"Es galt als eines der
prominentesten Kulturdenkmäler Aleppos und als architektonisches
Aushängeschild des mittelalterlichen Syrien. Mehr als 900 Jahre hielt
das 45 Meter hohe Minarett der Omayyaden-Moschee in Aleppo den Gezeiten
stand. Es überlebte Erdbeben, Eroberungen, Kriege.
Noch bis vor
weniger als drei Jahren schlängelten sich jeden Tag riesige
Touristengruppen durch den Hof der Moschee, um das erstaunliche Bauwerk
zu sehen. Doch nichts ist mehr wie es einmal war. 2012 wurde das im Jahr
1095 erbaute Minarett zerbombt. Seitdem liegt es in Schutt und Asche.
Und es ist nicht der einzige Kulturschatz, der im syrischen Bürgerkrieg
das Zeitliche gesegnet hat. Die berühmte Zitadelle Aleppos, für deren
Erhalt sich seit 1993 auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ), früher GTZ, einsetzte: in Trümmern.
Der Basar, mit
zwölf Kilometern Länge einst der größte des Orients: ausgebrannt. Statt
Touristen ziehen heute bewaffnete Gangs durch Aleppo, Panzer rollen
durch die Straßen der Stadt.
Alle Unesco-Welterbestätten beschädigt
Noch vor wenigen
Jahren lockte Syrien Besucher aus der ganzen Welt mit Kulturschätzen
aus mehr als fünf Jahrtausenden an. Aramäer, Griechen, Römer,
Byzantiner, Perser, Omayyaden, Kreuzritter und Ottomanen hinterließen im
Land ihre Spuren.
Nach dem Tod
seines Vaters im Jahr 2000 öffnete Präsident Bashar al-Assad Syrien
langsam für den Tourismus, veranstaltete ein "Seidenstraßenfestival", um
die Jahrtausende alte Geschichte seines Landes zu würdigen, und ließ
antike Schätze restaurieren. Doch viele davon sind heute kaum noch
wiederzuerkennen.
"Einige der
Zerstörungen sind irreversibel", sagt Karim Hendili, bei der Unesco
verantwortlich für die Welterbestätten im arabischen Raum. Insgesamt
sechs Orte hat Syrien auf der Unesco-Liste. Alle sind beschädigt worden.
Vor allem die
Altstadt von Aleppo hat wegen ihrer strategischen Lage große Schäden
erlitten. "Die Kontrolle über das wirtschaftliche Zentrum Syriens ist
für alle Kriegsparteien essenziell", sagt Hendili.
Mit Bomben und Mörsergranaten beschossen
Angesichts des
menschlichen Leids stand der Schutz der syrischen Kulturgüter lange Zeit
im Hintergrund, doch jetzt wird nach und nach das Ausmaß der Zerstörung
deutlich. Bereits im Juni setzte die Unesco alle sechs Welterbestätten
auf die Liste der gefährdeten Objekte.
Viele der
Kulturdenkmäler wurden danach weiter beschädigt: Die fast 1000 Jahre
alte Kreuzritterburg Krak des Chevaliers, ebenfalls Welterbe, soll der
Freien Syrischen Armee als Unterschlupf gedient haben. Am 18. August
wurde sie mehrfach von Bomben der Regierungstruppen getroffen.
Die
sagenumwobene Wüstenstadt Palmyra in der syrischen Wüste, in der einst
Königin Zenobia herrschte, wurde mit Mörsergranaten beschossen.
Splittereinschläge an den Säulen des Baal-Tempels zeugen davon.
Banden plündern historische Stätten
Doch das
weitaus größere Problem als die Zerstörungen an Gebäuden sind
Raubgrabungen. Seit einigen Monaten registrieren die Unesco und der
Internationale Museumsrat (ICOM) verstärkt Kulturdiebstähle. Ganze
Banden plündern historische Stätten.
In der antiken
Stadt Apamea im Orontes-Tal ist das komplette Grabungsfeld mit illegalen
Grabungslöchern übersät. Satellitenbilder zeigen eine Kraterlandschaft
wie auf dem Mond.
Erst Ende
September hat der Internationale Museumsrat, der sich den Schutz
kulturellen Erbes und die Bekämpfung des illegalen Handels zur Aufgabe
gemacht hat, in New York
eine Rote Liste der bedrohten syrischen Kulturgüter vorgestellt. Darauf
stehen Vasen, Mosaike und Tonfiguren aus allen Epochen der Geschichte
Syriens.
Mit dem Geld wird auch der Krieg finanziert
"Zwar sind zu
Beginn des Bürgerkriegs viele Museen geräumt und die Bestände gesichert
worden", sagt Dr. Thomas Schuler, Vorsitzender der Disaster Relief Task
Force (DRTF) des Internationalen Museumsrats. Einige Museen wie die in
Apamea und Dura Europos seien aber komplett geplündert worden.
Weitere
spektakuläre Diebstähle habe es in Homs und Ragga gegeben. "Zum Teil ist
das Gelegenheitskriminalität, zum Teil wird das Geld auch zur
Finanzierung des Krieges verwendet", sagt Thomas Schuler.
Seine DRTF
setzt sich aus Museumsexperten verschiedener Länder zusammen. Sie
kümmern sich bei Naturkatastrohen und kriegerischen Auseinandersetzungen
ehrenamtlich um bedrohte und geschädigte Kulturgüter. Seit der Gründung
2005 hatte die Organisation mit mehr als 30 Katastrophen und Kriegen zu
tun. Der in Syrien zählt zu den schlimmsten.
Es sind
schwierige Zeiten für das syrische Kulturerbe, denn wegen seiner großen
Vielfalt ist es auf den Märkten sehr gefragt. Von der Roten Liste hat
der Museumsrat 8000 Kopien auf Englisch, Arabisch, Französisch und
Deutsch weltweit an Polizei- und Zollbehörden, Museen, Auktionshäuser
und Händler verbreitet.
Das soll
helfen, illegal gehandelte Objekte aus Syrien besser zu erkennen. "Weil
ihre Herkunft nicht immer geklärt werden kann, setzen wir uns für einen
totalen Stopp von Käufen solcher Objekte ein", sagt Prof. Dr.
Hans-Martin Hinz, Präsident des Internationalen Museumsrats. Dennoch
gelangen immer wieder gestohlene Gegenstände an zahlungskräftige Käufer
im Ausland.
Rote Listen helfen beim Aufspüren
Insgesamt 13
Rote Listen hat der Museumsrat seit dem Jahr 2000 veröffentlicht, unter
anderen für den Irak, Afghanistan, Kolumbien und Haiti. Immerhin konnte
die französische Polizei 2012 mit deren Hilfe 13 teilweise mehr als 4000
Jahre alte Tontafeln an den Irak zurückgeben.
Vor einigen
Jahren bereits identifizierte Scotland Yard anhand der Roten Liste für
bedrohte afghanische Kulturgüter am Flughafen Heathrow 1500
archäologische Fundstücke mit einem Gesamtgewicht von 3,4 Tonnen und
sandte sie zurück nach Kabul.
Gemeinsam mit
der Kulturgutschutz-Dachorganisation Blue Shield wirkt der Museumsrat
auch an der Erstellung einer so genannten "No Strike List" mit, die seit
2011 der Nato zur Verfügung gestellt wird. Diese enthält die
Koordinaten bedeutsamer Kulturdenkmäler.
"Das war im
Fall Libyen ein sehr effizientes Instrument", sagt Thomas Schuler.
"Trotz vieler hundert Luftangriffe kam unseres Wissens nach kein
einziges Kulturobjekt zu Schaden."
Sind Kulturgüter bei all dem Leiden wichtig?
Es fällt
schwer, bei all dem menschlichen Leid an Kulturgüter zu denken. Doch
viele Experten sind davon überzeugt, dass deren Erhalt beinahe so
wichtig ist wie die Rettung von Menschenleben.
Das kulturelle
Erbe sei untrennbar mit den Menschen verbunden, heißt es bei der Unesco.
"Wenn Kulturgut in einem vom Krieg betroffenen Land Schaden nimmt, kann
das bedeutende Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis der gesamten
Bevölkerung haben", sagt auch Museumsratspräsident Hans-Martin Hinz.
Der Erhalt des
Erbes sei ein entscheidender Faktor, um den kulturellen Wohlstand eines
Landes zu schützen, seine Offenheit gegenüber der Welt zu wahren und um
den Tourismus zu fördern. "Und der ist unerlässlich für den potenziellen
Wiederaufbau."
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