Donnerstag, 24. Oktober 2013

"Die Christen in Syrien ziehen in die Schlacht"

"Mit Kreuz und Kalaschnikow: In Syrien versuchen Rebellen, Christen zur Konvertierung zum Islam zu zwingen. Die Islamisten gewinnen an Macht, und eine uralte christliche Gemeinde bewaffnet sich.

Elias trägt ein großes, hölzernes Kreuz um den Hals. Einige seiner Kameraden haben sich das Symbol des Christentums auf den Oberarm tätowieren lassen. Mit Uniform und Kalaschnikow in der Hand könnten die jungen Syrer einer martialischen Christenmiliz auf dem Kreuzzug angehören. Doch es ist ganz anders.
"Wir verteidigen uns", sagt Elias, der 17-jährige Bauernsohn, der im syrischen Bürgerkrieg auf der Seite der Sotoro, der christlichen Sicherheitskräfte in der Hasaka-Provinz im Nordosten Syriens kämpft. Hier leben knapp 200.000 Christen. "Wir haben unsere eigene Kultur, Sprache und sind über ganz Syrien verteilt", versichert Elias.
Sie sprechen Aramäisch, die Sprache Jesu, und verweisen auf eine 3000 Jahre alte Geschichte. Diese Geschichte wollen Elias und seine Kameraden weiterschreiben und haben sich deshalb bewaffnet. "Wir werden von Islamisten bedroht, die uns auslöschen wollen", sagt er und umklammert seine Kalaschnikow noch fester.

Ein Gebiet reich an Ölquellen und Gasfeldern

Seit sechs Monaten versuchen extremistische Rebellengruppen wie Achrar al-Scham oder die beiden Al-Qaida-Ableger Dschabhat al-Nusra und Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isil) in dieses Gebiet einzudringen, in dem neben den Christen überwiegend Kurden leben. Die umkämpfte Region zieht sich entlang der syrisch-türkischen Grenze bis zum Irak. Sie ist reich an Ölquellen und Gasfeldern, 60 Prozent des syrischen Erdöls werden hier gefördert. Deshalb wollen die Islamisten dieses Gebiet erobern, dessen Bewohner sie sowieso als Ungläubige betrachten, die sie straflos töten können.
"Unsere Leute haben nach Schutz gefragt", erzählt Eshow Gourige, Präsident der Syrisch-Christlichen Einheitspartei (SUP), eine der wichtigsten politischen Vertretungen der Christen. "Die Islamisten sind eine große Gefahr für uns. Wir mussten uns bewaffnen, uns blieb keine andere Wahl", beteuert Gourige und nippt an einem Teeglas. "Wir wollen uns nicht vertreiben lassen."
Bisher beschränkte sich die Aufgabe der Sotoro auf den Schutz christlicher Viertel. Sie betreibt Checkpoints und übernimmt die Funktionen der Polizei. "Seit einigen Monaten kooperieren wir mit den Kurden", offenbart der 49-jährige Präsident und zündet sich eine Zigarette an. Die christlichen Kämpfer werden in Ausbildungslagern der YPG trainiert, den kurdischen Volksverteidigungseinheiten.

Christen trainieren mit Kurden zusammen

"Die Sotoro kann bald mit den Kurden an der Front kämpfen." Die YPG gelten als straff militärisch organisiert, sehr gut ausgebildet und bewaffnet. Bisher konnten sie alle Angriffe der Islamisten abwehren. "In den vergangenen beiden Jahren wurden mehr als 150 Mitglieder unserer Gemeinde entführt", sagt Gourige. "Allein deshalb mussten wir aktiv werden."
Keine fünf Minuten vom Kulturzentrum der SUP in Katanije entfernt, einem Ort knapp zehn Kilometer von der 180.000 Einwohner zählenden Bezirkshauptstadt Qamischli entfernt, wohnt Joseph (Name von der Redaktion geändert). Er ist gerade erst von seinen Entführern freigelassen worden. Nun sitzt er im Wohnzimmer seines Hauses zwischen Freunden und Verwandten, die vorbeigekommen sind, um ihm zur wiedererlangten Freiheit zu gratulieren. Der Familienvater hat noch ein rot unterlaufenes Auge, Kratzer am Arm und große blaue Flecken am Rücken. "Da haben sie mich mit einer Autobatterie geschlagen", klagt der 53-Jährige. Acht Tage lang befand er sich in der Hand von Isil, die für ihre Brutalität bekannt ist.
Joseph war zu einer Beerdigung einer befreundeten muslimischen Familie auf dem Lande gefahren. Auf dem Rückweg geriet er in eine Straßensperre der Isil. "Meinen muslimischen Begleitern passierte nichts. Nur mich, den Christen, haben sie verschleppt." Er wurde in eine der Basen von Isil gebracht und in ein Zimmer gesperrt, dessen Wände mit Blut besudelt waren. Die Islamisten ketteten ihn mit einem Fuß an einen Tisch, die Augen verbunden.

Folter durch die Islamisten

"Zuerst drohten sie, mir den Kopf abzuschneiden. Dann wollten sie, dass ich zum Islam konvertiere. Als ich zum wiederholten Mal ablehnte, schlugen sie mich." Zuletzt sei er vor ein Scharia-Gericht gekommen, dessen Richter ihn freisprachen. Sehr wahrscheinlich musste ein Lösegeld bezahlt werden. Aber darüber wird im Hause Josephs kein Wort verloren. Neben ihm sitzt seine freudestrahlende Ehefrau und seine beiden erwachsenen Kinder. Es werden Kaffee, Tee, Limonade und selbst gebackene Plätzchen gereicht. Man lacht schon wieder ausgelassen.
Entführungen von Christen gehören im syrischen Bürgerkrieg zum Alltag. "Es ist für Rebellengruppen ein probates Mittel, um uns verhasste Christen zu terrorisieren", analysierte schon vor mehr als einem Jahr Gregorios Yohanna Ibrahim, der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Aleppo. "Gleichzeitig können sie damit viel Geld machen."
Der Bischof vermittelte oft selbst bei Entführungen und sammelte in der Gemeinde für die Lösegelder. "Ohne Bezahlung wird das Opfer getötet", sagte Ibrahim. Doch wer sammelt jetzt für ihn? Denn Ibrahim ist inzwischen selbst zur Geisel geworden, zusammen mit seinem griechisch-orthodoxen Amtsbruder Bulos Jasidschi. Im April wurden sie auf dem Weg nach Aleppo verschleppt. Seither fehlt jede Spur von ihnen.

Syrische Christen leben in Angst

"Wir Christen haben Angst", gibt Gabriel zu, der im christlichen Kulturzentrum in Qamischli arbeitet. Er kümmert sich um den Internetanschluss, entwirft Webseiten und übernimmt organisatorische Aufgaben. "Es sind nicht nur Entführungen. Islamisten enthaupten Priester, zerstören Kirchen und vertreiben Christen." Gabriel sagt nur ein Wort: "Maalula."
Alle umstehenden Besucher des Zentrums nicken. Anfang September drangen radikal-islamistische Rebellen in diese für das Christentum so bedeutsame Stadt rund 60 Kilometer nordöstlich von Damaskus ein. Dort stehen die ältesten christlichen Klöster und Kirchen Syriens. Die Bewohner von Maalula sprechen ebenfalls Aramäisch. Jene antike Sprache, die über fünf Jahrhunderte lang die Lingua franca des Nahen Ostens war und in der Jesus Christus gepredigt haben soll.
Unter dem Regime von Baschar al-Assad durfte Aramäisch in der Schule nicht gelehrt werden. "Aber damit ist es nun vorbei", fügt Gabriel süffisant an. Er ist überzeugt, Präsident Assad wird nicht mehr lange herrschen. In Qamischli sind Regierungstruppen noch in wenigen Kasernen präsent. Der Flughafen ist nach wie vor unter ihrer Kontrolle. "Sie sind auf ihre Quartiere beschränkt und weitgehend machtlos", betont Gabriel. Man habe sich mit der syrischen Armee arrangiert, damit die Zivilbevölkerung und die Stadt nicht zu Schaden kommt. Nur nachts seien manchmal Schabiha unterwegs, die "Geister", berüchtigte Schergen des Regimes, die ihre Gesichter hinter schwarzen Skimützen versteckten.

Fast eine halbe Million Christen geflohen

Bis zu 450.000 Christen sollen bereits das Land verlassen haben. Das wäre beinahe ein Viertel der christlichen Gesamtbevölkerung Syriens. Aber nicht alle Flüchtlinge können sich das Ausland leisten. Sie suchen sich dann einen sicheren Ort in Syrien. Einer davon war das Wadi al-Nasara, das Tal der Christen. Es liegt unweit der libanesischen Grenze, in der Provinz Homs.
Vor dem Bürgerkrieg war diese Gegend ein beliebtes Ausflugsziel. Heute sollen dort in 40 Dörfern mehr als 150.000 christliche Flüchtlinge Schutz suchen. Das Wadi al-Nasara ist offiziell unter Kontrolle des syrischen Regimes. "Aber die Islamisten sind vorgerückt und beschießen das Gebiet", erzählt Gabriel. "Täglich kommt es zu Gefechten zwischen Rebellen und den Nationalen Verteidigungskomitees des Regimes."
Das Hauptquartier hätten die Islamisten im Krak des Chevaliers, dem höchsten Punkt der Region. Es ist eine legendäre mittelalterliche Kreuzritterburg, die besterhaltenste ihrer Art und seit 2006 Bestandteil des Weltkulturerbes der Unesco. "Wir organisieren Hilfslieferungen nach Wadi al-Nasara", erklärt Gabriel. "Ein Kollege war erst vor Kurzem dort. Wir kennen die Situation."

Oase des Friedens zwischen Blut und Hass

Eine regelmäßige Besucherin des assyrischen Kulturzentrums ist Arima Said. Sie leitet das lokale Fernsehstudio von Suroyo-TV, das im christlichen Viertel von Qamischli liegt. Täglich werden hier vier Stunden Programm produziert, das in die Zentrale nach Schweden geschickt wird und von dort per Satellit in die ganze Welt gesendet wird. "Seit das Regime nichts mehr zu sagen hat, können wir Christen endlich sagen, was wir wollen", meint die TV-Direktorin lachend.
Sie genießt die neue Pressefreiheit und führt stolz durch die Studioräume, die im Keller eines Appartementhauses liegen. "Wir wollen die Zukunft Syriens mitgestalten", sagt Said selbstbewusst. "Wir Christen sind schon einige Jahrtausende in Mesopotamien und haben das Recht dazu." Sie weiß aber nur zu gut, dass weder sie noch die Kurden als Minderheiten zu den anberaumten Friedensverhandlungen im November in Genf eingeladen werden.
Nach der kühl-klimatisierten Luft im Keller von Suroyo-TV sind die warmen Temperaturen der Herbstnacht auf den Straßen von Qamischli eine Wohltat. Beim Anblick der Pubs, Bars und Restaurants im christlichen Viertel, aus denen Popmusik dröhnt, könnte man fast den mit besonders brutaler Härte geführten Bürgerkrieg vergessen. Auf den Tischen stehen Bier und Wein. Frauen mit Kopftuch sind unter den Gästen. Eine Oase des Friedens und der Toleranz in einem Meer von Blut, Hass und Gewalt."

 

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