Elias trägt ein großes,
hölzernes Kreuz um den Hals. Einige seiner Kameraden haben sich das
Symbol des Christentums auf den Oberarm tätowieren lassen. Mit Uniform
und Kalaschnikow in der Hand könnten die jungen Syrer einer martialischen Christenmiliz auf dem Kreuzzug angehören. Doch es ist ganz anders.
"Wir verteidigen
uns", sagt Elias, der 17-jährige Bauernsohn, der im syrischen
Bürgerkrieg auf der Seite der Sotoro, der christlichen Sicherheitskräfte
in der Hasaka-Provinz im Nordosten Syriens kämpft. Hier leben knapp
200.000 Christen. "Wir haben unsere eigene Kultur, Sprache und sind über
ganz Syrien verteilt", versichert Elias.
Sie sprechen
Aramäisch, die Sprache Jesu, und verweisen auf eine 3000 Jahre alte
Geschichte. Diese Geschichte wollen Elias und seine Kameraden
weiterschreiben und haben sich deshalb bewaffnet. "Wir werden von
Islamisten bedroht, die uns auslöschen wollen", sagt er und umklammert
seine Kalaschnikow noch fester.
Ein Gebiet reich an Ölquellen und Gasfeldern
Seit sechs Monaten versuchen
extremistische Rebellengruppen wie Achrar al-Scham oder die beiden
Al-Qaida-Ableger Dschabhat al-Nusra und Islamischer Staat im Irak und in
der Levante (Isil) in dieses Gebiet einzudringen, in dem neben den
Christen überwiegend Kurden leben. Die umkämpfte Region zieht sich
entlang der syrisch-türkischen Grenze bis zum Irak. Sie ist reich an
Ölquellen und Gasfeldern, 60 Prozent des syrischen Erdöls werden hier
gefördert. Deshalb wollen die Islamisten dieses Gebiet erobern, dessen
Bewohner sie sowieso als Ungläubige betrachten, die sie straflos töten können.
"Unsere Leute
haben nach Schutz gefragt", erzählt Eshow Gourige, Präsident der
Syrisch-Christlichen Einheitspartei (SUP), eine der wichtigsten
politischen Vertretungen der Christen. "Die Islamisten sind eine große
Gefahr für uns. Wir mussten uns bewaffnen, uns blieb keine andere Wahl",
beteuert Gourige und nippt an einem Teeglas. "Wir wollen uns nicht
vertreiben lassen."
Bisher
beschränkte sich die Aufgabe der Sotoro auf den Schutz christlicher
Viertel. Sie betreibt Checkpoints und übernimmt die Funktionen der
Polizei. "Seit einigen Monaten kooperieren wir mit den Kurden",
offenbart der 49-jährige Präsident und zündet sich eine Zigarette an.
Die christlichen Kämpfer werden in Ausbildungslagern der YPG trainiert,
den kurdischen Volksverteidigungseinheiten.
Christen trainieren mit Kurden zusammen
"Die Sotoro kann
bald mit den Kurden an der Front kämpfen." Die YPG gelten als straff
militärisch organisiert, sehr gut ausgebildet und bewaffnet. Bisher
konnten sie alle Angriffe der Islamisten abwehren. "In den vergangenen
beiden Jahren wurden mehr als 150 Mitglieder unserer Gemeinde entführt",
sagt Gourige. "Allein deshalb mussten wir aktiv werden."
Keine fünf
Minuten vom Kulturzentrum der SUP in Katanije entfernt, einem Ort knapp
zehn Kilometer von der 180.000 Einwohner zählenden Bezirkshauptstadt
Qamischli entfernt, wohnt Joseph (Name von der Redaktion geändert). Er
ist gerade erst von seinen Entführern freigelassen worden. Nun sitzt er
im Wohnzimmer seines Hauses zwischen Freunden und Verwandten, die
vorbeigekommen sind, um ihm zur wiedererlangten Freiheit zu gratulieren.
Der Familienvater hat noch ein rot unterlaufenes Auge, Kratzer am Arm
und große blaue Flecken am Rücken. "Da haben sie mich mit einer
Autobatterie geschlagen", klagt der 53-Jährige. Acht Tage lang befand er
sich in der Hand von Isil, die für ihre Brutalität bekannt ist.
Joseph war zu
einer Beerdigung einer befreundeten muslimischen Familie auf dem Lande
gefahren. Auf dem Rückweg geriet er in eine Straßensperre der Isil.
"Meinen muslimischen Begleitern passierte nichts. Nur mich, den
Christen, haben sie verschleppt." Er wurde in eine der Basen von Isil
gebracht und in ein Zimmer gesperrt, dessen Wände mit Blut besudelt
waren. Die Islamisten ketteten ihn mit einem Fuß an einen Tisch, die
Augen verbunden.
Folter durch die Islamisten
"Zuerst drohten
sie, mir den Kopf abzuschneiden. Dann wollten sie, dass ich zum Islam
konvertiere. Als ich zum wiederholten Mal ablehnte, schlugen sie mich."
Zuletzt sei er vor ein Scharia-Gericht gekommen, dessen Richter ihn
freisprachen. Sehr wahrscheinlich musste ein Lösegeld bezahlt werden.
Aber darüber wird im Hause Josephs kein Wort verloren. Neben ihm sitzt
seine freudestrahlende Ehefrau und seine beiden erwachsenen Kinder. Es
werden Kaffee, Tee, Limonade und selbst gebackene Plätzchen gereicht.
Man lacht schon wieder ausgelassen.
Entführungen
von Christen gehören im syrischen Bürgerkrieg zum Alltag. "Es ist für
Rebellengruppen ein probates Mittel, um uns verhasste Christen zu
terrorisieren", analysierte schon vor mehr als einem Jahr Gregorios
Yohanna Ibrahim, der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Aleppo.
"Gleichzeitig können sie damit viel Geld machen."
Der Bischof
vermittelte oft selbst bei Entführungen und sammelte in der Gemeinde für
die Lösegelder. "Ohne Bezahlung wird das Opfer getötet", sagte Ibrahim.
Doch wer sammelt jetzt für ihn? Denn Ibrahim ist inzwischen selbst zur
Geisel geworden, zusammen mit seinem griechisch-orthodoxen Amtsbruder
Bulos Jasidschi. Im April wurden sie auf dem Weg nach Aleppo
verschleppt. Seither fehlt jede Spur von ihnen.
Syrische Christen leben in Angst
"Wir Christen
haben Angst", gibt Gabriel zu, der im christlichen Kulturzentrum in
Qamischli arbeitet. Er kümmert sich um den Internetanschluss, entwirft
Webseiten und übernimmt organisatorische Aufgaben. "Es sind nicht nur
Entführungen. Islamisten enthaupten Priester, zerstören Kirchen und
vertreiben Christen." Gabriel sagt nur ein Wort: "Maalula."
Alle
umstehenden Besucher des Zentrums nicken. Anfang September drangen
radikal-islamistische Rebellen in diese für das Christentum so
bedeutsame Stadt rund 60 Kilometer nordöstlich von Damaskus ein. Dort
stehen die ältesten christlichen Klöster und Kirchen Syriens. Die
Bewohner von Maalula sprechen ebenfalls Aramäisch.
Jene antike Sprache, die über fünf Jahrhunderte lang die Lingua franca
des Nahen Ostens war und in der Jesus Christus gepredigt haben soll.
Unter dem
Regime von Baschar al-Assad durfte Aramäisch in der Schule nicht gelehrt
werden. "Aber damit ist es nun vorbei", fügt Gabriel süffisant an. Er
ist überzeugt, Präsident Assad wird nicht mehr lange herrschen. In
Qamischli sind Regierungstruppen noch in wenigen Kasernen präsent. Der
Flughafen ist nach wie vor unter ihrer Kontrolle. "Sie sind auf ihre
Quartiere beschränkt und weitgehend machtlos", betont Gabriel. Man habe
sich mit der syrischen Armee arrangiert, damit die Zivilbevölkerung und
die Stadt nicht zu Schaden kommt. Nur nachts seien manchmal Schabiha
unterwegs, die "Geister", berüchtigte Schergen des Regimes, die ihre
Gesichter hinter schwarzen Skimützen versteckten.
Fast eine halbe Million Christen geflohen
Bis zu 450.000
Christen sollen bereits das Land verlassen haben. Das wäre beinahe ein
Viertel der christlichen Gesamtbevölkerung Syriens. Aber nicht alle
Flüchtlinge können sich das Ausland leisten. Sie suchen sich dann einen
sicheren Ort in Syrien. Einer davon war das Wadi al-Nasara, das Tal der
Christen. Es liegt unweit der libanesischen Grenze, in der Provinz Homs.
Vor dem
Bürgerkrieg war diese Gegend ein beliebtes Ausflugsziel. Heute sollen
dort in 40 Dörfern mehr als 150.000 christliche Flüchtlinge Schutz
suchen. Das Wadi al-Nasara ist offiziell unter Kontrolle des syrischen
Regimes. "Aber die Islamisten sind vorgerückt und beschießen das
Gebiet", erzählt Gabriel. "Täglich kommt es zu Gefechten zwischen
Rebellen und den Nationalen Verteidigungskomitees des Regimes."
Das
Hauptquartier hätten die Islamisten im Krak des Chevaliers, dem höchsten
Punkt der Region. Es ist eine legendäre mittelalterliche
Kreuzritterburg, die besterhaltenste ihrer Art und seit 2006 Bestandteil
des Weltkulturerbes der Unesco. "Wir organisieren Hilfslieferungen nach
Wadi al-Nasara", erklärt Gabriel. "Ein Kollege war erst vor Kurzem
dort. Wir kennen die Situation."
Oase des Friedens zwischen Blut und Hass
Eine
regelmäßige Besucherin des assyrischen Kulturzentrums ist Arima Said.
Sie leitet das lokale Fernsehstudio von Suroyo-TV, das im christlichen
Viertel von Qamischli liegt. Täglich werden hier vier Stunden Programm
produziert, das in die Zentrale nach Schweden geschickt wird und von
dort per Satellit in die ganze Welt gesendet wird. "Seit das Regime
nichts mehr zu sagen hat, können wir Christen endlich sagen, was wir
wollen", meint die TV-Direktorin lachend.
Sie genießt die
neue Pressefreiheit und führt stolz durch die Studioräume, die im
Keller eines Appartementhauses liegen. "Wir wollen die Zukunft Syriens
mitgestalten", sagt Said selbstbewusst. "Wir Christen sind schon einige
Jahrtausende in Mesopotamien und haben das Recht dazu." Sie weiß aber
nur zu gut, dass weder sie noch die Kurden als Minderheiten zu den
anberaumten Friedensverhandlungen im November in Genf eingeladen werden.
Nach der
kühl-klimatisierten Luft im Keller von Suroyo-TV sind die warmen
Temperaturen der Herbstnacht auf den Straßen von Qamischli eine Wohltat.
Beim Anblick der Pubs, Bars und Restaurants im christlichen Viertel,
aus denen Popmusik dröhnt, könnte man fast den mit besonders brutaler
Härte geführten Bürgerkrieg vergessen. Auf den Tischen stehen Bier und
Wein. Frauen mit Kopftuch sind unter den Gästen. Eine Oase des Friedens
und der Toleranz in einem Meer von Blut, Hass und Gewalt."
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