"Die syrische Opposition beschuldigt die Regierungsarmee, bei einem
Grossangriff nahe Damaskus Hunderte Menschen mit chemischen Kampfstoffen
getötet zu haben. Dies bezweifelt Experte Günter Meyer.
Aus Syrien erreichen uns Berichte und erschütternde Bilder von
toten Menschen, darunter vielen Kindern, die Opfer von Giftgasangriffen
sein sollen. Sind diese Informationen glaubhaft?
Es scheint wirklich so zu sein, dass Chemiewaffen eingesetzt worden
sind. Die Berichte aus Syrien sind durchaus glaubhaft. Die zentrale
Frage aber ist: Wer hat diese Waffen eingesetzt? Der syrischen Regierung
wird unterstellt, dass sie die Chemiewaffen eingesetzt hat, weil sie in
grossem Stil über solche verfügt. Das Regime von Bashar al-Assad hat aber absolut kein Interesse am Einsatz von Chemiewaffen.
Warum?
Die Regierungstruppen befinden sich auf dem Vormarsch. In den letzten
Wochen und Monaten erzielten sie mit Bombardements grosse militärische
Geländegewinne, gerade auch in der Region Ghuta nahe Damaskus, wo die
Giftgasangriffe erfolgt sein sollen. In einer solchen Situation
Chemiewaffen einzusetzen, macht für das Regime überhaupt keinen Sinn.
Auch weil Inspektoren der UNO sich zurzeit im Land aufhalten. Das Regime
weiss ganz genau, dass die von US-Präsident Barack Obama gesetzte «rote
Linie» überschritten wäre, wenn es Chemiewaffen einsetzen würde und
dies von den UNO-Inspektoren auch nachgewiesen werden könnte.
Nach Ihrer Ansicht stecken also Aufständische hinter den mutmasslichen Giftgasangriffen in der Region Ghuta.
Ja. Denn nur die Aufständischen könnten davon profitieren. Umso mehr,
als das Giftgas dieses Mal, im Vergleich zu den ersten Fällen,
anscheinend als Massenvernichtungswaffe eingesetzt worden ist, wenn die
oppositionellen Behauptungen von Hunderten von Toten tatsächlich
zutreffen sollten. Die Aufständischen versuchen, die USA zu einem
militärischen Eingreifen zu bewegen. Dabei nutzen sie den Umstand aus,
dass sich Inspektoren der UNO in Syrien aufhalten. Das alles passt ins
Schema, das wir bereits von den ersten Giftgasangriffen im vergangenen
März her kennen.
Können Sie das erläutern?
Für den ersten Chemiewaffeneinsatz in Khan al-Assal nahe Aleppo, bei dem
29 Menschen ums Leben kamen, waren die Jihadisten unter den
Aufständischen verantwortlich. Auch damals beschuldigten die
Oppositionellen die Regierungsarmee. Nach Recherchen der britischen
Zeitung «Guardian» wurde die Giftgasgranate von einem Ort nahe der
türkischen Grenze abgefeuert, der sich unter der Kontrolle der al-Qaida
nahen Al-Nusra-Front befand. Mit Khan al-Assal griffen die Jihadisten
einen Ort an, der von den Assad-Truppen kontrolliert wird und dessen
schiitische Bevölkerung hinter dem Regime steht. Ein paar Wochen nach
dem Chemiewaffeneinsatz in Khan al-Assal verhafteten türkische
Polizisten eine Gruppe von syrischen Jihadisten, die einen Behälter mit
Giftgas bei sich trugen. Damit ist nachgewiesen, dass die Jihadisten die
Möglichkeit haben, an Chemiewaffen zu kommen.
Woher kommt denn das Giftgas der Aufständischen?
Das ist nicht eindeutig geklärt. Die Chemiewaffen stammen aber
höchstwahrscheinlich nicht aus den Beständen der Regierungsarmee, weil
die Depots bereits in einem frühen Stadium des Kriegs evakuiert und in
sichere, vom Regime kontrollierte Orte verlegt wurden, die von
Elitesoldaten bewacht werden. Dabei handelt es sich um Alewiten wie
Assad, die auf jeden Fall verhindern werden, dass Chemiewaffen in die
Hände der Aufständischen gelangen. Es gibt viele illegale Märkte für
Chemiewaffen. Der Preis spielt keine Rolle für die Aufständischen, da
sie mit grossen Geldsummen aus dem Ausland unterstützt werden."
Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Das-AssadRegime-hat-absolut-kein-Interesse-Giftgas-einzusetzen/story/16424503
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