum dort tiefe Wurzeln. Die Konfliktparteien müssen
endlich einen Kompromiss finden. Wie der aussehen wird, ist eine andere
Frage. Wichtig ist, das Blutvergießen zu stoppen."
Danach sieht es vorerst nicht aus. Der Modedesigner Shadoyan telefoniert regelmäßig mit seinen Verwandten in Aleppo.
"Es
sind immer die gleichen Nachrichten. Es ist eine harte Zeit. Aber wir
werden das überstehen. Die Leute, mit denen ich spreche, haben
jedenfalls Hoffnung."
Kework Shadoyan hatte bereits
Verbindungen nach Armenien, bevor er dorthin floh. Sein Bruder lebt seit
fünf Jahren in Eriwan, er betreibt dort einen Friseursalon für reiche
Armenier. Die Brüder helfen einander. Andere Flüchtlinge aus Syrien
leben in Armenien in Massenunterkünften. Das Land ist arm. Viele
warteten nur darauf, nach Syrien zurückzukehren, sobald es dort
friedlich ist, erzählt Shadoyan. Sie sprächen zwar dieselbe Sprache wie
die Einheimischen, kämen aber mit der Mentalität in Armenien nicht
zurecht. Die Gesellschaft in der Südkaukasusrepublik ist noch immer von
70 Jahren Sowjetunion geprägt.
"Ich
bin hier auch glücklich. Schließlich ist das hier Armenien. Aber die
Menschen in Aleppo haben ein anderes Gemüt, die Stimmung ist ganz
anders, und ich vermisse das sehr. Trotzdem werde ich jetzt erst mal
hier einen Neuanfang versuchen. Denn nur dazusitzen und abzuwarten,
bringt ja nichts. Das ganze kann noch zwei Monate dauern, drei Monate,
ein Jahr. Wie lange, weiß nur Gott.""
Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/2032732/
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