"Die Behauptung des türkische Premiers Erdogan, die syrischen
Regierungstruppen hätten Giftgas eingesetzt, hat nicht die gewünschten
Reaktionen ausgelöst. Nun versucht Ankara mit der Unterstellung, daß
Syrien den blutigen Anschlag von Reyhanli zu verantworten habe, doch
noch eine westliche Militärintervention zu provozieren. Das
Bombenattentat im türkisch-syrischen Grenzgebiet sei von einer
türkischen Gruppe mit Verbindungen zum syrischen Geheimdienst verübt
worden, behauptete Erdogans Vize Besir Atalay. Vorsorglich meinte er
auch zu wissen, daß »dieses grausame Verbrechen« nicht mit der syrischen
Opposition in Verbindung gebracht werden könne.
Nachdem die Schuldzuweisung an Damaskus in die Welt hinausposaunt war,
verhängte ein türkisches Gericht unter der Begründung, Staatsgeheimnisse
zu schützen, eine Nachrichtensperre über die Umstände des Anschlages.
Die Absicht der Türkei, einen NATO-Krieg gegen Syrien anzuzetteln, ist
freilich längst kein Staatsgeheimnis mehr.
Die Bevölkerung im türkisch-syrischen Grenzgebiet, wo der Anschlag
stattfand, ist über den aggressiven Kurs, den die Regierung Erdogan
gegenüber Damaskus eingeschlagen hat, alles andere als erfreut. Nicht
nur, weil sie unmittelbar mit dem syrischen Flüchtlingselend
konfrontiert ist, sondern auch, weil sie zu Recht einen regionalen
Flächenbrand befürchtet. Das den syrischen Behörden unterstellte
Attentat sollte wohl einen Stimmungsumschwung herbeiführen. Die
Regierung in Ankara ist nämlich wild entschlossen, ihr ehrgeiziges
außenpolitisches Programm, das auf eine regionale Führungsrolle an der
Seite der westlichen Hegemonialmächte zielt, durchzuziehen. Hatte es zu
Beginn des »arabischen Frühlings« noch den Anschein, die Türkei könnte
im Bündnis mit Kairo und Teheran einen Gegenblock zur westlichen
Vorherrschaft bilden, so bezog sie im Syrien-Konflikt eindeutig Position
zugunsten der westlichen Ordnungspolitik.
Es sieht gegenwärtig nicht so aus, als wollten die USA dem türkischen
Drängen auf eine Militärintervention nachgeben. Zwar hält die
Obama-Regierung an ihrem Ziel, einen Regimewechsel in Damaskus zu
erzwingen, eisern fest. Doch sollen dafür nunmehr auch diplomatische
Mittel eingesetzt werden. Gelänge es Washington, syrische
Regierungsvertreter unter Ausschluß von Präsident Assad mit Abgesandten
der Opposition an einen Tisch zu bringen, wäre es seinem Ziel einen
großen Schritt näher. Denn wer sich auf seiten der Regierung auf solche
Verhandlungen einließe, wäre noch zu ganz anderen Dingen bereit. Zur
Fortsetzung der eigenen Karriere unter Aufsicht von USA und EU zum
Beispiel und damit auch zur Preisgabe der Identität des Landes als
Widerstandsfaktor gegen die Hegemonie der Westmächte und Israels.
Moskau, das sich nie auf die Person Assad festgelegt hat, könnte einem
solchen Deal, der auch zur Isolierung der radikalen Islamisten führen
würde, durchaus zustimmen."
Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/05-13/025.php
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