Sie kamen am frühen Abend:
Acht maskierte Männer, ganz in schwarz, im Stil von Dschihadisten
gekleidet und schwer bewaffnet. Sie schlugen gegen die Tür, entsicherten
ihre Kalaschnikows und luden sie durch. Die beiden Leibwächter des
Journalisten hatten keine Chance. Der spanische Reporter wurde von den
Heiligen Kriegern des Islamischen Staates im Irak und der Levante (Isil)
in ihr Gefängnis verschleppt. Dort saß er in einer winzigen Zelle, die
Wände mit Blut besudelt. Tag und Nacht hörte er die Schmerzschreie
anderer Gefangener, die gefoltert wurden. Dreimal knallten Schüsse, die
den Klagelauten ein abruptes Ende machten. "Ich weiß nicht warum, aber
nach acht Tagen wurde ich freigelassen", sagte der 42-jährige Spanier.
"Es war wie ein Wunder."
Alleine im letzten Monat verschwanden mindestens acht Pressevertreter. Die al-Qaida
nahestehenden Gruppen Isil und die Jabhat al-Nusra scheinen
systematisch gegen all jene vorzugehen, die ihnen negative
Berichtserstattung bringen könnten. Die Gewaltwelle gegen Journalisten
ist nur ein Symptom des wachsenden Einflusses radikaler Islamisten in
Syrien. "Niemand kann die Extremisten mehr stoppen", sagt ein Aktivist
aus Aleppo. "Sie können machen, was sie wollen. Sie übernehmen jetzt die
Macht." Seinen Namen will der junge Mann aus Angst vor Racheakten nicht
nennen. "Dann erschießen sie mich sofort." Dass sie so stark geworden
sind, liegt unter anderem an dem regen Zustrom ausländischer Extremisten
– auch aus Europa, auch aus Deutschland.
Ein neues Video im Internet
zeigt Denis Cuspert in Syrien in Kampfmontur an einem Wasserfall. Der
37-jährige Berliner, der früher als Gangster-Rapper unter dem Namen Deso
Dogg bekannt zu werden versuchte, mutierte zum radikalen Salafisten und
wird in Deutschland seit Juni 2012 per Haftbefehl gesucht. Nachdem er
sich nach Ägypten abgesetzt hatte, soll er nun nach Syrien gereist sein.
Mit ihm kämpfen etwa 50 weitere Deutsche auf Seiten der Extremisten.
"Strengt euch an für das Paradies", singt der Sohn eines Ghanaers und
einer Deutschen in dem kurzen Video, "es ist Pflicht für uns, in die
Schlacht zu ziehen!" Der Clip scheint ein Ausschnitt aus einer längeren
Dokumentation über Cuspert zu sein. Digitale Werbung für das weitere
Wachstum der Islamisten.
Der Krieg radikalisiert Muslime aus dem Westen
Die
Befürchtungen in vielen westlichen Ländern haben sich bestätigt: Syrien
ist zu einer Hochburg von al-Qaida und ähnlich extremistisch
ausgerichteter Gruppen geworden. Im Norden und Osten des Landes sind sie
die bestimmenden Kräfte. Sie haben die besten Waffen und das meiste
Geld. Ihre Kämpfer sind bereit, als Märtyrer zu sterben, und gelten als
Elitetruppen unter den Rebellen, die seit 2011 das Regime von Präsident
Baschar al-Assad stürzen wollen.
Drei große
Gruppen vertreten die Ideologie jenes Terrornetzwerks, das einst Osama
Bin Laden in Afghanistan ins Leben rief: Jabhat al-Nusra wurde im
Auftrag von al-Qaida im Januar 2012 gegründet. Aus einigen hundert
Kämpfern sind mittlerweile 8000 geworden. Sie erkennen Aiman
al-Sawahiri, den Al-Qaida-Chef in Pakistan, als obersten Emir an. Isil
dagegen folgt Abu Bakr al-Bagdadi, dem Terrorführer aus dem Irak. Das
US-Außenministerium meldete im August, dass Bagdadi sein Hauptquartier
aus dem Nachbarland nach Syrien verlegt habe. In den Reihen von Isil
befinden sich auch Dschihadisten aus westlichen Ländern. Neben
Franzosen, Briten und Australiern auch einige Deutsche.
Deutsche
Sicherheitsbehörden beobachten mit Sorge eine Zunahme der Ausreisen in
das Konfliktgebiet. Hochideologisierte Islamisten, die mit dem konkreten
Ziel des Dschihad aus Deutschland nach Syrien reisten, seien am
gefährlichsten, aber sie seien die Ausnahme. Vor allem befürchten die
deutschen Behörden, dass junge Männer mit ursprünglich nur vagen
islamistischen Ansichten von ihrer Syrien-Reise als radikalisierte
Terroristen zurückkehren. "Bei vielen derjenigen, die nach Syrien
reisen, ist zunächst gar nicht klar, wie ernst sie es mit dem Kämpfen
meinen", sagt ein Ermittler der "Welt". Der Konflikt an sich biete
Potenzial für Radikalisierung. So mancher Kämpfer entwickle sich erst
durch die Kriegserfahrung zu einem Terroristen, warnen
Nachrichtendienstler.
10.000 bis 17.000 Ausländer kämpfen in Syrien
Die Gruppe
Jaisch al-Muhadschirin wal-Ansar, die dritte einflussreiche
Dschihadisten-Fraktion in Syrien, setzt sich ausnahmslos aus Ausländern
zusammen und wird von Abi Omar al-Tschetschen geführt, einem ehemaligen
Kämpfer gegen die russische Armee in Tschetschenien. Im Hauptquartier
der Ausländertruppe am syrischen Grenzübergang Bab al-Hauwa kann man
Tunesier, Marokkaner, Libyer, Saudis, Iraker, Tschetschenen und einige
wenige Europäer treffen. Insgesamt sollen zwischen 10.000 und 17.000
Ausländern in den Heiligen Krieg in Syrien gezogen sein.
Die al-Qaida
nahen Gruppen arbeiten eng mit Ahrar al-Sham zusammen. Die "freien
Männer Syriens" wollen ebenfalls ein Kalifat auf Basis der Scharia, des
islamischen Rechts. Im Gegensatz zu anderen Gruppen haben sie keine
Intention, den Heiligen Krieg über die Grenzen ihres Landes
hinauszutragen. Doch ihr Gesellschaftsideal hat nichts mit Demokratie
und Menschenrechten zu tun.
Die als moderat
geltende Freie Syrische Armee (FSA) will gegen die Islamisten bisher
nicht vorgehen. Und das, obwohl Isil einige FSA-Kommandeure ermordete
und ihnen wie "Ungläubigen" den Kopf abschnitt. Die einzigen, die es
wagen, sich gegen die Islamisten zu stellen, sind die Milizen der
kurdischen Minderheit in Syrien. Sie haben Isil und Jabhat al-Nursa aus
ihren Gebieten in Grenznähe zur Türkei gewaltsam vertrieben. "Wir müssen
zuerst Assad stürzen", erklärte ein FSA-Kommandant in Aleppo. "Danach
werfen wir al-Qaida aus unserem Land." Die Frage ist nur, ob es dafür
nicht irgendwann zu spät ist."
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