"München – Im syrischen Bürgerkrieg
eskaliert die Gewalt. Ein Ende des Assad-Regimes ist aber nicht in
Sicht. Wir sprachen darüber mit dem Nahost-Experten Prof. Dr. Peter
Scholl-Latour:
Herr Scholl-Latour, wie viel Zeit geben Sie dem Assad-Regime noch?
Viele
Hunde sind des Hasen Tod. Der Umsturz und der Fall des Regimes erfolgen
nicht von innen her. Er wird systematisch von außen betrieben. Assad
hat natürlich im Land sehr viele Feinde. Aber so, wie der „Arabische
Frühling“ bisher verlaufen ist, würde sogar der sunnitische Mittelstand,
der in Syrien sehr bedeutend ist, auf diesen Bürgerkrieg gerne
verzichten.
Assad ist Alewit, gehört also einer Minderheit an. Wie sind die Alewiten einzuordnen?
Assad
hat sie auf seiner Seite. Es handelt sich dabei um kampferprobte
Truppen, sogar um grausame Milizen, die jetzt um ihr Leben kämpfen. Es
geht nicht nur um das Verteidigen von Privilegien. Diese Truppen werden
massakriert, wenn ihre Gegner an die Macht kommen.
Was haben die Christen zu befürchten?
Das
ist im Fall Syrien der eigentliche Skandal. Der Westen kümmert sich
nicht im Geringsten um das Schicksal der syrischen Christen – immerhin
zehn Prozent der Bevölkerung. Den Christen wird es nach einer
Machtergreifung durch die Salafisten ebenso ergehen wie einst den
Christen im Irak, von denen die Hälfte bereits geflohen ist. Bei aller
Kritik darf man nicht vergessen, dass das Assad-Regime das einzige
säkulare im gesamten Orient war. Es gab in Syrien sogar einen
christlichen General, der erst kürzlich umgebracht worden ist.
Dennoch war der Aufruhr in Syrien wohl kaum zu vermeiden.
Das
ist richtig. Syrien steht in einer Linie mit nahezu allen arabischen
Ländern – ausgenommen jene Staaten, in denen Monarchien sich mit allen
Mitteln und auch mit US- Hilfe behaupten.
Wer steht hinter den Aufständischen in Syrien, wer unterstützt sie?
Saudi-Arabien,
Katar, die Türkei und natürlich die USA. Nicht zu vergessen die
Europäer, die ebenfalls kräftig mitmischen. Sie sind vor allem verbal
immer in vorderster Front zu finden. Etwa beim Fordern von Sanktionen.
Geht es um tatkräftiges Engagement, stellen sie sich allerdings meist
weit hinten an. Diese Rufe nach Sanktionen sind wenig sinnvoll, weil sie
in erster Linie die armen Bevölkerungsteile treffen. Und nicht die
führenden Schichten, wie wir wissen.
Sie meinen damit die Sanktionen gegen den Irak?
Ja,
dort konnte unter anderem wegen fehlender Chemikalien das Trinkwasser
nicht gereinigt werden, und tausende Kinder mussten qualvoll sterben.
Sanktionen, das muss man klar sehen, sind eine inhumane Maßnahme.
Wie kommen die Aufständischen in Syrien an Waffen und Munition, wie funktioniert die Logistik?
Warum liegt vor allem den USA so viel am Sturz des Assad-Regimes?
Der
eigentliche Zweck dieses Umsturzes, und deshalb sind auch die
Amerikaner so intensiv beteiligt, ist das Verhindern einer Achse.
Unterbunden werden soll, dass der Iran über den Irak – der ebenfalls
mehrheitlich schiitisch ist und dessen Regierungschef mit Teheran
sympathisiert – und über die Alewiten in Syrien, die ebenfalls Teheran
nahestehen, die bereits enge Verbindung zur Hisbollah im Libanon
ausbaut. Dort ist die Hisbollah im Süden die stärkste und landesweit die
kontrollierende Kraft. Sie ist so stark, dass sie im Jahr 2006 sogar
die Israelis zurückschlagen konnte.
Seit einigen Tagen wird viel von Assads Giftgas-Arsenalen gesprochen. Was halten Sie davon?
Das
erinnert stark an die Ereignisse vor dem Irak-Krieg. Im Jahr 2003
musste sich US-Außenminister Colin Powell vor die Vereinten Nationen
stellen und über Massenvernichtungswaffen berichten, die Saddam Hussein
nie hatte. Zumindest nicht in größerem Ausmaß. Natürlich verfügen auch
die Syrer – wie nahezu alle Länder in der Region – über
Gift-Kampfstoffe. Doch das Arsenal dürfte überschaubar sein. Der Einsatz
ist unwahrscheinlich, er würde die eigene Bevölkerung treffen.
Lassen Sie uns noch einmal auf die Rolle des Iran kommen: Wie groß ist sie?
Längst
nicht so groß, wie sie vor allem im Westen immer wieder dargestellt
wird. Der Iran hat sich zuletzt sehr stark zurückgehalten. Unter anderem
auch im Irak, wo längst viel radikalere Kräfte an der Macht sein
könnten. Mit Blick auf Syrien sollte nicht übersehen werden, dass dort
salafistische und extremistische Kräfte agieren, die von Saudi-Arabien
und dem dortigen Wahhabiten-Regime sowie durch religiöse Institutionen
unterstützt werden. Auch El Kaida ist in Syrien engagiert – was
bedeutet, dass die Amerikaner dort zu Verbündeten einer
Terrororganisation geworden sind.
Stichwort Russland: Das Verhalten des Kreml in der Syrien-Frage wird viel kritisiert. Zu Recht?
Ich
bin darüber nicht sehr entrüstet. Auch wir sollten ein wenig mehr
Zurückhaltung üben. Dass US-Außenministerin Clinton sich kürzlich in
Kairo einzumischen versuchte, wird ganz sicher keine positiven Folgen
haben.
Was wird denn mit Präsident Assad passieren?
Er
hat nur wenige Möglichkeiten. Falls er nicht irgendwo ins Exil gehen
kann, wird er entweder Gaddafis Schicksal teilen, der von seinen Gegnern
gefoltert, gepfählt und erst dann getötet worden ist, oder er landet
vor dem Internationalen Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag und
verbringt den Rest seines Lebens in einer Gefängniszelle.
Er wird also bis zum Letzten kämpfen?
Es
wird ihm gar nichts anderes übrig bleiben. Er hat ja auch
Verpflichtungen gegenüber seinen alewitischen Glaubensbrüdern, denen bei
einer Niederlage des Regimes ein Massaker droht, an dem gemessen die
bisherigen Verluste des Regimes gering sind.
Wie lange wird der Krieg in Syrien Ihrer Einschätzung nach dauern?
Die
Kämpfe können noch sehr lange anhalten. Im Libanon hat der Bürgerkrieg
15 Jahre gedauert. Das wird in Syrien aber nicht der Fall sein, weil der
Druck von außen sehr viel größer ist. Aber auch mit Blick auf eine
drohende lange Dauer der Kämpfe gilt: Sich direkt einzumischen, ist
nicht ratsam."
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