"Syrisches Oppositionsbündnis plant für Ende Januar eine Konferenz in Genf. Ein Gespräch mit Haytham Manna
Haytham Manna ist Auslandssprecher des oppositionellen Nationalen
Koordinationsbüros für demokratischen Wandel in Syrien (NCB). Der 1951
geborene Arzt und Psychotherapeut Manna stammt aus Deraa. Während des
Aufstandes der syrischen Muslimbruderschaft (1979–1980) mußte er Syrien
aus politischen Gründen verlassen. Seit 1982 lebt er in Frankreich und
konzentriert sich neben seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt (nicht
mehr praktizierend) vor allem auf seine Tätigkeit in der Arabischen
Kommission für Menschenrechte.
Ende Januar planen Sie eine Konferenz in Genf unter dem Titel
»Für ein Demokratisches Syrien und einen zivilen Staat«. Wer ist
eingeladen, was ist das Ziel der Konferenz?
Wenn es um Syrien geht, hören wir in Europa bis heute ausschließlich die
Stimmen von Staaten und Regierungen. Die globale Zivilgesellschaft hat
keine Stimme. Gleichzeitig hören wir ständig das Echo der
Auslandsopposition, aber es gibt so gut wie keine Gelegenheit, die
Stimme der internen Opposition zu hören. Zu dieser Konferenz werden
mindestens 35 verschiedene politische Parteien und
Nichtregierungsorganisationen aus Syrien kommen. Sie werden von mehr als
100 Personen aus Syrien vertreten. In Genf werden sie zu Diskussionen
mit etwa 100 Angehörigen der Auslandsopposition und weiteren etwa 100
Aktivisten der europäischen, US-amerikanischen und afrikanischen
Zivilgesellschaft zusammentreffen. Warum grenzt man die gewaltfreie
Option aus? Warum hört man in Europa und in den Medien nichts von den
Leuten, die sich täglich darum in Syrien bemühen? Warum gibt es keinen
Erfahrungsaustausch zwischen der syrischen Zivilgesellschaft und der,
die international aktiv ist? Das wäre für uns eine Hilfe. Ich habe kein
Vertrauen in die Politik der meisten Regierungen. Aber ich bin sicher,
daß wir in der internationalen Zivilgesellschaft viele Freunde haben.
Wer sind denn die Veranstalter der Konferenz? Die Vereinten Nationen?
Nein, aber sie werden teilnehmen. Die eigentlichen Veranstalter sind die
Arabische Kommission für Menschenrechte, das Skandinavische Institut
für Menschenrechte und das Bürgerforum Horan. Unterstützung gibt es auch
von engagierten Einzelpersonen der syrischen Diaspora, Ärzte,
Ingenieure und Geschäftsleute, die in einer Art Patenschaft die Kosten
für jeweils eine Person aus Syrien übernehmen, die eine solche Reise
selbst nicht finanzieren können.
Das Hauptziel der Konferenz ist also zu sagen: Wir sind hier, und wir wollen gehört werden?
Allgemein geht es um die Folgen der Gewalt in Syrien. Es werden viele
interessante Leute aus Syrien kommen, die etwas zu sagen haben.
Beispielsweise wird Scheich Riad Dra’aa aus Deir Ezzor an dem Treffen
teilnehmen. Er vertritt die Strömung für demokratischen Islam und ist in
Syrien ein bekannter islamischer Intellektueller. Acht Jahre hat er im
Gefängnis verbracht. Heute aber kann er reisen und sich öffentlich
äußern. Er hat viel über Islam und Säkularismus geforscht und über die
Rolle des Islam in einem modernen Staat. Bei der Konferenz wird er über
die Rolle der islamischen bewaffneten Gruppen in Syrien sprechen, die
den säkularen Charakter des syrischen Staates bedrohen, und über eine
demokratische Perspektive für Syrien.
Sie sagen, daß Sie in die Politik der meisten Regierungen kein
Vertrauen haben, dennoch haben Sie kürzlich verschiedene Staaten
besucht. Sie waren in Moskau, in Peking, in Teheran, worum ging es bei
den Gesprächen?
Ich war dort als Vertreter des Nationalen Koordinationsbüros für
demokratischen Wandel, dem NCB. Wir sind überzeugt, daß unser
kontinuierlicher Kontakt mit Moskau, wo wir unsere Position immer wieder
deutlich gemacht haben, eine Menge für die Opposition verändert hat.
Moskau ist in der Lage, die Phase eines Übergangsprozesses in Syrien zu
diskutieren, zu verhandeln. Das war vorher nicht der Fall. In Teheran
haben wir drei Dinge erreicht: Erstens: der iranische Außenminister Ali
Akhbar Salehi stimmt zu, daß es in Syrien kein Zurück mehr gibt zu dem
alten Regime. Zweitens: die beste Lösung für Syrien ist ein demokratisch
verfaßter Staat und drittens: Demokratie in Syrien ist nicht mit Gewalt
zu erreichen. Wir halten diese drei Aussagen für eine große Veränderung
in der iranischen Position. Was China betrifft, bin ich überzeugt, daß
wir es ebenfalls brauchen. Unglücklicherweise richtet der Krieg große
Zerstörungen an, Syrien ist wirtschaftlich geschwächt. Wir haben kein Öl
und daher brauchen wir günstige Bedingungen, um das Land wieder
aufzubauen. Wir haben von verschiedenen Seiten, von China, selbst von
Japan Zusagen erhalten, daß sie Syrien beim Wiederaufbau helfen werden,
ohne (politische) Zusagen von unserer Seite zu fordern.
Die Positionen von Moskau und Teheran hinsichtlich einer
Übergangsperiode in Syrien werden in den westlichen Medien dahingehend
interpretiert, daß beide Regierungen »von Assad abrücken«. Die westliche
Berichterstattung konzentriert sich auf die Position von Präsident
Assad. Fortschritt wird davon abhängig gemacht, daß er geht. Ist das
wirklich so wichtig?
Moskau zieht meiner Ansicht nach keinen Vorteil aus der Lage in Syrien,
seit Monaten sind die Russen bereit, über alles zu reden. Aber sie gehen
nicht so primitiv heran wie einige Leute, die meinen, bevor sie auf dem
Flughafen von Damaskus landen, müsse Assad verschwunden sein, vorher
würden sie über nichts verhandeln. Wir lehnen so eine Haltung ab. Die
zentrale Frage ist, wie kann der Übergangsprozeß vermittelt und
umgesetzt werden. In Syrien wird das heute so dargestellt, als habe man
kein Recht, mit irgend jemandem (von der Regierung, Anm. jW) Kontakt
aufzunehmen und zu diskutieren, oder zu verhandeln.
Also Dialog?
Meiner Ansicht nach ist die Zeit für einen Dialog eigentlich vorbei, wir
müssen jetzt über eine Übergangslösung verhandeln. Aber das Konzept,
jedes Gespräch abzulehnen und die Herangehensweise, alles für sich
allein zu beanspruchen, bedeutet, daß der Krieg weiter geht. Bis in den
Palast, mit allen Konsequenzen: Die Zerstörung von Damaskus, die
Vertreibung von Hunderttausenden, Toten, alles das wird in Kauf
genommen, wenn man Gespräche verweigert. Um das zu verhindern, brauchen
wir einen allmählichen Übergang. Mit einseitigen Entscheidungen – ob von
Bashar (Al-Assad) oder von irgend jemandem sonst – wird es den nicht
geben.
Es gibt viele Aufrufe der Regierung zu Gesprächen, auch
Vizepräsident Faruk Al-Scharaa spricht sich für Verhandlungen aus. Gibt
es einen Kontakt zwischen Ihrer Organisation und Vertretern der
Regierung?
Faruk Scharaa verdient mehr Respekt als eine Menge der großartigen
Figuren der Auslandsopposition, die im westlichen Ausland leben und für
das, was sie tun und sagen, Geld kassieren. Scharaa hat nie Profit aus
seiner langjährigen Regierungsarbeit gezogen.
Wie ist Ihre Antwort auf die Aufrufe der Regierung zu Gesprächen?
Nein, so geht es nicht. Wir als NCB haben fünf Leute, die als
öffentliche Vertreter fungieren. In Syrien sind es drei, außerhalb des
Landes zwei. Zwei unserer Vertreter in Syrien sind in Haft, unter
anderem Abdulaziz Al-Khair, wie können wir da verhandeln? Wie kann man
verhandeln, wenn einem das Messer an den Hals gehalten wird! Es gibt ein
arabisches Sprichwort: Wenn du den Fisch lange am Leben erhalten
willst, mußt du ihn im Wasser lassen. Aber uns fehlt das Wasser, also
gibt es keine Bedingungen für den Dialog.
Die Lage für die politische Opposition in Syrien ist schwierig,
und die Lage der Menschenrechte ist auch schlecht. Bei soviel Mißtrauen
und Leid, gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit für Verhandlungen,
für Versöhnung?
Freunde aus Südafrika haben mir ein Buch geschenkt über die geheimen
Verhandlungen zwischen dem Apartheid-Regime und dem ANC. Ja, es gab
diese Verhandlungen. Mit Freunden oder der Familie verhandelt man nicht,
mit denen trifft man Entscheidungen. Verhandlungen gibt es mit dem
politischen Gegner, mit dem Feind.
Heißt das, es gibt geheime Verhandlungen zwischen Opposition und Regierung in Syrien?
Nein, aber wir brauchen sie. Wir brauchen geheime Verhandlungen zwischen
den militärischen und den zivilen Kräften, dann brauchen wir
Verhandlungen zwischen der Armee und der Opposition. Und drittens
brauchen wir Verhandlungen zwischen dem Staat und der Opposition. Und
wenn die Medien das alles begleiten würden, wäre es in 24 Stunden
vorbei."
Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/01-15/050.php
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