Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich
lebe seit mehr als 40 Jahren in Syrien, als Christ in einer moslemischen
Familie. Aber ich habe mich noch nie so bedroht gefühlt. Es gab viele
schwierige Zeiten, Krieg, Differenzen zwischen der syrischen und der britischen
Regierung, aber ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der die Handlungen des
Landes, das ich immernoch Heimat nenne, so peinlich beeinträchtigt gewesen
sind.
Syrien
ist kein sehr gut regiertes Land und die meisten Menschen beschweren sich über
die verschiedenen Geheimdienste und deren Macht, aber für nahezu alle ist die
ganze Zeit über das Leben sicher gewesen. Ich bin spät in der Nacht durch eine
5-Millionen-Stadt gelaufen ohne einen Gedanken daran, dass es unsicher sein
könnte. Die verschiedenen moslemischen und christlichen Glaubensrichtungen
haben auf ihre eigene Art und Weise und an ihren eigenen Plätzen ihre Religion
ausgeübt, mit nur wenig Kontrolle. Auch die Synagoge, die jetzt verlassen ist,
wurde vor Beschädigung geschützt und das Land, das von seinen jüdischen
Bewohnern verlassen wurde, wartet darauf, dass sie sie irgendwann
zurückfordern.
Es
scheint mir, die derzeitige Hasskampagne wurde gestartet, als der libanesische
Führer Rafiq Hariri vor einigen Jahren getötet wurde. Es musste Syriens Schuld
sein, obwohl er viel Zeit in Damaskus verbrachte und ein Haus dort besaß. Die Amerikaner
riefen und schrien, die Syrer müssten vor Gericht gestellt werden und erst als
Beweise, die vorher ignoriert wurden, der Weltöffentlichkeit zugänglich wurden –
dass die Amerikaner selber, mit israelischer Hilfe, daran beteiligt waren –
wurde das Thema stillschweigend fallengelassen.
Die
Grundlage von Demokratie, so wurde es mir beigebracht, ist eine freie Presse,
und Syrien beginnt erst jetzt, dies zu bekommen. Aber wie frei sind ihre
eigenen Informationen? Die offiziellen syrischen Nachrichtensender wurden von
Nilsat und Arabsat verbannt – so wird niemand in der arabischen Welt in der
Lage sein, die offizielle syrische Sichtweise zu erfahren. Europa hat Syrien
auf Hotbird, aber die Nachrichten auf dem arabischen Dienst der BBC zensieren
gewöhnlich alles, was die Regierung herausgibt. Andererseits wird oppositionsnahen
Programmen freier Lauf im Äther gegeben, obwohl ihr Inhalt oft extrem
umstritten und häufig ungenau ist. Ich habe Berichte über
Oppositionsdemonstrationen gesehen, die eigentlich Fotos von Pro-Regierungs-Demonstrationen zeigten und
Berichte, die angeblich aus Nordsyrien waren – wo es ein unglaublich nasses
Jahr gab –, die scheinen in irgendeiner Wüste aufgenommen worden zu sein. Die
Nachrichten, die als Wahrheit von BBC World News übernommen werden, sind
diesertage so voreingenommen, dass ich überhauptnichts mehr glaube, was sie über
irgendetwas sagen – nach über 60 Jahren Wahrheit.
Syrien
braucht sicherlich Demokratie, aber die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen
habe, von Freunden über Reinigungskräfte, Fabrikarbeiter und Taxifahrer, sehnen
sich im Moment nach einer starken Führungspersönlichkeit, einem „Vater für sein
Volk“. Wie die Mehrheit in England, wenn sie das Leben etwas leichter für sich
und ihre Familien sehen können, machen sie sich wirklich nicht zu viele Sorgen
über das System, solange wie es sie fair behandelt.
In
den letzten Jahren gab es viele Verbesserungen in der Lebensweise und dem
Lebensstandart vieler arbeitenden Menschen. Ein großer Fortschritt ist die
Reduzierung der Korruption bei der Polizei und den Justizbehörden und die
Beschneidung der Befugnisse der Sicherheitsdienste. Ein weiterer Fortschritt
war – bis zu dem derzeitigen Konflikt – das massive Wachstum im
Tourismusbereich in Syrien, was Tausende, vielleicht Hunderttausende von
Menschen auf die eine oder andere Weise Arbeit geboten hat. Das ist zum
Leidwesen vieler Familien natürlich jetzt weggefallen. Die Tragödie hier ist
eine doppelte. Die Bevölkerung hat sich in etwa 35 Jahren mehr als verdreifacht
(wie würde Großbritanien soetwas managen?) und niemand hat sich viel Mühe
gegeben, das System fair zu halten. Der Präsident wird im Westen viel wegen der
Begünstigung seines Stammes kritisiert, aber ich möchte darauf hinweisen, dass
viele Menschen in seiner Regierung keine Alawiten sind, obwohl es auch viele gibt,
und er zunehmend an der Spitze einer Regierung von Technokraten steht.
Der
traurigste Teil der gegenwärtigen Ereignisse ist für mich, wie zwei andere
arabische Staaten, Saudi-Arabien und Qatar, ermutigt werden, Syrien ihre
eigenen Formen von Demokratie aufzuzwingen. Wenn man bedenkt, dass die
saudische Polizei da anfängt, wo die syrische aufhört, und darauf stolz ist,
dass Frauen keinen gleichberechtigten Status haben, dass die Religionspolizei Macht und Status hat und
das jegliche Opposition von der saudischen Armee „fest angepackt“ wird, selbst
wenn es im Nachbarland Kuweit ist, kann ich mich über die Naivität der
Außenminister nur wundern, die scheinbar das alles dem relativ entspannten
Syrien „bescheren“ wollen.
Die
Oppostion, ach ja, die armen, unbewaffneten Rebellen kämpfen gegen die Macht
der Syrischen Armee. Hier sind ein paar Fakten, die ich selbst bezeugen kann:
Vergangenen
Sommer wurde ein Geschäftsfreund meines Mannes eingeladen, an einer friedlichen
Demonstration nach den Freitagsgebeten in Hama teilzunehmen. Er hatte Angst um
seine Sicherheit, aber ihm wurde eine rote Rose gegeben, die er tragen sollte,
und es wurde ihm versichert, die ganze Angelegenheit würde ruhig und geordnet
ablaufen. Da er viele andere Männer aus der Moschee zusammen mit ihren kleinen
Söhnen teilnehmen sah, willigte er ein. Sie gingen ein paar Minuten, die
unbewaffnete Polizei beobachtete sie vom Straßenrand aus. Dann zog ein Mann IN
SEINER NÄHE eine Schusswaffe hervor und erschoss den nächststehenden Polizisten.
Das Ergebnis war ein Aufruhr, mit Todesopfern. Von al-Jazeera als grundloser
Angriff der Polizei auf Demonstranten berichtet.
Ein
älterer Mann aus Jisr al-Shoghour, der im Ruhestand war und mit seiner Frau in
einer Erdgeschosswohnung lebte,
beschloss, dass es besser wäre, abzuwarten. Das Wetter war heiß, so dass seine
Fensterläden geschlossen, die Fenster aber offen waren. Er hörte draußen Leute
reden, die keinen syrischen Akzent hatten. Er dachte, sie seien Saudis oder so
ähnlich. Es machte ihm nichts aus, in den Händen von Syrern zu sein, aber er
war wütend und hatte Angst, sich der Gnade von Ausländern auszusetzen. Deswegen
setzte er seine Frau in sein kleines Auto und gab vor, nach Idleb zu wollen,
denn sie verweigerten ihm die Erlaubnis, nach Aleppo zu fahren.
Als
die Arabische Friedensmission nach Lattakia kam, bat ein Mann sie, die Rebellen
weg zu bringen, da sie das Leben unmöglich machten. Sobald die Beobachter die
Stadt verlassen hatten, wurde er von den Rebellen auf einem öffentlichen Platz
gehängt – zum Entsetzen eines dort lebenden ausländischen Freundes.
Es
gab mehrere Entführungen in Aleppo und die UNO hat erklärt, sie sei das Werk
der Opposition. Es gibt auch wohlbekannte Todeslisten für alle, die in
irgendeiner Weise für die Regierung arbeiten. Ich hoffe nur, dieser Brief setzt
mich nicht auf eine solche!
Geschäfte
in vielen Teilen Aleppos wurden geschlossen, nachdem die Eigentümer auf den
Fensterläden den Schriftzug „schließen oder abgebrannt werden“ gefunden haben.
Die
schrecklichen Ereignisse in Houla, wo Kinder erschossen oder erstochen wurden:
So viele Regierungen waren schnell damit, die Syrische Armee zu beschuldigen,
aber die UN-Beobachter haben bisher keinen Bericht vorgelegt. Warum nicht
warten, bis bekannt ist, was passiert ist?
Es
gibt so viele Fälle, die ich aus meinem eigenen Wissen heraus zitieren kann.
Bitte fragen Sie sich selber, ob es in Ihrem Interesse ist, hier ein extremes
islamistisches Regime an der Macht zu haben. Den Christen wurde bereits gesagt „Ihr
seid die Nächsten“, geschrieben an Kirchenwände in Aleppo und Lattakia.
Es
ist eindeutig richtig, dass es viele schlechte Seiten an der gegenwärtigen
Regierung gibt. Aber Dämonisierung des Präsidenten scheint kein nützlicher Weg
zu sein, obwohl der Druck auf Syrien im Moment sicherlich dazu beigetragen hat,
den internen politischen Prozess in Bewegung zu setzen und aus seinem
jahrelangen Trott zu bringen. Vielleicht könnte ein bisschen weniger Hysterie
der Außenminister und das alte Sprichwort „Du fängst mehr Fliegen mit Marmelade
als mit Essig“ an dieser Stelle hilfreich sein.
Übrigens,
wenn sie in naher Zukunft von dem Tod eines britischen Staatsbürgers in Aleppo
hören sollten, wird es daran liegen, dass diese Art von Meinung ausreicht, mich
auf eine Todesliste zu setzen – und die wird nicht von der Regierung sein!
Mit
freundlichen Grüßen
Angela Formby
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