Auch wenn er hier die Schlagzeilen nicht mehr dominiert, dauert
der Krieg in Syrien unvermindert an. In der vergangenen Woche sind an
einem Tag 170 Kurden im Norden des Landes von islamistischen Kämpfern
gekidnappt worden. Seit Anfang November insgesamt 300. Können Sie etwas
zum Verbleib der Entführten sagen?
Nach unsere
Informationen sind ungefähr 30 der Entführten zum Glück inzwischen
wieder frei gekommen. Wie weit dabei Lösegelder gezahlt wurden, ist mir
nicht bekannt. Die anderen sind in Dörfern gefangen, die vollständig
unter der Kontrolle von Al-Qaida-nahen Gruppen stehen. Die Befreiten
haben erzählt, dass diese Gefangenen dort auch Foltern ausgesetzt sind.
Ich habe selber in Rojava mit einer ganzen Reihe von Leuten gesprochen,
die eine Zeitlang Geiseln der Islamisten gewesen sind, die erzählten
alle von Misshandlungen und davon, dass vor allem verschleppte Frauen
dort zu einer Art religiös verbrämten Form der Vergewaltigung gezwungen
werden. Sie werden dann von einem dschihadistischen Kämpfer zum nächsten
weiter gereicht, für eine Nacht geheiratet und dann wieder verstoßen.
Welches Ziel verfolgen die Entführer?
Zum
einen geht es tatsächlich, ich sage mal, um normale kriminelle
Machenschaften. Sie wollen zu Geld kommen. Es läuft also ganz viel
darüber, dass Geiseln genommen werden, um dann die Familien zu
erpressen. Das passiert sehr oft auch bei christlichen Familien. Das
andere ist, dass dort dann die kurdischen Familien, oder auch arabische
Familien, es gibt ja auch viele arabische Geiseln, so unter Druck
gesetzt werden sollen, dass sie eben nicht mit der kurdisch dominierten
Volksrätebewegung und mit den vor allem kurdischen
Selbstverteidigungseinheiten zusammenarbeiten. Ein drittes Ziel ist wohl
inzwischen, dass sich die Islamisten auch absichern gegenüber den eher
pro-westlichen Teilen der sogenannten syrischen Opposition, also der
Freien Syrischen Armee, dass sie also von deren Seite jetzt keine
Übergriffe zu befürchten haben.
Was ist über die Entführer bekannt, aus welchen Gruppen setzten sie sich zusammen?
Inzwischen
ist es im wesentlichen die Gruppe ISIS, das steht für "Islamischer
Staat im Irak und Großsyrien". Das ist eine Al-Qaida-Gruppe, es gibt da
noch eine zweite Al-Qaida-Strömung, die Nusra-Front, die beiden
verfolgen die selben Ziele, aber sind, was ihre Führer betrifft,
untereinander zerstritten. Es gibt aber auch noch kleinere kurdische
Gruppen, die dem Präsidenten der kurdischen Autonomieregion im Irak,
Barzani, nahestehen oder auch kurdische Gruppen, die mit der Türkei
zusammenarbeiten, die sich hier an diesen Übergriffen, auch an diesen
Geiselnahmen immer wieder beteiligt haben. Das sind Gruppen, die auf
diese Weise wettmachen wollen, dass sie selber in der Bevölkerung in
Rojava eigentlich über gar keinen Einfluss verfügen.
Gibt es Informationen über die Stärke dieser islamistischen Verbände in den kurdischen Gebieten?
Ganz
schwer zu sagen. Es sind Tausende, auf jeden Fall. Es wurde mehrfach
beobachtet, wie manchmal mehrere tausend auf einmal über die türkische
Grenze gekommen sind. Die sind dann oft nicht direkt in die kurdischen
Gebiete rein, sondern man muss sich die kurdischen Gebiete ja so
vorstellen: das sind drei voneinander getrennte Enklaven, und zwischen
diesen mehrheitlich kurdisch besiedelten Enklaven sind eine ganze Reihe
arabisch besiedelter Dörfer und Kleinstädte, und vor allem da haben sich
die Islamisten jetzt erstmal festgesetzt. Sie hatten dort auch, oder
haben zum Teil auch noch die Unterstützung einiger lokaler Stämme, die
mit ihnen zusammenarbeiten. Wobei diese Unterstützung nach allem, was
man hört, schwindet, sobald diese arabischen Bewohner ihre Erfahrungen
machen mit dem Terrorregime, das die Islamisten dort errichten.
Aber
wenn es so große Verbände sind, dann muss dahinter doch auch eine
staatliche Struktur stehen, die sie fördert und finanziert?
Zum
einen sind das natürlich Saudi-Arabien oder Katar, von dort werden sie
unterstützt, von dort kommen Waffen, von dort kommt Geld. Das andere ist
aber die Türkei. Die Türkei hat diese Gruppen in der Vergangenheit ganz
erheblich gefördert, um auf diese Weise zu verhindern, dass die Kurden
sich hier direkt in unmittelbarer Nähe der türkischen Grenze eine
selbstverwaltete Region schaffen. Es gibt einen regelrechten
Dschihad-Tourismus nach Syrien, und da laufen ganz viele Routen über die
Türkei. Mit Wissen des Innenministeriums konnten diese Dschihadisten
dann in die Lager, zum Teil auch in die sogenannten Flüchtlingslager in
Grenznähe, gehen. Sie bekommen dort eine Ausbildung, sie wurden dort
unterstützt mit Waffen, mit Munition, mit allem, was sie brauchten. Ich
habe mit vielen Augenzeugen geredet, die wirklich mitbekommen haben, wie
zum Beispiel in der Stadt Sirikani oder Ra´s al Ayn Dschihadisten mit
Panzern ganz offiziell über die türkische Grenze gekommen sind. Sie
haben ihre Verletzten in türkischen Krankenwagen dann wieder über die
Grenze zurück in die Türkei gebracht. Diese Stadt ist inzwischen befreit
worden, aber man sieht an den Wänden überall noch die Parolen der
Dschihadisten, dort steht dann: Al-Qaida ist unsere Vertretung, Grüße an
die Taliban, wir kommen, um zu schlachten, ähnliches zum Teil in Blut
geschrieben. Und in den Häusern, die den Islamisten vorher als Zentrale
dienten, findet man noch eine ganze Menge Lebensmittelkartons, alle aus
der Türkei. Es sind also Lebensmittel, die in Syrien so nicht erhältlich
sind oder sehr teuer wären, also auch da sieht man, wo die
Unterstützung, wo die logistische Unterstützung bisher hergekommen ist.
Es wurden jetzt auch in den letzten Wochen erstmals ein paar
Waffenlieferungen an Islamisten in der Türkei gestoppt. Die türkische
Presse bringt das gleich immer recht groß, dahinter steckt meiner
Ansicht nach, dass inzwischen einige eigentlich Verbündete der Türkei,
einige Nato-Verbündete und EU-Verbündete, Druck auf die Türkei ausüben,
diese direkte Unterstützung von al-Qaida einzustellen. Denn in Ländern
wie Deutschland herrscht die Sorge vor, dass Dschihadisten aus Europa
dort zwar in den Krieg gehen, aber dann gut ausgebildet und hoch
motiviert zurückkommen, um Anschläge auch auf westliche Ziele zu
verüben, und deswegen gab es jetzt Kritik an der türkischen Regierung.
Offenbar ist die Unterstützung momentan ein bisschen zurückgegangen. Das
erklärt auch, warum sowohl die syrische Armee um Damaskus herum, wie
auch die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten in letzter Zeit einige
Dörfer oder auch Kleinstädte zurückerobern konnten.
Sie
haben bei Ihrem letzten Besuch in den kurdischen Gebieten auch mit
gefangen genommenen islamistischen Kämpfern gesprochen. Was für einen
Eindruck haben die Kämpfer auf Sie gemacht? Was hat die motiviert?
Ich
muss korrigieren: Ich habe jetzt nicht selber mit den gefangen
genommenen Kämpfern sprechen können, aber ich habe mit denen gesprochen,
die sie gefangen genommen haben, und habe dann auch die Protokolle von
Vernehmungen gesehen. Da war erstmal sehr interessant. Viele dieser
Kämpfer waren ja keine Syrer, sondern es ist wirklich ein
Dschihad-Tourismus aus aller Welt. Die werden dort über
Söldner-Agenturen hingebracht. Uns wurde also auch von Opfern von
Massakern, von Überlebenden berichtet, dass einige, die dort
geschlachtet haben, blonde Deutsche gewesen sind. Oder uns wurde
erzählt, dass in die Kämpfe auch Chinesen verwickelt waren, also ich
vermute Angehörige der muslimisch-uigurischen Minderheit. Viele dieser
Dschihadisten wussten offenbar gar nicht, wo sie dort genau kämpfen. Wir
haben Erzählungen gehört, dass die Leute dann, wenn sie gefangen
genommen wurden und in die Städte gebracht wurden, sehr erstaunt waren,
als sie den Muezzinruf hörten. Ich meine, die Kurden sind mehrheitlich
Muslime, und dann haben diese Dschihadisten gesagt, ja seid ihr denn
keine Juden? Wieso habt ihr denn einen Muezzinruf? Man hat diesen
Dschihadisten also vorher gesagt ihr kommt nach Scham. Scham heißt
Großsyrien, das ist also die ganze Region von der irakischen Grenze bis
Jordanien, einschließlich Israel und Palästina, und diese Dschihadisten
dachten, dort kommt es jetzt zum Endkampf und ihre Gegner werden
selbstverständlich Juden sein. Also es gab da eine ganze Reihe
Islamisten die sich dann, als sie gemerkt haben, dass sie in
Wirklichkeit gegen größtenteils auch gläubige Muslime gekämpft haben,
sich losgesagt haben von diesen dschihadistischen Gruppen. Man hat diese
Leute dann meistens auch frei gelassen, damit sie, gerade wenn es sich
selber auch um Kurden oder Türken handelte, oder um Araber aus Syrien,
wieder in ihre Heimatstädte gehen konnten.
Sie
haben es angesprochen: in den kurdischen Dörfern und Städten wurden
sogenannte Verteidigungskräfte, Verteidigungsmilizen gegründet, um den
Vormarsch der Islamisten zu stoppen. Man möchte sich nicht
auf Seiten der Oppositionskräfte positionieren, die da gebildet werden
von der Freien Syrischen Armee. Möchte sich auch nicht auf der Seite der
syrischen Regierungstruppen wiederfinden, deshalb diese eigenen Kräfte.
Wie stark schätzen Sie diese ein?
Erstmal
wollen wir dazu sagen: diese Kräfte wurden ja tatsächlich nicht nur
gegen die Islamisten gegründet, sondern die Wurzeln dieser
Selbstverteidigungskräfte liegen noch vor Beginn des syrischen
Aufstandes, wenn man es so nennen will, als es in den kurdischen
Gebieten immer wieder Auseinandersetzungen zwischen protestierenden
Kurden und der Baath-Regierung gab, da wurden schon erste bewaffnete
Gruppen aufgebaut. Damals noch zum Schutz der Bevölkerung vor der
Baath-Regierung, aber man muss sagen, diese Gruppen haben im Grunde
genommen später nie wirklich gegen die syrische Armee kämpfen müssen.
Die syrische Armee hat sich aus diesen Gebieten größtenteils
zurückgezogen, weil es dort eben nicht zu gewaltsamen Demonstrationen
kam wie in den anderen Landesteilen, und stattdessen standen diese
Gruppen dann tatsächlich vor allem den dschihadistischen Angreifern,
aber auch Einheiten der Freien Syrischen Armee gegenüber. Inzwischen
gehören wohl zu diesen Selbstverteidigungseinheiten, oder sie nennen
sich Volksverteidigungseinheiten, YPG ist die kurdische Abkürzung,
diesen Gruppen nach Aussagen ihres Sprechers 45.000 Männer und Frauen.
an. Also ungefähr ein Drittel der KämpferInnen sind Frauen. Das ist
sicher auch für den Nahen Osten, für Syrien eine ganz besondere Sache.
Es ist auch gar nicht mehr richtig zu sagen, dass das kurdische Milizen
sind, denn inzwischen gibt es innerhalb dieser Milizen Angehörige der
verschiedenen christlichen Minderheiten, Syrer, Aramäer und andere. Es
gibt eine ganze Reihe Araber, und vor allem in Regionen, in denen
mehrheitlich arabische Dörfer sind, wurden inzwischen auch rein
arabische Einheiten dieser YPG aufgestellt, weil auch die Kurden sagen,
wir wollen auf gar keinen Fall, dass es so erscheint, als ob wir jetzt
eine kurdische Herrschaft über andere Völker errichten. Die YPG
bezeichnen sich selber inzwischen als multiethnische und multireligiöse
Verteidigungseinheit aller Völker in Rojava. Und man muss auch noch
hinzufügen: es heißt oft in der westlichen Presse, die YPG wäre eine
Parteimiliz der in Rojava dominanten Partei der Demokratischen Union,
der PYD. Die PYD war sicherlich die Partei, die am Anfang diese Gruppen
gegründet hat, aber inzwischen findet man in diesen Milizen auch
Mitglieder von sozialdemokratischen Parteien, von kommunistischen
Parteien, findet inzwischen selbst Angehörige von Parteien, die
eigentlich der PYD feindlich gegenüber stehen. Die sagen sich jetzt
allerdings: diese Selbstverteidigungseinheiten sind unser einziger
Schutz, um hier nicht alle von den Islamisten geköpft zu werden, und
dafür sind wir also auch bereit, uns diesen Einheiten anzuschließen,
auch wenn wir mit der PYD selber große Probleme haben.
Es
gibt Berichte, dass sich Angehörige der Freien Syrischen Armee, die
ursprünglich einmal aus den syrischen Regierungstruppen desertiert
waren, mittlerweile der Freien Syrischen Armee den Rücken gekehrt haben
und entweder die Waffen niedergelegt haben oder sogar wieder auf Seiten
der Regierung, auf Seiten Assads, kämpfen, weil sie diesen Vormarsch der
Islamisten eben beobachten und fürchten. Glauben Sie, die Kurden sind
bereit, hier Seite an Seite gemeinsam gegen die islamistische Dominanz
zu streiten?
Die Frage heißt, was bedeutet
Seite an Seite? Es ist jetzt schon natürlich faktisch so: in einigen
Landesteilen kämpft die syrische Armee gegen die Islamisten, in anderen
Landesteilen kämpfen die mehrheitlich kurdischen Milizen dagegen, und in
der Stadt Qamischli, als einziger Stadt in Rojava, sind auch noch
Truppen der syrischen Armee stationiert, und ich habe mit eigenen Augen
gesehen, wie hier syrische Armeeeinheiten und YPG sich sozusagen auf den
selben Plätzen bewegten. Man ignoriert sich, würde ich mal sagen. Man
kämpft gegen dieselben Ziele, aber man ignoriert sich, und es gibt
entgegen anders lautender Gerüchte kein Bündnis zwischen den kurdischen
Einheiten und der Regierungsarmee. Aber es wird momentan auch eigentlich
nicht gegeneinander gekämpft. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass
es hier zu einer wirklichen gemeinsamen Kampffront kommen wird. Weil es
da einfach zu viele schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit gibt,
aber es ist faktisch momentan so, dass beide Seiten, die Kurden und die
Regierungskräfte, erstmal eben nicht aufeinander losgehen, ihre
Differenzen hinten anstellen und tatsächlich einen gemeinsamen Feind
bekämpfen. Als ich in Qamischli gewesen bin, hörte man in einer Nacht
plötzlich schwere Detonationen, und uns wurde erzählt, dass von der
einzigen Kaserne, die es überhaupt noch in Rojava gibt, in der noch die
syrische Armee ist, schwere Raketen abgeschossen wurden auf zwanzig
Kilometer entfernte Stellungen von al-Qaida, und ich muss sagen, ich
habe keinen Kurden getroffen, der darüber traurig war.
Im
Syrienkonflikt hat mittlerweile Russland die Rolle des Vermittlers
übernommen. Durch das Agieren der russischen Außenpolitik sind
Friedensgespräche im Januar in Genf geplant. Haben die kurdischen
Kräfte, die PYD, Kontakte nach Moskau? Gibt es da Gespräche?
Ja.
Man muss sogar sagen: Russland war überhaupt eines der ersten Länder,
dessen Regierung bereit war, mit der PYD, also mit der führenden
kurdischen Partei, Gespräche aufzunehmen, während in anderen Ländern es
immer noch hieß: naja, die sind ja halb terroristisch oder so, hat die
russische Regierung gleich mal den PYD-Vorsitzenden Sali Muslim
empfangen. Es gibt regelmäßig Gespräche, es gibt Signale aus Russland,
dass Russland tatsächlich ein großes Interesse daran hat, dass die
Kurden und nicht nur die Kurden, sondern überhaupt auch die syrische
Inlandsopposition, das ist ein Bündnis, dem auch die PYD mit angehört,
dass diese in Genf vertreten sein werden. Die Kontakte übrigens zwischen
der PYD und Russland gehen durchaus weiter. Heute gab es gerade ein
Treffen von Mitgliedern der PYD-Führung und der russisch-orthodoxen
Kirche in Russland. Die orthodoxe Kirche zeigte sich offensichtlich auch
besorgt über die Situation der orthodoxen Christen in Syrien, in
Rojava. Und es ist ja die PYD und die ihnen nahestehenden
Verteidigungseinheiten, die eben dort auch den Schutz christlicher
Kirchen inzwischen übernommen haben. Ich habe selber Kirchen dort
besichtigt, die befreit wurden von den kurdischen Milizen. An der Tür
sah man noch Einschüsse und das Logo von al-Qaida, und die Priester
haben uns dann gesagt: jetzt, unter dem Schutz der kurdischen Milizen,
haben wir keine Angst mehr, wir können unseren Glauben jetzt hier frei
ausüben. Aber ohne den Schutz der Kurden wären wir den Islamisten
hilflos ausgeliefert.
Ähnliche Berichte gibt es
ja auch aus den von den Regierungstruppen kontrollierten Gebieten, wo
Christen die aus den Gebieten, die von der Freien Syrischen Armee oder
den Islamisten kontrolliert werden, vertrieben wurden. Welche Hoffnung
haben die Kurden mit Blick auf die Gespräche in Genf im Januar?
Eine
Hoffnung ist erstmal, dass es in irgendeiner Form Frieden geben wird.
Wenn man sich die kurdischen Gebiete anschaut; sie sind eigentlich einem
Krieg hilflos ausgeliefert. Das sind eben drei voneinander getrennte
Enklaven, von denen zwei außer nach Syrien nur noch Zugang zur Türkei
haben, und die dritte Enklave, auch noch in den Irak, beziehungsweise
die dortigen kurdischen Gebiete. Diese Region leidet unter einem
Hungerembargo. Frieden ist einfach auch eine Notwendigkeit, um in diesen
Gebieten die Selbstverwaltung weiter zu entwickeln, und es ist klar,
wenn man einen Blick auf die Landkarte wirft, dass hier separatistische
Projekte überhaupt niemanden in den Sinn kommen können, gerade weil es
eben diese getrennten Enklaven sind. Im Gegenteil muss eine Lösung
eigentlich eine syrische Lösung sein, und deswegen ist die Hoffnung der
PYD, dass sie sagen: wir wollen dort als kurdische Delegation hingehen.
Wir wollen im Rahmen des hohen kurdischen Rates hingehen, also eines
Rates, in dem nicht nur die PYD vertreten ist, sondern auch andere zum
Teil der PYD feindlich gegenüber stehende kurdische Parteien. Die Kurden
wollen eins auf gar keinen Fall: sie sagen, wir wollen kein zweites
Lausanne und nehmen damit Bezug auf die Lausanne-Friedenskonferenz 1923
mit der ja der Erste Weltkrieg auch im Osten beendet wurde. Damals saß
die siegreiche kemalistische Türkei, also die im Befreiungskrieg
siegreiche kemalistische Türkei, den Alliierten gegenüber. Alle redeten
über die Kurden, alle redeten im Namen der Kurden, Kurden waren aber
nicht vertreten. Die kurdischen Siedlungsgebiete wurden damals
viergeteilt, auf Iran, Irak, Syrien und die Türkei, und seitdem haben
die Kurden eben in diesen Ländern überall keinen echten Status mehr.
Darum heißt es jetzt, wir werden nicht mehr zulassen, dass es ein
zweites Lausanne gibt, dass hier andere über uns reden, wir wollen, dass
die Rechte der Kurden anerkannt werden, das ist das eine. Das andere
ist aber, dass die PYD auch sagt, wir wollen auf dieser Konferenz auch
zeigen, dass das, was wir in Rojava aufbauen, eine demokratische
Selbstverwaltung, die alle religiösen Gruppen, alle ethnischen
Minderheiten miteinbezieht, dass das auch ein Modell sein kann für ein
zukünftiges demokratisches Syrien. Wir wollen unser Modell auch anbieten
als eine Lösung für die anderen Landesteile. Aber die große Hoffnung
ist eben, dass es in Genf erstmal zu einer Einigung kommt, mit der die
Gewalt, mit der der Krieg zurückgedrängt werden kann. Ich denke, das
kann erstmal nur heißen, es ist die Hoffnung, dass da auch ein Beschluss
kommt: keine weiteren Waffenlieferungen mehr an die freie syrische
Armee, an die Islamisten und andere kämpfende Gruppen im Land.
Aber
ist es eine Forderung der Kurden, die Waffenlieferungen an die
Assad-Gegner, wie sie hierzulande ja bezeichnet werden, einzustellen?
Ja.
Diese Forderung gibt es definitiv. Auch in Rojava selber haben wir oft
gefragt: was sollen wir in Europa machen, was erwartet ihr von uns? Und
die Leute haben uns immer gesagt, nur wir können uns selber hier
eigentlich ganz gut helfen, wir können uns auch soweit verteidigen, aber
erzählt in Europa einmal, was diese Leute, die in euren Zeitungen als
Freiheitskämpfer gefeiert werden, was die hier mit den Waffen machen,
die sie aus Europa kriegen. Sie haben dort über al-Qaida, über die freie
syrische Armee geredet, die dort Barbareien begehen, Terrorregime in
ganzen Regionen aufbauen und dafür die Waffen nutzen die sie eben auch
aus der EU bekommen. Also fordern die Kurden definitiv auch ein Ende
dieser Waffenlieferungen. Die PYD ist ja Teil der Inländischen
Opposition, also des Koordinationskommittees für demokratischen Wandel,
dem verschiedene arabische, sozialistische, linke und laizistische
Parteien angehören, und diese Inlandsopposition hat ja als eine ihrer
zentralen Forderungen von Anfang an gehabt: keine Gewalt. Wir wollen
einen Wandel, einen demokratischen Wandel in Syrien, aber keine Gewalt,
keine äußere Intervention, egal ob durch Waffenlieferungen oder direkt
durch den Militäreinmarsch der Nato, und keine ethnisch-religiöse
Spaltung. Und mit diesen Forderungen wird natürlich die kurdische
Delegation, wenn sie denn als solche zugelassen wird, auch in Genf
auftreten.
Der Syrienkonflikt ist im
wesentlichen ja ein internationaler. Sie haben gesagt, Saudi-Arabien,
Katar unterstützten die islamistischen Aufständischen, die CIA hat
Trainingsprogramme in jordanischen Flüchtlingslagern eingerichtet, die
EU leistet ihre Beiträge. Wie realistisch ist denn diese Hoffnung, die
da auf Genf gesetzt wird?
Ich bin persönlich
sehr skeptisch. Denn das Problem ist erstmal, dass jetzt noch gar nicht
klar ist, wer überhaupt in Genf vertreten sein wird. Welche
Oppositionsgruppen oder sogenannten Oppositionsgruppen werden dort
vertreten sein? Es ist nicht klar, in welcher Form die Kurden vertreten
sein werden. Die Barzani-Anhänger probieren ja gerade, sich mit den
Moslembrüdern zu einigen, gleichzeitig gibt es Versuche, dass die
kurdischen Parteien untereinander sich einigen, um im Rahmen des hohen
kurdischen Rates zu kommen. Von westlicher Seite hört man, dass die am
liebsten einfach nur die Koordination der syrischen Opposition dort
haben wollen, also eigentlich diese westlich unterstützte
Auslandsopposition. Keiner weiß also genau, wer dann dort am Tisch
sitzen wird. So viel kann man, denke ich, jetzt schon sagen: nicht am
Tisch sitzen werden genau die Kräfte, die momentan den Krieg forcieren:
al-Qaida oder die ganzen Einheiten der freien syrischen Armee, die
inzwischen sich eben auch ganz offen gegen den Westen positioniert
haben, die jetzt gemeinsam mit al-Qaida und anderen eine islamische
Kampffront gründen. Diese Gruppen werden erstmal, denke ich, nicht
eingeladen, und zum zweiten haben sie auch gesagt, sie haben gar nicht
vor, an dieser Konferenz teilzunehmen. Sie sagen offen: ihr Ziel ist die
Errichtung eines islamischen Staates in Syrien, und diese Gruppen
werden weiter kämpfen. Also drum sage ich mal: wenn, dann können andere
Teilnehmer dieser Konferenz sicherlich Forderungen haben. keine Waffen
mehr an diese Gruppen, es kann vielleicht Druck ausgeübt werden auf die
Türkei. hier endgültig die Waffenkanäle dicht zu machen, dass dort
nichts mehr geliefert wird. Aber ich bin persönlich trotzdem sehr
skeptisch, was aus dieser Konferenz herauskommt, ich denke man muss auch
einfach sehen: die Hintergründe der Konferenz, dass sie überhaupt
möglich wird, die USA hatten gehofft, sie könnten relativ schnell Assad
stürzen, sie haben dann gemerkt, das war doch nicht so möglich, Assad
hat mehr Verankerung unter der Bevölkerung als gedacht. Zumindestens ist
es so, dass auch viele Assad-Gegner sich inzwischen dafür entschieden
haben, dass Assad das kleinere Übel ist gegenüber den Halsabschneidern
von al-Qaida, die die Alternative darstellen, und die USA sehen es nicht
mehr als möglich an, so schnell hier ein Regimechange durchzuführen.
Sehen sogar die Gefahr, dass stattdessen dort ein Al-Qaida Staat
entsteht, noch nie war al-Qaida so stark wie jetzt hier mit Hilfe des
Westens in Syrien. Man kann sich vorstellen, dass natürlich Israel als
enger Verbündeter des Westens darüber auch gar nicht glücklich ist, an
seiner Haustür plötzlich massenhaft Al-Qaida Kämpfer zu haben. Die USA
haben das Interesse, jetzt in dieses Chaos, das sie selber hier mit
provoziert haben, irgendwie Ruhe reinzukriegen, Stabilität. Auf der
anderen Seite steht Russland. Russland würde gerne nicht den Status-Quo,
aber den Status-Quo ante in irgendeiner Form wiederherstellen, Ruhe,
Stabilität, weiteren Zugang zu seinem Marinestützpunkt. Und aufgrund
dieser Interessen sage ich jetzt mal, ist die Konferenz überhaupt nur
zustande gekommen. Es wird sicher sehr viel tatsächlich zwischen
Russland und den USA verhandelt, und alle anderen, die noch am Tisch
sitzen, sind gewissermaßen Bauern auf dem Schachbrett, aber es fehlen
eben einige wichtige Bauern dort, und ich denke, es fehlen vermutlich
auch einige wichtige Schachspieler, also gerade die Golf-Monarchien, ich
weiß nicht, wie weit sie dort vertreten sein werden, aber diese Staaten
haben nicht die Absicht, so schnell Ruhe zu geben, so schnell in Syrien
eine wie auch immer geartete Friedenslösung zuzulassen. Diese Staaten
haben die klare Absicht, hier ihre Kämpfer weiter kämpfen zu lassen,
notfalls weiteres Chaos anzurichten in Syrien, bis Assad gestürzt ist,
bis die, wie sie meinen, schiitische, oder alawitische Herrschaft dort
aufhört."
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