Donnerstag, 5. September 2013

"Er lügt, und er weiß, dass er lügt. Es ist traurig"

"Russlands Präsident Putin verschärft den Ton im Syrien-Streit: US-Außenminister Kerry bezichtigte er, bezogen auf die Rolle der al-Qaida im Bürgerkrieg, der Unwahrheit: "Sie lügen wunderschön."

Unmittelbar vor dem G-20-Gipfel in St. Petersburg hat Russland den Ton im Streit mit den USA über die Syrien-Krise verschärft. Präsident Wladimir Putin warf US-Außenminister John Kerry am Mittwoch vor, den Kongress in Washington über die Rolle der al-Qaida im Bürgerkrieg belogen zu haben. "Er lügt, und er weiß, dass er lügt", sagte Putin in Moskau. "Es ist traurig." Zuvor hatte Putin noch grundsätzlich Kompromissbereitschaft signalisiert, indem er im UN-Sicherheitsrat die Zustimmung zu einem Militärschlag nicht ausschloss, insofern es Beweise für die Verantwortung der syrischen Regierung gebe.
Am Donnerstag kommen in St. Petersburg die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zusammen. Erwartet wird, dass das eigentlich von Wirtschaftsthemen dominierte Treffen von der Syrien-Krise überlagert wird. Die US-Regierung ist entschlossen, Syrien notfalls auch ohne UN-Mandat anzugreifen. Putin warnte vor einem solchen Vorgehen und erklärte, dies käme einem Akt der Aggression gleich. Die syrische Regierung weist den Vorwurf zurück, Giftgas eingesetzt zu haben.
Putin verwies auf Kerrys Aussage zur Rolle der al-Qaida im Aufstand gegen Präsident Baschar al-Assad. Der Minister habe auf Anfrage eines Abgeordneten erklärt, die al-Qaida sei nicht beteiligt. "Sie lügen natürlich wunderschön", sagte Putin. Die Kämpfer der al-Qaida seien militärisch gesehen die wichtigste Säule des Aufstandes. Das wüssten auch die Amerikaner. Kerry war von einem Senator gefragt worden, ob es "im Wesentlichen wahr" sei, dass die syrische Opposition im Laufe der Zeit von der al-Qaida unterwandert worden sei. "Nein, das ist eigentlich im Wesentlichen nicht wahr. Es ist im Wesentlichen falsch", antwortete er.

Russland beschuldigt Rebellen für Angriff im März

Zuvor hatte Putin in einem Interview erklärt, Russland könne einem militärischen Einsatz mit UN-Mandat zustimmen, sollten Beweise für einen Giftgas-Angriff der syrischen Regierung vorliegen. Allerdings betonte er seine Zweifel, dass hinter dem mutmaßlichen Chemiewaffen-Einsatz Ende August die Assad-Regierung stehe. Russland hat im UN-Sicherheitsrat ein Veto-Recht und schützt damit seine Verbündeten in Damaskus vor Resolutionen. Putin wies darauf hin, dass auch die Rebellen als Verantwortliche für den Angriff infrage kämen.
Diese Haltung wurde durch einen vom russischen Außenministerium verbreiteten Expertenbericht gestützt, nach dem wahrscheinlich die Rebellen für einen Giftgaseinsatz im März in Aleppo verantwortlich seien. Eine dabei benutzte selbst hergestellte Waffe sei baugleich mit Waffen, wie sie die Rebellen herstellten, erklärte das Ministerium in Moskau.
"Es sieht derzeit sehr wenig nach einem russischen Einlenken dabei aus", erklärte in Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert. Das Auswärtige Amt kündigte an, Außenminister Guido Westerwelle werde Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Russland begleiten, um dort mit einigen Kollegen am Rande über das Syrien-Thema zu sprechen.

Für Obama ist Assad-Regime verantwortlich

Obama bezeichnet es als erwiesen, dass die syrische Regierung für den Gasangriff am 21. August nahe Damaskus verantwortlich ist, bei dem Hunderte Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Er erklärte in Schweden auf dem Weg zum G-20-Treffen, die Glaubwürdigkeit der Staatengemeinschaft stehe auf dem Spiel. Er werde nicht die Fehler wiederholen, die zum Einmarsch der USA in den Irak geführt hatten, versicherte er.
Frankreichs Ministerpräsident Jean-Marc Ayrault sagte vor dem Parlament in Paris, es gehe um die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft bei der Frage der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Die Botschaft an Staaten wie Iran und Nordkorea wäre ohne einen Angriff klar: "Ihr könnt weitermachen."
Obama hatte am Samstag einen Militärschlag überraschend vertagt und will nun erst den US-Kongress abstimmen lassen, obwohl er als Präsident einen begrenzten Einsatz anordnen könnte. Die Spitzen des Auswärtigen Ausschusses im Senat einigten sich am Dienstag auf einen Entwurf für den Einsatzrahmen. Allerdings zeigte sich der einflussreiche Republikaner John McCain am Mittwoch damit unzufrieden. Einigen Abgeordneten gehen die Vorschläge nicht weit genug, andere wollen gar keinen Militärschlag. Einer Reuters/Ipsos-Umfrage zufolge sind 56 Prozent der Amerikaner gegen einen Angriff und 19 Prozent dafür.

Russland schickt Raketenkreuzer ins Mittelmeer

Die USA haben zahlreiche Kriegschiffe in der Region, die einen Angriff mit Marschflugkörpern ausführen könnten. Auch Russland verstärkt seine Flotte im Mittelmeer: Die amtliche Nachrichtenagentur Interfax meldete, der Raketenkreuzer "Moskva" sei ins östliche Mittelmeer unterwegs und werde dort in zehn Tagen ankommen. Ein Zerstörer und eine Fregatte sollten dazustoßen. Das russische Verteidigungsministerium hatte die Flottenbewegungen in der vergangenen Woche als Routine bezeichnet.
Bei dem seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien sind schätzungsweise mehr als 100.000 Menschen ums Leben gekommen. Nach UN-Angaben ist mittlerweile fast ein Drittel der Bevölkerung auf der Flucht."


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