Von Florian Flade und Clemens Wergin
Ein Foto aus Syrien. Es
zeigt einen kräftigen Mann in schwarzer Kampfmontur. Um den Kopf
gewickelt ein schwarzes Tuch, am Arm eine Binde, darauf das islamische
Glaubensbekenntnis. In den Händen hält er ein Sturmgewehr. Der Text
neben dem Bild verrät, dass der Mann kein Syrer ist. "Der Gotteskrieger
Abu Ahmad al-Almani aus Deutschland".
Zu finden ist
die Aufnahme bei Facebook. Dort gibt der Mann an, im Libanon geboren zu
sein. Zuletzt lebte er in Deutschland. Dann wanderte er aus, um gegen
den syrischen Diktator Baschar al-Assad zu kämpfen. Jetzt ist "Abu Ahmad" ein Krieger Allahs. Und er ruft seine deutschen Glaubensbrüder auf, ihm nachzufolgen.
"Liebe
Geschwister kommt zu unseren Reihen und kämpft mit euren Brüdern so, als
wären wir eine Mauer", heißt es in einem Facebook-Beitrag "Der Glaube
ist die Waffe, die unsere Feinde am meisten fürchten."
Hunderte Ausländer schließen sich Rebellen an
Der Kämpfer aus Deutschland
ist nach Recherchen der "Welt" nur einer von Hunderten Ausländern, die
sich den syrischen Rebellen in ihrem Kampf gegen das Assad-Regime
angeschlossen haben. Die meisten von ihnen sind junge Männer aus
Nordafrika, dem Libanon, Jordanien, Saudi-Arabien und dem Jemen. Aber
auch immer mehr Europäer füllen die Reihen der Milizen.
Nach
Informationen der "Welt" gehen westliche Nachrichtendienste davon aus,
dass sich auch etwa 100 Muslime mit europäischen Pässen am Krieg in
Syrien beteiligen. Etliche dieser teils radikalislamischen Söldner sehen
es als ihre Pflicht an, in den "Heiligen Krieg" gegen den syrischen
Machthaber zu ziehen.
Deutsche
Sicherheitsbehörden beobachten Reisen von radikalen Muslimen in Richtung
Syrien mit Sorge. Es wird vermutet, dass sich ein Großteil der Personen
an Kampfhandlungen gegen die Regierungstruppen beteiligen will.
Bislang ist die Lage der syrischen Opposition
aus Sicht der Sicherheitsbehörden sehr undurchsichtig. Die Beweggründe
der Syrien-Reisenden sind für Nachrichtendienstler oft nur zu erahnen.
"Warum jemand nach Syrien reist, kann viele Gründe haben", sagte ein
Ermittler der "Welt". "Der eine will seiner Familie helfen. Ein anderer
will zum Märtyrer werden. Manchmal entwickelt sich auch jemand erst im
Laufe des Konfliktes zum überzeugten Islamisten."
Al-Nusra betreibt Ausbildungslager in Syrien
Größtes Problem
für die ausländischen Dschihadisten ist laut Bundesnachrichtendienst
(BND) die chaotische Situation der unzähligen Kriegsparteien,
Bürgermilizen und Rebellengruppen. Angereiste Islamisten aus Europa
wissen nur selten, welcher Gruppierung sie sich anschließen, welche
Ideologie und welche Ziele ihre Einheit letztendlich verfolgt.
Die wohl radikalste Rebellengruppierung nennt sich "Dschabat al-Nusra".
Sie ist dschihadistisch orientiert und will einen Gottesstaat in Syrien
errichten. Dschabat al-Nusra gilt als Ableger Al-Qaidas in der Region.
Eine offizielle Einbindung in das Terrornetzwerk hat die Gruppierung,
der etwa 1000 Kämpfer angehören sollen, bislang allerdings bewusst
vermieden. Aus Imagegründen, wie Nachrichtendienstler vermuten. Dschabat
al-Nusra wolle Machthaber Assad keine Vorlage liefern die Opposition
als Al-Qaida-Söldner zu brandmarken.
Nach Erkenntnis
westlicher Dienste betreibt al-Nusra mehrere große Ausbildungslager in
Syrien. Kampferprobte Islamisten, Veteranen aus dem Irak und Afghanistan
bilden dort neue Rekruten aus. Auch westliche Islamisten. Ähnlich wie
in den afghanischen Al-Qaida-Camps in den 1990er Jahren erlernen derzeit
hunderte Islamisten in den Lagern von Dschabat al-Nusra den Umgang mit
Schusswaffen, Bombenbau und Nahkampftechniken.
Neue Al-Qaida-Zellen in Syrien und Ägypten
Al-Qaida-Boss Aiman al-Zawahiri
konzentriert seine Anstrengungen zurzeit besonders auf Syrien und
Ägypten und versucht dort, neue Strukturen aufzubauen. Denn nach dem Tod
Osama bin Ladens folgen viele Al-Qaida-Ableger nicht mehr seinen
Befehlen. Deshalb baut Zawahiri nach Informationen westlicher
Sicherheitskreise in beiden Ländern neue Zellen auf, die direkt seinem
Befehl unterstellt sind.
Sein
Statthalter in Syrien ist Abu Muhammad al-Dschulani, der Anführer von
Dschabat al-Nusra. In Ägypten führen Dschamal al-Kaschef und Scheich
Adel Schahato für ihn die Geschäfte. Al-Qaida will die "häretischen
Regime" in beiden Ländern bekämpfen, zu denen Zawahiri inzwischen auch
die neue Regierung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi zählt.
Zawahiri hat in einer seiner letzten Reden auch zu Angriffen auf die
ägyptische Armee aufgerufen, um Mursis Regierung zu stürzen.
Mehrere aus
Ägypten stammende Al-Qaida-Führer sollen laut Geheimdiensterkenntnissen
nach Ägypten gereist sein, nachdem sie jahrelang in Pakistan und
Afghanistan gekämpft haben. Andere Aktive und Führungsfiguren wurden
unter der neuen Regierung aus dem Gefängnis entlassen und können sich
nun frei bewegen. Die Al-Qaida-Zelle in Ägypten wird auch mit dem
Anschlag auf das amerikanische Konsulat in Bengasi in Verbindung
gebracht.
Ägypten als Tummelplatz des globalen Dschihad
Am 24. Oktober
erst haben ägyptische Sicherheitskräfte ein "safe house" in Kairo
ausgehoben das von einer Al-Qaida-Einheit benutzt wurde, welche von
al-Kaschef befehligt wird. Ein Al-Qaida-Kämpfer wurde dabei getötet,
andere festgenommen. Die Sicherheitskräfte fanden ein umfangreiches
Waffenlager und Sprengstoff. Bei Razzien in den folgenden Tagen wurden
mehr als 20 Al-Qaida-Mitglieder festgenommen. Laut ägyptischen
Ermittlungen soll die Zelle direkt Zawahiri unterstellt gewesen sein und
das Ziel gehabt haben, Mursi zu stürzen.
Durch den
politischen Umbruch ist Ägypten ein Tummelplatz für den globalen
Dschihad geworden. So reiste etwa der deutsche Al-Qaida-Kämpfer Denis Cuspert,
der auch mit Anschlägen in Deutschland gedroht hat, nach Kairo. Viele
deutsche Kämpfer wie auch andere Europäer geben vor, den Islam oder
Arabisch studieren zu wollen. Tatsächlich finden sie sich dann schnell
in Al-Qaida-Trainingslagern in Ägypten selbst, im Sinai oder in Libyen
wieder.
Syrien für Terroristen am wichtigsten
Das wichtigste
Operationsfeld für al-Qaida ist derzeit allerdings Syrien. Nach
Informationen der "Welt" aus westlichen Sicherheitskreisen hat Zawahiri
im vergangenen Jahr mindestens drei Führungskader nach Syrien entsandt,
um die dschihadistischen Gruppen dort gemäß seiner Vorgaben zu
organisieren. Besonders besorgniserregend für den Westen sind die
Bemühungen al-Qaidas, chemische und biologische Waffen in ihre Hände zu
bekommen.
Lokale
Al-Qaida-Operateure sollen schon Anweisungen bekommen haben, die
Lagerstätten dieser Waffen zu identifizieren und laut Sicherheitskreisen
sucht al-Qaida in Syrien nach Experten, die sie in den richtigen
Gebrauch der Waffen einführen sollen. Die Operationen al-Qaidas
konzentrieren sich derzeit offenbar auf Dera im Südwesten und auf
Aleppo, wo sich die Führungszentrale befinden soll.
Ausbildung von Extremisten mit europäischen Pässen
Was westliche
Sicherheitsdienste besonders beunruhigt ist die Absicht Zawahiris, in
Ägypten und Syrien Extremisten mit europäischen Pässen auszubilden, um
dann in Europa Terrorzellen aufzubauen. Besonders in Syrien herrscht
inzwischen in Teilen des Landes ein Machtvakuum, in das die
Dschihadisten hineinstoßen.
Wenn es nach
Al-Qaida geht, dann soll Syrien ein neues "Waziristan" werden, der
Landstrich in Pakistan, in dem sie sich weitgehend unbehelligt bewegen
können.
Für zukünftige
Anschläge in Europa sind Extremisten mit europäischem Pass besonders
wertvoll. Wie der Spanier Rachid Wahbi aus Sauta, der in Syrien im Juni
2012 umkam und über Istanbul und die Türkei eingereist war. Er soll auf
dem Weg in ein Trainingscamp für europäische Kämpfer gewesen sein.
Ein weiteres
Beispiel ist Mehdi al-Harati, ein Libyer mit irischem Pass. Er war einer
der Gründer der Tripoli-Brigade, der ersten Aufständischen-Einheit in
Libyen. Inzwischen führt er die Rebellen im Norden Syriens an. Etwa 100
Kämpfer oder kampfbereite Radikale mit europäischem Pass sollen bisher
nach Syrien gekommen sein.
Al-Qaida plant Ausdehnung nach Europa
Nach
Erkenntnissen westlicher Geheimdienste soll Al-Nusra-Kommandeur Abu
Mohammad al-Dschulani schon jetzt planen, seine Operationsbasis von
Syrien über die Türkei nach Europa auszudehnen. Er bereitet sich auf den
Tag nach dem Sturz Assads vor, um Syrien zu einem Zentrum für
dschihadistische Aktivität auch in anderen Ländern zu machen.
Einige von
al-Dschulanis Al-Qaida-Zellen operieren schon in anderen Ländern in der
Region und er ist nach Erkenntnissen westlicher Sicherheitskreise gerade
dabei, weitere Zellen in Europa aufzubauen. Auffällig ist, dass
Dschabat al-Nusra europäische Kämpfer bisher nicht für
Selbstmordattentate in Syrien einsetzt.
Offenbar sollen
diese Kämpfer nicht "verheizt" werden, weil ihre europäischen Pässe in
Zukunft noch sehr wichtig für al-Qaida werden. Dann, wenn der Kampf in
Syrien vorbei ist und sich das Terror-Netzwerk stärker nach Europa hin
orientieren will."
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