Dienstag, 3. Dezember 2013

syrische Kriegsflüchtlinge landen in Deutschland im Gefängnis, Familie auseinander gerissen

"Im Gewahrsam in Berlin-Grünau warten Kriegsflüchtlinge auf ihre Abschiebung nach Bulgarien. Dahin wollen sie aber auf keinen Fall
Bis vor einer Woche hat Farhad Abasid* sich immer weiter vom Krieg entfernt. Aus Aleppo in Syrien flüchtete er in die Türkei und dann weiter nach Bulgarien. Dort stieg er in einen Bus nach Deutschland. Jetzt sitzt Abasid allerdings hinter einem dreifachen Stahlzaun in Berlin-Grünau fest. Abschiebegewahrsam, Besucherraum, Tisch neun. Von hier aus, kann der junge Mann sich nur noch rückwärts bewegen.
Farhad Abasid hat ein Wort für das europäische Asylrecht. „Crazy“, sagt er, verrückt, dann schüttelt er den Kopf, sodass seine langen Locken wippen. Er lacht dabei, als sei das ein guter Witz. 22 Jahre ist er alt. Aus Aleppo kommt auch der zweite Mann an diesem Tisch. Hicham Hariri, ein Lehrer, 38 Jahre alt. Neben den beiden sitzt zurzeit noch ein dritter Syrer in Grünau hinter Gittern. Alle drei haben in Deutschland keinen legalen Aufenthaltsstatus. Sie sollen nach Bulgarien abgeschoben werden. Dort hatten sie zuerst europäischen Boden betreten und nach dem Dublin-Abkommen wird ihr Asylgesuch deshalb in Bulgarien behandelt. Sie haben kein Recht, sich in Deutschland aufzuhalten. Nach Bulgarien wollen die drei auf keinen Fall zurück. „Dann lieber zurück nach Syrien“, sagt Farhad Abasid.
Gitter und Bewacher
Früher war das Grünauer Gewahrsam ein Frauengefängnis. Die Anmutung ist geblieben, überall Gitter, mit reinnehmen darf man nichts, ein Wachmann sitzt während des Gesprächs mit im Raum. Immerhin gibt es drei Mahlzeiten am Tag, es ist geheizt, man kann Licht anschalten, Sport treiben, Bücher ausleihen. Es arbeitet ein Arzt hier, außerdem ein Psychologe und ein Sozialarbeiter. Ab und zu schaut ein Seelsorger vorbei. All dies sei für Asylbewerber in Bulgarien unvorstellbar, sagen die drei.
Farhad Abasid ist vor einem Jahr aus Aleppo geflohen. „Ich bin Kurde. Allein deswegen bin ich fast getötet worden“, sagt er. Abasid hat in Aleppo Jura studiert. Dass er als Kurde so weit gekommen ist, verblüfft ihn manchmal selbst. Auf dem Weg zur Uni sei er eines Tages in eine Kontrolle durch ein Al-Kaida-Kommando geraten. Die Männer hätten ihm ein Messer an den Hals gehalten und gefragt, auf welche Art er bete. Die falsche Religion, lange Haare, rauchen, alles könne einem zum Verhängnis werden, sagt Farhad Abasid. Das Erlebnis am Kontrollpunkt hat ihn schockiert. Er verließ sein Land. „Alle jungen Leute gehen weg aus Syrien. Nur die Alten, die es nicht mehr über die Grenze schaffen, bleiben“, sagt Abasid. Er ging in die Türkei, um von dort nach Europa zu kommen. Es ist eine finanzielle Frage, wohin die Reise gehen kann. „Ein Schlepper für Deutschland hätte 10 000 Euro gekostet“, sagt Abasid. Er hatte nur 1 000 Dollar. Das reiche nur bis Bulgarien.

Ein Schlepper setzte ihn an der bulgarischen Grenze aus. Einen Tag lang ist er gelaufen. Aber in einem bulgarischen Dorf hätten ihn dann Männer festgesetzt und die Polizei gerufen, sagt Abasid. Er landete erst in einem Gefängnis. Später sei er dann in ein offenes Camp verlegt worden. „Da schliefen acht Leute in einem Zimmer, in einem leeren Raum, ohne Heizung, Fenster, Betten“, sagt Farhad Abasid. 30 Euro habe er im Monat zum Leben bekommen. Irgendwann sei er nach Sofia verlegt worden. Geld habe es dann nicht mehr gegeben. In Bulgarien werde erwartet, dass Flüchtlinge sich selbst versorgen. Sie schliefen dann eben auf der Straße.
Farhad Abasid fand einen Job in einem Internetcafé für sieben Euro pro 12-Stunden-Schicht, er konnte mit sieben anderen Syrern in einem Haus unterkommen. Nach neun Monaten habe er seinen Pass zurückbekommen und einen Aufenthaltsstatus erhalten. „Alle, die einen Ausweis haben, gehen dann nach Europa“, sagt Farhad Abasid. Bulgarien zählt für ihn nicht dazu. Er schätzt, dass mindestens 5 000 Syrer in Bulgarien auf eine Gelegenheit warten, weiterzukommen. „Es ist schrecklich in Bulgarien. Da kann man nicht leben“, sagt Farhad Abasid. Er sei bedroht worden. In Gruppen würden bulgarische Männer Flüchtlinge überfallen. Es gebe Kämpfe. „Die haben gesagt, geht weg, wir wollen solche Leute wie euch in unserem Land nicht haben“. Aus Furcht vor diesen Männern wollen die beiden Syrer nicht fotografiert werden und ihre Namen nicht in der Zeitung veröffentlicht sehen. Schon morgen könnten sie schließlich wieder in Sofia sein.
Farhad Abasid wollte nach Schweden. Er habe da einen Freund, sagt er. Deshalb bestieg er in Sofia einen Bus nach Dresden, aber die Reise endete an der Grenze, als die Kontrolleure in seinem Pass kein Visum entdecken konnten. Die Bundespolizei erwirkte einen Haftbeschluss, und weil Sachsen kein von Strafgefangenen getrenntes Gewahrsam besitzt, landete er in Berlin-Grünau.
Alles Weitere ist ein bürokratisches Prozedere. „Im Aufnahmeland wird angefragt, ob die ihn zurücknehmen“, sagt der Stellvertretende Gewahrsamsleiter Hans-Jürgen Schildt. Wenn keine Antwort kommt, wird das nach zwei Wochen als Zustimmung gewertet und der Betreffende in ein Flugzeug gesetzt. Im Normalfall wartet in Sofia am Flughafen kein Mensch auf abgeschobene Flüchtlinge. Farhad Abasid wird sich dann umgehend wieder in Bewegung setzen und versuchen, in ein anderes europäisches Land zu kommen. Der Gewahrsamsleiter kann diese Haltung verstehen. Einfluss hat er auf das Prozedere aber nicht.
Bisher hat er für Farhad Abasid noch keinen Abschiebetermin vorliegen. Genauso wenig wie für Hicham Hariri, der an diesem Tag mit Abasid im Besucherraum sitzt. Dem 38 Jahre alten Mann fällt es deutlich schwerer, mit der Situation klarzukommen als seinem jüngeren Gegenüber. „Ich habe in Syrien alles gehabt, ein Haus, ein Auto, einen guten Job. Ich war Lehrer für Arabisch. Ich habe sogar ein Masterstudium“, sagt er. Er hat die falsche Frau. Hicham Hariri sagt, er sei Sunnit, seine Frau aber Alawitin. Das reiche aus, um Todesdrohungen zu bekommen. Hicham Hariri verließ mit der Familie, einem siebenjährigen Sohn und einer neunjährigen Tochter, das Land. Auch sie landeten in Bulgarien in einem Lager. Nach Monaten erhielten sie eine Aufenthaltsgenehmigung und mieteten ein Haus. Aber irgendwann war ihr Geld verbraucht. Hariri ist mit seiner Familie dann in einen Bus nach Deutschland gestiegen.
Als sie von der Bundespolizei aufgegriffen wurden, steckte man nur den Mann ins Grünauer Gewahrsam. Wo seine Frau und seine Kinder geblieben waren, erfuhr er nicht. Erst Ludger Hillebrand, ein Seelsorger vom Jesuitenflüchtlingsdienst, der das Gewahrsam regelmäßig besucht, fand heraus, dass sich Frau und Kinder in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz befinden. Hariri ist zuckerkrank, es geht ihm nicht gut, aber er sorgt sich mehr um seine Familie als um sich selbst. „Meine Frau und meine Kinder brauchen mich. Sie haben niemanden“, sagt er. Der Seelsorger hat ihm ein Mobiltelefon gegeben. So konnte er mit Frau und Kindern sprechen. Die Kirche hat ihm auch einen Anwalt vermittelt.
Letzter Ausweg Zuckerkrankheit
Möglicherweise bietet Hariris Zuckerkrankheit einen Ausweg aus der Lage. „Es ist die Frage, ob er in Bulgarien medizinisch vernünftig versorgt werden kann. Vielleicht ist das ein Abschiebehindernis“, sagt Hillebrand. Er hat kein Verständnis für den Umgang mit Syrern. „Wenn diese Menschen aus dem Kriegsgebiet unser Land betreten, stecken wir sie ins Gefängnis. Das ist unmenschlich“, sagt Hillebrand. Man solle sie stattdessen in einer Erstaufnahmeeinrichtung unterbringen und den Sachverhalt prüfen.
Die Sonne scheint herein in den Besucherraum. Die anderen Tische sind alle leer. 214 Haftplätze hat das Gewahrsam, aber selten sind mehr als zehn Menschen gleichzeitig hier untergebracht. In der letzten Zeit sind es sehr oft Männer aus Syrien. „Es war ein gutes Leben vor dem Krieg“, sagt Hicham Hariri. Aber da widerspricht Farhad Abasid sofort. „Für einen Kurden gab es überhaupt keine Zukunft“, sagt er. „Alles war gut“, beharrt Hariri. Da lächelt Farhad Abasid und sagt: „Jetzt kämpfen wir gleich.“ Er meint das nicht ernst. Über das Leben vor dem Krieg haben sie nicht die gleiche Ansicht. Über Europas Asylpolitik schon. „Crazy“, sagt Hicham Hariri, wie sein Gegenüber. Nur lächelt er dabei nicht."

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