Mittwoch, 12. Dezember 2012

"Syrien als al-Qaidas Terrorbasis gegen Europa"

"Etwa 100 islamistische Kämpfer mit europäischen Pässen sind derzeit in Syrien. Sie kämpfen an der Seite der Rebellen und spielen in al-Qaidas Plänen für die Nach-Assad-Zeit eine entscheidende Rolle. 
Von


Ein Foto aus Syrien. Es zeigt einen kräftigen Mann in schwarzer Kampfmontur. Um den Kopf gewickelt ein schwarzes Tuch, am Arm eine Binde, darauf das islamische Glaubensbekenntnis. In den Händen hält er ein Sturmgewehr. Der Text neben dem Bild verrät, dass der Mann kein Syrer ist. "Der Gotteskrieger Abu Ahmad al-Almani aus Deutschland".
Zu finden ist die Aufnahme bei Facebook. Dort gibt der Mann an, im Libanon geboren zu sein. Zuletzt lebte er in Deutschland. Dann wanderte er aus, um gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad zu kämpfen. Jetzt ist "Abu Ahmad" ein Krieger Allahs. Und er ruft seine deutschen Glaubensbrüder auf, ihm nachzufolgen.
"Liebe Geschwister kommt zu unseren Reihen und kämpft mit euren Brüdern so, als wären wir eine Mauer", heißt es in einem Facebook-Beitrag "Der Glaube ist die Waffe, die unsere Feinde am meisten fürchten."

Hunderte Ausländer schließen sich Rebellen an

Der Kämpfer aus Deutschland ist nach Recherchen der "Welt" nur einer von Hunderten Ausländern, die sich den syrischen Rebellen in ihrem Kampf gegen das Assad-Regime angeschlossen haben. Die meisten von ihnen sind junge Männer aus Nordafrika, dem Libanon, Jordanien, Saudi-Arabien und dem Jemen. Aber auch immer mehr Europäer füllen die Reihen der Milizen.
Nach Informationen der "Welt" gehen westliche Nachrichtendienste davon aus, dass sich auch etwa 100 Muslime mit europäischen Pässen am Krieg in Syrien beteiligen. Etliche dieser teils radikalislamischen Söldner sehen es als ihre Pflicht an, in den "Heiligen Krieg" gegen den syrischen Machthaber zu ziehen.
Deutsche Sicherheitsbehörden beobachten Reisen von radikalen Muslimen in Richtung Syrien mit Sorge. Es wird vermutet, dass sich ein Großteil der Personen an Kampfhandlungen gegen die Regierungstruppen beteiligen will.
Bislang ist die Lage der syrischen Opposition aus Sicht der Sicherheitsbehörden sehr undurchsichtig. Die Beweggründe der Syrien-Reisenden sind für Nachrichtendienstler oft nur zu erahnen. "Warum jemand nach Syrien reist, kann viele Gründe haben", sagte ein Ermittler der "Welt". "Der eine will seiner Familie helfen. Ein anderer will zum Märtyrer werden. Manchmal entwickelt sich auch jemand erst im Laufe des Konfliktes zum überzeugten Islamisten."

Al-Nusra betreibt Ausbildungslager in Syrien

Größtes Problem für die ausländischen Dschihadisten ist laut Bundesnachrichtendienst (BND) die chaotische Situation der unzähligen Kriegsparteien, Bürgermilizen und Rebellengruppen. Angereiste Islamisten aus Europa wissen nur selten, welcher Gruppierung sie sich anschließen, welche Ideologie und welche Ziele ihre Einheit letztendlich verfolgt.
Die wohl radikalste Rebellengruppierung nennt sich "Dschabat al-Nusra". Sie ist dschihadistisch orientiert und will einen Gottesstaat in Syrien errichten. Dschabat al-Nusra gilt als Ableger Al-Qaidas in der Region. Eine offizielle Einbindung in das Terrornetzwerk hat die Gruppierung, der etwa 1000 Kämpfer angehören sollen, bislang allerdings bewusst vermieden. Aus Imagegründen, wie Nachrichtendienstler vermuten. Dschabat al-Nusra wolle Machthaber Assad keine Vorlage liefern die Opposition als Al-Qaida-Söldner zu brandmarken.
Nach Erkenntnis westlicher Dienste betreibt al-Nusra mehrere große Ausbildungslager in Syrien. Kampferprobte Islamisten, Veteranen aus dem Irak und Afghanistan bilden dort neue Rekruten aus. Auch westliche Islamisten. Ähnlich wie in den afghanischen Al-Qaida-Camps in den 1990er Jahren erlernen derzeit hunderte Islamisten in den Lagern von Dschabat al-Nusra den Umgang mit Schusswaffen, Bombenbau und Nahkampftechniken.

Neue Al-Qaida-Zellen in Syrien und Ägypten

Al-Qaida-Boss Aiman al-Zawahiri konzentriert seine Anstrengungen zurzeit besonders auf Syrien und Ägypten und versucht dort, neue Strukturen aufzubauen. Denn nach dem Tod Osama bin Ladens folgen viele Al-Qaida-Ableger nicht mehr seinen Befehlen. Deshalb baut Zawahiri nach Informationen westlicher Sicherheitskreise in beiden Ländern neue Zellen auf, die direkt seinem Befehl unterstellt sind.
Sein Statthalter in Syrien ist Abu Muhammad al-Dschulani, der Anführer von Dschabat al-Nusra. In Ägypten führen Dschamal al-Kaschef und Scheich Adel Schahato für ihn die Geschäfte. Al-Qaida will die "häretischen Regime" in beiden Ländern bekämpfen, zu denen Zawahiri inzwischen auch die neue Regierung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi zählt. Zawahiri hat in einer seiner letzten Reden auch zu Angriffen auf die ägyptische Armee aufgerufen, um Mursis Regierung zu stürzen.
Mehrere aus Ägypten stammende Al-Qaida-Führer sollen laut Geheimdiensterkenntnissen nach Ägypten gereist sein, nachdem sie jahrelang in Pakistan und Afghanistan gekämpft haben. Andere Aktive und Führungsfiguren wurden unter der neuen Regierung aus dem Gefängnis entlassen und können sich nun frei bewegen. Die Al-Qaida-Zelle in Ägypten wird auch mit dem Anschlag auf das amerikanische Konsulat in Bengasi in Verbindung gebracht.

Ägypten als Tummelplatz des globalen Dschihad

Am 24. Oktober erst haben ägyptische Sicherheitskräfte ein "safe house" in Kairo ausgehoben das von einer Al-Qaida-Einheit benutzt wurde, welche von al-Kaschef befehligt wird. Ein Al-Qaida-Kämpfer wurde dabei getötet, andere festgenommen. Die Sicherheitskräfte fanden ein umfangreiches Waffenlager und Sprengstoff. Bei Razzien in den folgenden Tagen wurden mehr als 20 Al-Qaida-Mitglieder festgenommen. Laut ägyptischen Ermittlungen soll die Zelle direkt Zawahiri unterstellt gewesen sein und das Ziel gehabt haben, Mursi zu stürzen.
Durch den politischen Umbruch ist Ägypten ein Tummelplatz für den globalen Dschihad geworden. So reiste etwa der deutsche Al-Qaida-Kämpfer Denis Cuspert, der auch mit Anschlägen in Deutschland gedroht hat, nach Kairo. Viele deutsche Kämpfer wie auch andere Europäer geben vor, den Islam oder Arabisch studieren zu wollen. Tatsächlich finden sie sich dann schnell in Al-Qaida-Trainingslagern in Ägypten selbst, im Sinai oder in Libyen wieder.

Syrien für Terroristen am wichtigsten

Das wichtigste Operationsfeld für al-Qaida ist derzeit allerdings Syrien. Nach Informationen der "Welt" aus westlichen Sicherheitskreisen hat Zawahiri im vergangenen Jahr mindestens drei Führungskader nach Syrien entsandt, um die dschihadistischen Gruppen dort gemäß seiner Vorgaben zu organisieren. Besonders besorgniserregend für den Westen sind die Bemühungen al-Qaidas, chemische und biologische Waffen in ihre Hände zu bekommen.
Lokale Al-Qaida-Operateure sollen schon Anweisungen bekommen haben, die Lagerstätten dieser Waffen zu identifizieren und laut Sicherheitskreisen sucht al-Qaida in Syrien nach Experten, die sie in den richtigen Gebrauch der Waffen einführen sollen. Die Operationen al-Qaidas konzentrieren sich derzeit offenbar auf Dera im Südwesten und auf Aleppo, wo sich die Führungszentrale befinden soll.

Ausbildung von Extremisten mit europäischen Pässen

Was westliche Sicherheitsdienste besonders beunruhigt ist die Absicht Zawahiris, in Ägypten und Syrien Extremisten mit europäischen Pässen auszubilden, um dann in Europa Terrorzellen aufzubauen. Besonders in Syrien herrscht inzwischen in Teilen des Landes ein Machtvakuum, in das die Dschihadisten hineinstoßen.
Wenn es nach Al-Qaida geht, dann soll Syrien ein neues "Waziristan" werden, der Landstrich in Pakistan, in dem sie sich weitgehend unbehelligt bewegen können.
Für zukünftige Anschläge in Europa sind Extremisten mit europäischem Pass besonders wertvoll. Wie der Spanier Rachid Wahbi aus Sauta, der in Syrien im Juni 2012 umkam und über Istanbul und die Türkei eingereist war. Er soll auf dem Weg in ein Trainingscamp für europäische Kämpfer gewesen sein.
Ein weiteres Beispiel ist Mehdi al-Harati, ein Libyer mit irischem Pass. Er war einer der Gründer der Tripoli-Brigade, der ersten Aufständischen-Einheit in Libyen. Inzwischen führt er die Rebellen im Norden Syriens an. Etwa 100 Kämpfer oder kampfbereite Radikale mit europäischem Pass sollen bisher nach Syrien gekommen sein.

Al-Qaida plant Ausdehnung nach Europa

Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste soll Al-Nusra-Kommandeur Abu Mohammad al-Dschulani schon jetzt planen, seine Operationsbasis von Syrien über die Türkei nach Europa auszudehnen. Er bereitet sich auf den Tag nach dem Sturz Assads vor, um Syrien zu einem Zentrum für dschihadistische Aktivität auch in anderen Ländern zu machen.
Einige von al-Dschulanis Al-Qaida-Zellen operieren schon in anderen Ländern in der Region und er ist nach Erkenntnissen westlicher Sicherheitskreise gerade dabei, weitere Zellen in Europa aufzubauen. Auffällig ist, dass Dschabat al-Nusra europäische Kämpfer bisher nicht für Selbstmordattentate in Syrien einsetzt.
Offenbar sollen diese Kämpfer nicht "verheizt" werden, weil ihre europäischen Pässe in Zukunft noch sehr wichtig für al-Qaida werden. Dann, wenn der Kampf in Syrien vorbei ist und sich das Terror-Netzwerk stärker nach Europa hin orientieren will."


 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen