Bis vor einer Woche hat Farhad Abasid* sich immer
weiter vom Krieg entfernt. Aus Aleppo in Syrien flüchtete er in die
Türkei und dann weiter nach Bulgarien. Dort stieg er in einen Bus nach
Deutschland. Jetzt sitzt Abasid allerdings hinter einem dreifachen
Stahlzaun in Berlin-Grünau fest. Abschiebegewahrsam, Besucherraum, Tisch
neun. Von hier aus, kann der junge Mann sich nur noch rückwärts
bewegen.
Farhad Abasid hat ein Wort für das
europäische Asylrecht. „Crazy“, sagt er, verrückt, dann schüttelt er den
Kopf, sodass seine langen Locken wippen. Er lacht dabei, als sei das
ein guter Witz. 22 Jahre ist er alt. Aus Aleppo kommt auch der zweite
Mann an diesem Tisch. Hicham Hariri, ein Lehrer, 38 Jahre alt. Neben den
beiden sitzt zurzeit noch ein dritter Syrer in Grünau hinter Gittern.
Alle drei haben in Deutschland keinen legalen Aufenthaltsstatus. Sie
sollen nach Bulgarien abgeschoben werden. Dort hatten sie zuerst
europäischen Boden betreten und nach dem Dublin-Abkommen wird ihr
Asylgesuch deshalb in Bulgarien behandelt. Sie haben kein Recht, sich in
Deutschland aufzuhalten. Nach Bulgarien wollen die drei auf keinen Fall
zurück. „Dann lieber zurück nach Syrien“, sagt Farhad Abasid.
Gitter und Bewacher
Früher
war das Grünauer Gewahrsam ein Frauengefängnis. Die Anmutung ist
geblieben, überall Gitter, mit reinnehmen darf man nichts, ein Wachmann
sitzt während des Gesprächs mit im Raum. Immerhin gibt es drei
Mahlzeiten am Tag, es ist geheizt, man kann Licht anschalten, Sport
treiben, Bücher ausleihen. Es arbeitet ein Arzt hier, außerdem ein
Psychologe und ein Sozialarbeiter. Ab und zu schaut ein Seelsorger
vorbei. All dies sei für Asylbewerber in Bulgarien unvorstellbar, sagen
die drei.
Farhad Abasid ist vor einem Jahr aus
Aleppo geflohen. „Ich bin Kurde. Allein deswegen bin ich fast getötet
worden“, sagt er. Abasid hat in Aleppo Jura studiert. Dass er als Kurde
so weit gekommen ist, verblüfft ihn manchmal selbst. Auf dem Weg zur Uni
sei er eines Tages in eine Kontrolle durch ein Al-Kaida-Kommando
geraten. Die Männer hätten ihm ein Messer an den Hals gehalten und
gefragt, auf welche Art er bete. Die falsche Religion, lange Haare,
rauchen, alles könne einem zum Verhängnis werden, sagt Farhad Abasid.
Das Erlebnis am Kontrollpunkt hat ihn schockiert. Er verließ sein Land.
„Alle jungen Leute gehen weg aus Syrien. Nur die Alten, die es nicht
mehr über die Grenze schaffen, bleiben“, sagt Abasid. Er ging in die
Türkei, um von dort nach Europa zu kommen. Es ist eine finanzielle
Frage, wohin die Reise gehen kann. „Ein Schlepper für Deutschland hätte
10 000 Euro gekostet“, sagt Abasid. Er hatte nur 1 000 Dollar. Das
reiche nur bis Bulgarien.
Ein Schlepper setzte ihn an der bulgarischen Grenze
aus. Einen Tag lang ist er gelaufen. Aber in einem bulgarischen Dorf
hätten ihn dann Männer festgesetzt und die Polizei gerufen, sagt Abasid.
Er landete erst in einem Gefängnis. Später sei er dann in ein offenes
Camp verlegt worden. „Da schliefen acht Leute in einem Zimmer, in einem
leeren Raum, ohne Heizung, Fenster, Betten“, sagt Farhad Abasid. 30 Euro
habe er im Monat zum Leben bekommen. Irgendwann sei er nach Sofia
verlegt worden. Geld habe es dann nicht mehr gegeben. In Bulgarien werde
erwartet, dass Flüchtlinge sich selbst versorgen. Sie schliefen dann
eben auf der Straße.
Farhad Abasid fand einen Job
in einem Internetcafé für sieben Euro pro 12-Stunden-Schicht, er konnte
mit sieben anderen Syrern in einem Haus unterkommen. Nach neun Monaten
habe er seinen Pass zurückbekommen und einen Aufenthaltsstatus erhalten.
„Alle, die einen Ausweis haben, gehen dann nach Europa“, sagt Farhad
Abasid. Bulgarien zählt für ihn nicht dazu. Er schätzt, dass mindestens
5 000 Syrer in Bulgarien auf eine Gelegenheit warten, weiterzukommen.
„Es ist schrecklich in Bulgarien. Da kann man nicht leben“, sagt Farhad
Abasid. Er sei bedroht worden. In Gruppen würden bulgarische Männer
Flüchtlinge überfallen. Es gebe Kämpfe. „Die haben gesagt, geht weg, wir
wollen solche Leute wie euch in unserem Land nicht haben“. Aus Furcht
vor diesen Männern wollen die beiden Syrer nicht fotografiert werden und
ihre Namen nicht in der Zeitung veröffentlicht sehen. Schon morgen
könnten sie schließlich wieder in Sofia sein.
Farhad
Abasid wollte nach Schweden. Er habe da einen Freund, sagt er. Deshalb
bestieg er in Sofia einen Bus nach Dresden, aber die Reise endete an der
Grenze, als die Kontrolleure in seinem Pass kein Visum entdecken
konnten. Die Bundespolizei erwirkte einen Haftbeschluss, und weil
Sachsen kein von Strafgefangenen getrenntes Gewahrsam besitzt, landete
er in Berlin-Grünau.
Alles Weitere ist ein
bürokratisches Prozedere. „Im Aufnahmeland wird angefragt, ob die ihn
zurücknehmen“, sagt der Stellvertretende Gewahrsamsleiter Hans-Jürgen
Schildt. Wenn keine Antwort kommt, wird das nach zwei Wochen als
Zustimmung gewertet und der Betreffende in ein Flugzeug gesetzt. Im
Normalfall wartet in Sofia am Flughafen kein Mensch auf abgeschobene
Flüchtlinge. Farhad Abasid wird sich dann umgehend wieder in Bewegung
setzen und versuchen, in ein anderes europäisches Land zu kommen. Der
Gewahrsamsleiter kann diese Haltung verstehen. Einfluss hat er auf das
Prozedere aber nicht.
Bisher hat er für Farhad
Abasid noch keinen Abschiebetermin vorliegen. Genauso wenig wie für
Hicham Hariri, der an diesem Tag mit Abasid im Besucherraum sitzt. Dem
38 Jahre alten Mann fällt es deutlich schwerer, mit der Situation
klarzukommen als seinem jüngeren Gegenüber. „Ich habe in Syrien alles
gehabt, ein Haus, ein Auto, einen guten Job. Ich war Lehrer für
Arabisch. Ich habe sogar ein Masterstudium“, sagt er. Er hat die falsche
Frau. Hicham Hariri sagt, er sei Sunnit, seine Frau aber Alawitin. Das
reiche aus, um Todesdrohungen zu bekommen. Hicham Hariri verließ mit der
Familie, einem siebenjährigen Sohn und einer neunjährigen Tochter, das
Land. Auch sie landeten in Bulgarien in einem Lager. Nach Monaten
erhielten sie eine Aufenthaltsgenehmigung und mieteten ein Haus. Aber
irgendwann war ihr Geld verbraucht. Hariri ist mit seiner Familie dann
in einen Bus nach Deutschland gestiegen.
Als sie
von der Bundespolizei aufgegriffen wurden, steckte man nur den Mann ins
Grünauer Gewahrsam. Wo seine Frau und seine Kinder geblieben waren,
erfuhr er nicht. Erst Ludger Hillebrand, ein Seelsorger vom
Jesuitenflüchtlingsdienst, der das Gewahrsam regelmäßig besucht, fand
heraus, dass sich Frau und Kinder in einer Erstaufnahmeeinrichtung in
Chemnitz befinden. Hariri ist zuckerkrank, es geht ihm nicht gut, aber
er sorgt sich mehr um seine Familie als um sich selbst. „Meine Frau und
meine Kinder brauchen mich. Sie haben niemanden“, sagt er. Der
Seelsorger hat ihm ein Mobiltelefon gegeben. So konnte er mit Frau und
Kindern sprechen. Die Kirche hat ihm auch einen Anwalt vermittelt.
Letzter Ausweg Zuckerkrankheit
Möglicherweise
bietet Hariris Zuckerkrankheit einen Ausweg aus der Lage. „Es ist die
Frage, ob er in Bulgarien medizinisch vernünftig versorgt werden kann.
Vielleicht ist das ein Abschiebehindernis“, sagt Hillebrand. Er hat kein
Verständnis für den Umgang mit Syrern. „Wenn diese Menschen aus dem
Kriegsgebiet unser Land betreten, stecken wir sie ins Gefängnis. Das ist
unmenschlich“, sagt Hillebrand. Man solle sie stattdessen in einer
Erstaufnahmeeinrichtung unterbringen und den Sachverhalt prüfen.
Die
Sonne scheint herein in den Besucherraum. Die anderen Tische sind alle
leer. 214 Haftplätze hat das Gewahrsam, aber selten sind mehr als zehn
Menschen gleichzeitig hier untergebracht. In der letzten Zeit sind es
sehr oft Männer aus Syrien. „Es war ein gutes Leben vor dem Krieg“, sagt
Hicham Hariri. Aber da widerspricht Farhad Abasid sofort. „Für einen
Kurden gab es überhaupt keine Zukunft“, sagt er. „Alles war gut“,
beharrt Hariri. Da lächelt Farhad Abasid und sagt: „Jetzt kämpfen wir
gleich.“ Er meint das nicht ernst. Über das Leben vor dem Krieg haben
sie nicht die gleiche Ansicht. Über Europas Asylpolitik schon. „Crazy“,
sagt Hicham Hariri, wie sein Gegenüber. Nur lächelt er dabei nicht."
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