"...Die türkische Regierung befindet sich in einem mehrfachen Dilemma:
Sie hat bereits knapp 100.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und
gerät damit offensichtlich an den Rand ihrer Kapazitäten. Hunderttausend
Flüchtlinge waren in Ankara immer als Obergrenze definiert worden.
Danach, so hieß es, müssten sichere Zonen für Flüchtlinge auf der
syrischen Seite geschaffen werden. Die Türkei
ist aber auch schon längst in den Krieg gegen Assad involviert: Die
Freie Syrische Armee (FSA) agiert von türkischem Territorium aus, es
soll Ausbildungslager für syrische Deserteure geben, und auch der
Waffennachschub für die Rebellen geht teilweise über die Türkei. Assads
Regime wirft Ankara außerdem vor, Dschihadisten aus Libyen, Pakistan und
anderen Regionen unbehindert nach Syrien einreisen zu lassen.
Ankara setzt schon seit rund einem Jahr offen auf einen Sturz Assads.
Dabei geht es natürlich nicht nur um humanitäre Aspekte oder die
selbstlose Unterstützung einer angeblich demokratischen
Aufstandsbewegung. Es geht vor allem um die Chance, den türkischen
Einfluss im Nahen Osten auszubauen, wenn in Damaskus eine Regierung mit
Unterstützung Ankaras an die Macht kommen sollte. Wie Saudi-Arabien und
Katar setzt die islamische Regierung von Erdogan auf den Erfolg der
sunnitischen Opposition gegen das alawitische Regime von Assad. Der
Versuch, sich selbst als Führungsmacht in einem sunnitisch dominierten
Nahen Osten zu etablieren, wurde zuletzt auf dem Parteitag von Erdogans
AKP deutlich: Neben dem sunnitischen Führer aus dem Irak, Tarik
al-Haschemi, traten auch Hamas-Anführer Chalid Maschaal und der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi auf.
Doch solange der Weltsicherheitsrat gegen eine Intervention in Syrien
ist und Nato und USA nicht bereit sind, die Türkei militärisch aktiv zu
unterstützen, spielen Erdogan und Davutoglu in Syrien mit dem Feuer:
Nicht nur die Opposition im Parlament, auch der überwiegende Teil der
türkischen Bevölkerung ist nach Umfragen strikt gegen ein militärisches
Eingreifen in Syrien.
Trotzdem wird das Parlament mit der Mehrheit der Regierungspartei AKP
an diesem Donnerstag einem Antrag des Kabinetts stattgeben, mit dem
grenzüberschreitende Interventionen gebilligt werden. Es handelt sich
dabei um einen sogenannten Vorratsbeschluss: Er gibt Erdogan künftig die
Gelegenheit, sofort gegen Syrien zu reagieren, ohne das Parlament
befragen zu müssen. "Die Türkei hat kein Interesse an einem Krieg mit
Syrien", twitterte Erdogans Berater Ibrahim Kalin zwar. "Aber die Türkei
ist in der Lage, ihre Grenzen zu schützen und wenn nötig
zurückzuschlagen."
Mit weiteren Zwischenfällen ist also zu rechnen."
Quelle:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkische-attacken-gegen-syrien-erdogans-spiel-mit-dem-feuer-a-859407.html
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