"Ich bereite gerade meine fünfte Syrienreise vor, als das
Telefon klingelt. Ob mein Angebot vom letzten November noch gelte, Assad
für die ARD zu interviewen, fragt ein Vertrauter des syrischen
Präsidenten.
Soll ich mir das antun? Man wird mir vorwerfen, Assad
eine Propagandabühne geboten zu haben. Die ARD stellte daher für das
Interview präzise Bedingungen. Die syrische Regierung leider auch. Kein
ausländischer Kameramann durfte während des Interviews in den
Aufnahmeraum.
Vor acht Tagen flog ich nach Damaskus. Dort führte ich Gespräche mit
Opfern des Krieges. Mitglieder der Opposition hatten diese Treffen
arrangiert.
Am längsten sprach ich mit Ahmed, einem jungen Mann aus Hula. Dort hatte vor wenigen Wochen das schrecklichste Massaker des Krieges stattgefunden.
Freunde
aus den Nachbardörfern, mit denen Ahmed noch vor Kurzem gegen Assad
demonstriert hatte, waren in sein Haus eingedrungen, um ihn und seine
Familie zu ermorden. Sie warfen ihm vor, zum schiitischen Glauben
übergetreten zu sein.
Irgendwie gelang es ihm, seine Freunde von früher zu überzeugen, dass er noch immer Sunnit sei.
Dann
stürzten die Mörder in das Nachbarhaus, in dem sein Bruder mit seiner
Familie lebte. Sie waren tatsächlich zum schiitischen Glauben
übergetreten. Sie wurden zusammen mit ihren Kindern von den Rebellen
ermordet.
Aus den friedlichen Demonstrationen der ersten
Monate ist längst ein Krieg staatlicher Sicherheitskräfte gegen schwer
bewaffnete Rebellen geworden. Die friedlichen Demonstranten von einst
sind an den Rand gedrängt.
Wer diesen Krieg mit dem Slogan beschreibt: „Ein Diktator tötet sein eigenes Volk“, hat nichts verstanden.
Ich
habe an Assad vieles zu kritisieren. Er trägt die Verantwortung, dass
seine Sicherheitskräfte bei den ersten Protesten in Deraa in die Menge
schossen und Zivilisten töteten.
Er hat zu verantworten,
dass seine Sicherheitskräfte Wohnviertel, in denen sich bewaffnete
Rebellen hinter Zivilisten verschanzen, mit schweren Waffen angreifen.
Dabei werden auch Zivilisten getötet.
Die radikalisierten
Gruppen der Rebellen kritisiere ich, weil sie gezielt Zivilisten töten
und diese anschließend als Opfer der Regierung ausgeben.
Diese „Massaker-Marketing-Strategie“ gehört zum Widerlichsten, was ich in kriegerischen Auseinandersetzungen jemals erlebt habe.
Ich
werfe den radikalen Gruppierungen der Rebellen vor, dass sie sich
inzwischen mit Al-Qaida-Kämpfern verbündet haben. Ich habe lange mit
einem gefangenen Al-Qaida-Kämpfer gesprochen, der an einem
Sprengstoffanschlag in Damaskus beteiligt war, der 70 Menschen
zerfetzte.
Am Donnerstagmittag sitze ich schließlich dem
Mann gegenüber, um den sich alles dreht, Baschar al-Assad. Der syrische
Präsident ist anders als all die Diktatoren, die ich in meinem
politischen Leben kennenlernen musste. Er ist ein stiller,
nachdenklicher Mann. Im Interview spricht er so leise, dass ich Mühe
habe, ihn zu verstehen.
Aus dem anderthalbstündigen Vorgespräch am Mittwoch wusste ich, dass ihn die Tragödie seines Landes schwer belastet.
Als
die große Leuchtuhr im Aufnahmeraum zu laufen beginnt, stelle ich die
erste Frage: „Herr Präsident, warum treten Sie nicht zurück?“
Seine
Antwort: „Ein Präsident sollte vor Herausforderungen nicht davonlaufen
und wir stehen hier im Augenblick vor einer nationalen Herausforderung
in Syrien. Der Präsident kann sich einer solchen Situation nicht einfach entziehen.“
Zwanzig
Minuten lang beantwortet er auch die unangenehmsten Fragen betont
freundlich. Über die Opposition und die bewaffneten Rebellen äußert er
sich differenzierter als sonst. Viele der friedlichen Demonstranten
verträten legitime Forderungen, sagt er.
Ich wollte mit
dem Interview erreichen, dass der Westen einen seiner Hauptfeinde etwas
näher kennenlernt. Weil ich nach den Katastrophen in Afghanistan und im
Irak noch immer hoffe, dass unsere Politiker einsehen, dass
Verhandlungen besser sind als Kriege."
Quelle: http://www.bild.de/politik/ausland/baschar-al-assad/juergen-todenhoefer-interviewt-syriens-praesident-in-damaskus-25060754.bild.html
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