Freitag, 12. Oktober 2012

Hariri-Verstrickungen in Syrien

"Saad Hariri ist überall präsent im Libanon, auch wenn er seine Zeit als Premier (2009 bis 2011) hinter sich hat und im Ausland lebt, meist in Paris. Er ist immer noch sehr einflussreich und mit mit 42 Jahren der jüngste Multimilliardär der Welt. Vor allem aber ist er der Sohn von Rafik Hariri, der viele Jahre Regierungschef war und am Valentinstag 2005 bei einem Bombenanschlag starb, mutmaßlich auf Geheiß Syriens.

Die Kämpfer treffen sich in einer Garage

Kein Wunder, wenn der junge sunnitische Politiker, der das finanzielle und politische Erbe seines Vaters angetreten hat, den Kampf der Rebellen gegen den verhassten Assad-Clan gutheißt. Aber bei Solidaritätsbekundungen ist es angeblich nicht geblieben: Hariri und Mitglieder seiner Zukunftsbewegung, so heißt es, organisieren Waffenlieferungen an die militante Opposition.
Von einer Unterstützung durch Hariri will man im Sunniten-Viertel Bab al-Tabaneh nichts wissen. "Keinen Cent bekommen wir", sagt Abu Munir in seiner großräumigen Garage. Sie ist der Treffpunkt seiner Kämpfer, "wenn von oben wieder einmal geschossen wird".
Der glatt rasierte Mittdreißiger gibt sich als Nachbarschaftsführer, der bei Streitigkeiten vermittle. Nein, nein, eine Miliz habe er nicht. Und die Pistolen, die bei ihm und seinem Begleiter im Gürtel stecken, brauche man nur zu Selbstverteidigung. "Gegen die Terroristen in Dschabal Mochsen, die ihre Waffen direkt aus Damaskus bekommen!"

3500 Salafisten in Tripoli

Dann führt er ganz nach oben in das sechste Stockwerk des Gebäudes. Eine mehrere Meter lange Sandsackbarrikade mit dem Blick nach oben ins Viertel der Alawiten. "Ja, wir schießen von hier aus auch mit Panzerabwehrraketen", sagt er lapidar. Durchs Fenster sieht man in der Häusersilhouette einige ausgebrannte Wohnungen.
Seine Sympathie für den Kampf der Freien Syrischen Armee bekennt Abu Munir deutlich. "Assad muss weg, und das möglichst schnell." Von Waffen und militanten Islamisten, die von Tripoli aus über die nahe Grenze nach Syrien geschmuggelt werden, will er aber ebenso wenig etwas wissen wie von der Beteiligung Hariris.
Dabei ist Tripoli bekanntermaßen der Ausgangspunkt des Schmuggels nach Syrien und ein Zentrum des erzkonservativen, sunnitischen Islams. Von dessen radikalsten Vertretern, den Salafisten, soll es in Tripoli rund 3500 geben. Und sie verstecken sich nicht: Kürzlich plünderten sie Geschäfte von Alawiten und zündeten sie an.

"Gott bevorzugt Kopf abschneiden"

Ideologischen Nachschub erhalten die Extremisten offenbar aus dem Ausland. Am Strand von Tripoli wurden 60 noch verpackte Kopien eines Buches gefunden, die offensichtlich in aller Eile zurückgelassen wurden. Titel des 600 Seiten starken Machwerks: "Sachfragen zur Wissenschaft des Heiligen Kriegs". Autor: Scheich Abdul-Rahman al-Ali, ein Islamgelehrter des Terrornetzwerks al-Qaida.
Darin wird das Töten von Zivilisten, selbst von Frauen, Kindern oder älteren Menschen im Dschihad gerechtfertigt. Ungläubigen den Kopf abzuschneiden, sei "beabsichtigt und bevorzugt von Gott und dem Propheten".
Aber auch handfestere Unterstützung bekommen die Salafisten und ihre Glaubensbrüder in Syrien im Kampf gegen Assad. Wie aus Quellen der Hafenbehörde von Tripoli verlautet, kamen in jüngster Zeit drei Schiffe mit Waffenlieferungen libyscher Islamisten an.

Waffen von Islamisten aus Libyen

Ein viertes hatten die libanesischen Behörden im April dieses Jahres aufgebracht: In drei Containern an Bord der aus Libyen kommenden "Letfallah II" fanden sie Panzerabwehraketen, Maschinengewehre und Munition.
Saad Hariri kommt in Person zweier einflussreicher Mitglieder seiner Partei Zukunftsbewegung ins Spiel, Khaled Daher und Muin Morabi. Die beiden Abgeordneten sollen vom Libanon aus militante, syrische Oppositionsgruppen bewaffnen.
"Mit Geldern aus Saudi-Arabien", versichert ein Journalist einer bekannten libanesischen Tageszeitung, der anonym bleiben will. Der Reporter machte an der Grenze Videoaufnahmen von 40 Sam-7 Luftabwehrraketen, die Teil einer umfangreichen Lieferung waren.

Hariri will wieder an die Macht im Libanon

Das Engagement der beiden Abgeordneten der Zukunftsbewegung ist ohne das Wissen von Parteichef Saad Hariri nicht denkbar. Wie schon sein Vater, der sein Vermögen in Saudi-Arabien machte, hat auch der Sohn gute Beziehungen ins heilige Land des Islams.
Saad wurde in Saudi-Arabien geboren und verwaltete bis zum Tod seines Vaters 2005 dort das Familienvermögen. Der Sturz des syrischen Regimes ist für Hariri und seine Partei der Schlüssel ihrer Politik: Eine historische Wende, die die Zukunftsbewegung in die Regierung und Hariri wieder ins Amt des Premierministers bringt.
Mit dem Ende Assads, so glaubt man, sei auch das Schicksal seines Verbündeten, der Hisbollah, besiegelt. Die schiitische Partei und Miliz ist der große, politische Gegenspieler der Zukunftsbewegung.

Den Haag macht die Hisbollah verantwortlich

Mit der Hisbollah verbindet Hariri zudem ein ganz persönlicher Aspekt: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag stellte Haftbefehle gegen Mitglieder der Organisation aus, die am Attentat auf seinen Vater beteiligt gewesen sein sollen.
Ein anderer Akteur aus dem engeren Umfeld Saad Hariris ist Okab Sakr. Er ist ebenfalls Abgeordneter der Zukunftsbewegung. Ein Kommandeur einer 4000 Mann starken syrischen Rebellentruppe behauptet, er habe Aufnahmen von Telefongesprächen mit Sakr.
"Wir können euch alles beschaffen, was ihr wollt. Waffen und Geld", soll er angeboten haben. Abu Abdelrahman, der Kommandeur, lehnte dankend ab. Er ist selbst ein wohlhabender Mann, kann seine Truppe aus eigenen Mitteln finanzieren und will auf niemandes Rechnung arbeiten.

Das Geld kommt aus Saudi-Arabien

Der Hariri-Mann Sakr ist mittlerweile nicht mehr im Libanon, offiziell residiert er in Belgien. Nach Auskunft der Zukunftspartei macht er eine "Pause". Über sein Handy war Sakr zu einer Stellungnahme nicht erreichbar.
Der libanesische Abgeordnete ist mittlerweile in der Türkei tätig. "Er managt das gesamte Geld der Saudis", sagt Scheich Mahmud Elsour in einem Hotel im türkischen Antakya, nur 20 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt.
Der Mann weiß, wovon er spricht: Er führt im Namen der Freien Syrischen Armee Verhandlungen mit dem Syrischen Nationalrat in Istanbul und mit ausländischen Regierungsvertretern über ihr Vorgehen in Syrien.

Türkei stellt angeblich Geleitschutz

Sakr pendelt zwischen Istanbul und dem Grenzgebiet hin und her. In der türkischen Hauptstadt werden Planung und Organisation durchgeführt. Sakr soll Vertreter unter den Rebellen in allen 14 syrischen Provinzen haben. Die Waffen werden vom türkischen Geheimdienst und Militär transportiert.
Augenzeugen beobachteten offiziellen Geleitschutz für Waffenlieferungen an der Grenze. Der libanesische Politiker Sakr ist dann meist mit dabei. Erst im August soll er die Übergabe von mehreren Zehntausend Kalaschnikows und Dutzenden von Panzerabwehrraketen überwacht haben.
Die Waffenlieferungen Sakrs gehen nur an ausgewählte Rebelleneinheiten. Nicht jeder kommt in den Genuss der Unterstützung aus Saudi-Arabien. "Wir bekommen von diesen Geldern nichts", sagt Mohammed Hamoudi, der zwei Rebellenbataillone in der Region von Latakia anführt.

Hilfe bekommen nur die Islamisten

Mit "wir" meint der Kommandeur die Freie Syrische Armee unter dem Oberbefehl von General Mustafa Scheich. "Wir kämpfen für einen demokratischen, säkularen Staat", erklärt Hamoudi. "Aber dafür gibt man uns keinen Cent. Die Saudis unterstützen nur Islamisten."
Die Muslimbruderschaft sei aber nicht darunter. "Die wird von Katar unterstützt", behauptet der Kommandeur. Neben Saudi-Arabien und Katar soll auch Kuwait, ein weiterer Golfstaat, in Syrien mitmischen.
Das Emirat gilt als Finanzpate von Ahrar al-Scham, die "Brigade des freien Levante". Sie operiert in den syrischen Städten Idlib und Aleppo. Die Brigade bezeichnet sich "von keiner Partei oder Organisation abhängig", spricht aber vom Heiligen Krieg und will "eine rechtschaffene und gerechte Herrschaft des Islams" etablieren.

Leid der Kinder wird in Kauf genommen

Ahrar al-Scham ist im Internet mit eigener Facebook-Seite und mit Twitter-Konto präsent. "Publicity ist entscheidend", sagt ein Medienoffizier der Rebellen, der seinen Namen allerdings nicht nennen möchte. "Je mehr Videos von Angriffen und Bombenanschlägen im Netz stehen, desto mehr Geld wird gespendet."
Jeder Sponsor scheint sich seine bevorzugten Rebellengruppen auszusuchen. Frieden oder ein schnelles Ende des mittlerweile 19 Monate dauernden Bürgerkriegs erreicht man damit nicht.
Im Gegenteil: Das Chaos sowie das Leiden und Sterben der Zivilbevölkerung wachsen. Aber das scheinen die Geldgeber und Männer wie Okab Sakr einem höheren Ziel unterzuordnen: Assad und sein Regime müssen fallen. Koste es, was es wolle."

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