Mittwoch, 6. November 2013

"Welterbe-Stätten zerbombt, Kulturschätze verhökert"

"Es galt als eines der prominentesten Kulturdenkmäler Aleppos und als architektonisches Aushängeschild des mittelalterlichen Syrien. Mehr als 900 Jahre hielt das 45 Meter hohe Minarett der Omayyaden-Moschee in Aleppo den Gezeiten stand. Es überlebte Erdbeben, Eroberungen, Kriege.
Noch bis vor weniger als drei Jahren schlängelten sich jeden Tag riesige Touristengruppen durch den Hof der Moschee, um das erstaunliche Bauwerk zu sehen. Doch nichts ist mehr wie es einmal war. 2012 wurde das im Jahr 1095 erbaute Minarett zerbombt. Seitdem liegt es in Schutt und Asche.
Und es ist nicht der einzige Kulturschatz, der im syrischen Bürgerkrieg das Zeitliche gesegnet hat. Die berühmte Zitadelle Aleppos, für deren Erhalt sich seit 1993 auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), früher GTZ, einsetzte: in Trümmern.
Der Basar, mit zwölf Kilometern Länge einst der größte des Orients: ausgebrannt. Statt Touristen ziehen heute bewaffnete Gangs durch Aleppo, Panzer rollen durch die Straßen der Stadt.

Alle Unesco-Welterbestätten beschädigt

Noch vor wenigen Jahren lockte Syrien Besucher aus der ganzen Welt mit Kulturschätzen aus mehr als fünf Jahrtausenden an. Aramäer, Griechen, Römer, Byzantiner, Perser, Omayyaden, Kreuzritter und Ottomanen hinterließen im Land ihre Spuren.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 öffnete Präsident Bashar al-Assad Syrien langsam für den Tourismus, veranstaltete ein "Seidenstraßenfestival", um die Jahrtausende alte Geschichte seines Landes zu würdigen, und ließ antike Schätze restaurieren. Doch viele davon sind heute kaum noch wiederzuerkennen.
"Einige der Zerstörungen sind irreversibel", sagt Karim Hendili, bei der Unesco verantwortlich für die Welterbestätten im arabischen Raum. Insgesamt sechs Orte hat Syrien auf der Unesco-Liste. Alle sind beschädigt worden.
Vor allem die Altstadt von Aleppo hat wegen ihrer strategischen Lage große Schäden erlitten. "Die Kontrolle über das wirtschaftliche Zentrum Syriens ist für alle Kriegsparteien essenziell", sagt Hendili.

Mit Bomben und Mörsergranaten beschossen

Angesichts des menschlichen Leids stand der Schutz der syrischen Kulturgüter lange Zeit im Hintergrund, doch jetzt wird nach und nach das Ausmaß der Zerstörung deutlich. Bereits im Juni setzte die Unesco alle sechs Welterbestätten auf die Liste der gefährdeten Objekte.
Viele der Kulturdenkmäler wurden danach weiter beschädigt: Die fast 1000 Jahre alte Kreuzritterburg Krak des Chevaliers, ebenfalls Welterbe, soll der Freien Syrischen Armee als Unterschlupf gedient haben. Am 18. August wurde sie mehrfach von Bomben der Regierungstruppen getroffen.
Die sagenumwobene Wüstenstadt Palmyra in der syrischen Wüste, in der einst Königin Zenobia herrschte, wurde mit Mörsergranaten beschossen. Splittereinschläge an den Säulen des Baal-Tempels zeugen davon.

Banden plündern historische Stätten

Doch das weitaus größere Problem als die Zerstörungen an Gebäuden sind Raubgrabungen. Seit einigen Monaten registrieren die Unesco und der Internationale Museumsrat (ICOM) verstärkt Kulturdiebstähle. Ganze Banden plündern historische Stätten.
In der antiken Stadt Apamea im Orontes-Tal ist das komplette Grabungsfeld mit illegalen Grabungslöchern übersät. Satellitenbilder zeigen eine Kraterlandschaft wie auf dem Mond.
Erst Ende September hat der Internationale Museumsrat, der sich den Schutz kulturellen Erbes und die Bekämpfung des illegalen Handels zur Aufgabe gemacht hat, in New York eine Rote Liste der bedrohten syrischen Kulturgüter vorgestellt. Darauf stehen Vasen, Mosaike und Tonfiguren aus allen Epochen der Geschichte Syriens.

Mit dem Geld wird auch der Krieg finanziert

"Zwar sind zu Beginn des Bürgerkriegs viele Museen geräumt und die Bestände gesichert worden", sagt Dr. Thomas Schuler, Vorsitzender der Disaster Relief Task Force (DRTF) des Internationalen Museumsrats. Einige Museen wie die in Apamea und Dura Europos seien aber komplett geplündert worden.
Weitere spektakuläre Diebstähle habe es in Homs und Ragga gegeben. "Zum Teil ist das Gelegenheitskriminalität, zum Teil wird das Geld auch zur Finanzierung des Krieges verwendet", sagt Thomas Schuler.
Seine DRTF setzt sich aus Museumsexperten verschiedener Länder zusammen. Sie kümmern sich bei Naturkatastrohen und kriegerischen Auseinandersetzungen ehrenamtlich um bedrohte und geschädigte Kulturgüter. Seit der Gründung 2005 hatte die Organisation mit mehr als 30 Katastrophen und Kriegen zu tun. Der in Syrien zählt zu den schlimmsten.
Es sind schwierige Zeiten für das syrische Kulturerbe, denn wegen seiner großen Vielfalt ist es auf den Märkten sehr gefragt. Von der Roten Liste hat der Museumsrat 8000 Kopien auf Englisch, Arabisch, Französisch und Deutsch weltweit an Polizei- und Zollbehörden, Museen, Auktionshäuser und Händler verbreitet.
Das soll helfen, illegal gehandelte Objekte aus Syrien besser zu erkennen. "Weil ihre Herkunft nicht immer geklärt werden kann, setzen wir uns für einen totalen Stopp von Käufen solcher Objekte ein", sagt Prof. Dr. Hans-Martin Hinz, Präsident des Internationalen Museumsrats. Dennoch gelangen immer wieder gestohlene Gegenstände an zahlungskräftige Käufer im Ausland.

Rote Listen helfen beim Aufspüren

Insgesamt 13 Rote Listen hat der Museumsrat seit dem Jahr 2000 veröffentlicht, unter anderen für den Irak, Afghanistan, Kolumbien und Haiti. Immerhin konnte die französische Polizei 2012 mit deren Hilfe 13 teilweise mehr als 4000 Jahre alte Tontafeln an den Irak zurückgeben.
Vor einigen Jahren bereits identifizierte Scotland Yard anhand der Roten Liste für bedrohte afghanische Kulturgüter am Flughafen Heathrow 1500 archäologische Fundstücke mit einem Gesamtgewicht von 3,4 Tonnen und sandte sie zurück nach Kabul.
Gemeinsam mit der Kulturgutschutz-Dachorganisation Blue Shield wirkt der Museumsrat auch an der Erstellung einer so genannten "No Strike List" mit, die seit 2011 der Nato zur Verfügung gestellt wird. Diese enthält die Koordinaten bedeutsamer Kulturdenkmäler.
"Das war im Fall Libyen ein sehr effizientes Instrument", sagt Thomas Schuler. "Trotz vieler hundert Luftangriffe kam unseres Wissens nach kein einziges Kulturobjekt zu Schaden."

Sind Kulturgüter bei all dem Leiden wichtig?

Es fällt schwer, bei all dem menschlichen Leid an Kulturgüter zu denken. Doch viele Experten sind davon überzeugt, dass deren Erhalt beinahe so wichtig ist wie die Rettung von Menschenleben.
Das kulturelle Erbe sei untrennbar mit den Menschen verbunden, heißt es bei der Unesco. "Wenn Kulturgut in einem vom Krieg betroffenen Land Schaden nimmt, kann das bedeutende Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis der gesamten Bevölkerung haben", sagt auch Museumsratspräsident Hans-Martin Hinz.
Der Erhalt des Erbes sei ein entscheidender Faktor, um den kulturellen Wohlstand eines Landes zu schützen, seine Offenheit gegenüber der Welt zu wahren und um den Tourismus zu fördern. "Und der ist unerlässlich für den potenziellen Wiederaufbau."

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