Montag, 9. Juli 2012

"Mein Treffen mit Assad"

"Ich bereite gerade meine fünfte Syrienreise vor, als das Telefon klingelt. Ob mein Angebot vom letzten November noch gelte, Assad für die ARD zu interviewen, fragt ein Vertrauter des syrischen Präsidenten.
Soll ich mir das antun? Man wird mir vorwerfen, Assad eine Propagandabühne geboten zu haben. Die ARD stellte daher für das Interview präzise Bedingungen. Die syrische Regierung leider auch. Kein ausländischer Kameramann durfte während des Interviews in den Aufnahmeraum.
Vor acht Tagen flog ich nach Damaskus. Dort führte ich Gespräche mit Opfern des Krieges. Mitglieder der Opposition hatten diese Treffen arrangiert.

Am längsten sprach ich mit Ahmed, einem jungen Mann aus Hula. Dort hatte vor wenigen Wochen das schrecklichste Massaker des Krieges stattgefunden.
Freunde aus den Nachbardörfern, mit denen Ahmed noch vor Kurzem gegen Assad demonstriert hatte, waren in sein Haus eingedrungen, um ihn und seine Familie zu ermorden. Sie warfen ihm vor, zum schiitischen Glauben übergetreten zu sein.
Irgendwie gelang es ihm, seine Freunde von früher zu überzeugen, dass er noch immer Sunnit sei.

Dann stürzten die Mörder in das Nachbarhaus, in dem sein Bruder mit seiner Familie lebte. Sie waren tatsächlich zum schiitischen Glauben übergetreten. Sie wurden zusammen mit ihren Kindern von den Rebellen ermordet.
Aus den friedlichen Demonstrationen der ersten Monate ist längst ein Krieg staatlicher Sicherheitskräfte gegen schwer bewaffnete Rebellen geworden. Die friedlichen Demonstranten von einst sind an den Rand gedrängt.
Wer diesen Krieg mit dem Slogan beschreibt: „Ein Diktator tötet sein eigenes Volk“, hat nichts verstanden.

Ich habe an Assad vieles zu kritisieren. Er trägt die Verantwortung, dass seine Sicherheitskräfte bei den ersten Protesten in Deraa in die Menge schossen und Zivilisten töteten.
Er hat zu verantworten, dass seine Sicherheitskräfte Wohnviertel, in denen sich bewaffnete Rebellen hinter Zivilisten verschanzen, mit schweren Waffen angreifen. Dabei werden auch Zivilisten getötet.

Die radikalisierten Gruppen der Rebellen kritisiere ich, weil sie gezielt Zivilisten töten und diese anschließend als Opfer der Regierung ausgeben.
Diese „Massaker-Marketing-Strategie“ gehört zum Widerlichsten, was ich in kriegerischen Auseinandersetzungen jemals erlebt habe.
Ich werfe den radikalen Gruppierungen der Rebellen vor, dass sie sich inzwischen mit Al-Qaida-Kämpfern verbündet haben. Ich habe lange mit einem gefangenen Al-Qaida-Kämpfer gesprochen, der an einem Sprengstoffanschlag in Damaskus beteiligt war, der 70 Menschen zerfetzte.

Am Donnerstagmittag sitze ich schließlich dem Mann gegenüber, um den sich alles dreht, Baschar al-Assad. Der syrische Präsident ist anders als all die Diktatoren, die ich in meinem politischen Leben kennenlernen musste. Er ist ein stiller, nachdenklicher Mann. Im Interview spricht er so leise, dass ich Mühe habe, ihn zu verstehen.
Aus dem anderthalbstündigen Vorgespräch am Mittwoch wusste ich, dass ihn die Tragödie seines Landes schwer belastet.
Als die große Leuchtuhr im Aufnahmeraum zu laufen beginnt, stelle ich die erste Frage: „Herr Präsident, warum treten Sie nicht zurück?“

Seine Antwort: „Ein Präsident sollte vor Herausforderungen nicht davonlaufen und wir stehen hier im Augenblick vor einer nationalen Herausforderung in Syrien. Der Präsident kann sich einer solchen Situation nicht einfach entziehen.“
Zwanzig Minuten lang beantwortet er auch die unangenehmsten Fragen betont freundlich. Über die Opposition und die bewaffneten Rebellen äußert er sich differenzierter als sonst. Viele der friedlichen Demonstranten verträten legitime Forderungen, sagt er.

Ich wollte mit dem Interview erreichen, dass der Westen einen seiner Hauptfeinde etwas näher kennenlernt. Weil ich nach den Katastrophen in Afghanistan und im Irak noch immer hoffe, dass unsere Politiker einsehen, dass Verhandlungen besser sind als Kriege."

Quelle:  http://www.bild.de/politik/ausland/baschar-al-assad/juergen-todenhoefer-interviewt-syriens-praesident-in-damaskus-25060754.bild.html

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen