Donnerstag, 4. Oktober 2012

"Mit weiteren Zwischenfällen ist zu rechnen"

"...Die türkische Regierung befindet sich in einem mehrfachen Dilemma: Sie hat bereits knapp 100.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und gerät damit offensichtlich an den Rand ihrer Kapazitäten. Hunderttausend Flüchtlinge waren in Ankara immer als Obergrenze definiert worden. Danach, so hieß es, müssten sichere Zonen für Flüchtlinge auf der syrischen Seite geschaffen werden. Die Türkei ist aber auch schon längst in den Krieg gegen Assad involviert: Die Freie Syrische Armee (FSA) agiert von türkischem Territorium aus, es soll Ausbildungslager für syrische Deserteure geben, und auch der Waffennachschub für die Rebellen geht teilweise über die Türkei. Assads Regime wirft Ankara außerdem vor, Dschihadisten aus Libyen, Pakistan und anderen Regionen unbehindert nach Syrien einreisen zu lassen.
Ankara setzt schon seit rund einem Jahr offen auf einen Sturz Assads. Dabei geht es natürlich nicht nur um humanitäre Aspekte oder die selbstlose Unterstützung einer angeblich demokratischen Aufstandsbewegung. Es geht vor allem um die Chance, den türkischen Einfluss im Nahen Osten auszubauen, wenn in Damaskus eine Regierung mit Unterstützung Ankaras an die Macht kommen sollte. Wie Saudi-Arabien und Katar setzt die islamische Regierung von Erdogan auf den Erfolg der sunnitischen Opposition gegen das alawitische Regime von Assad. Der Versuch, sich selbst als Führungsmacht in einem sunnitisch dominierten Nahen Osten zu etablieren, wurde zuletzt auf dem Parteitag von Erdogans AKP deutlich: Neben dem sunnitischen Führer aus dem Irak, Tarik al-Haschemi, traten auch Hamas-Anführer Chalid Maschaal und der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi auf.
Doch solange der Weltsicherheitsrat gegen eine Intervention in Syrien ist und Nato und USA nicht bereit sind, die Türkei militärisch aktiv zu unterstützen, spielen Erdogan und Davutoglu in Syrien mit dem Feuer: Nicht nur die Opposition im Parlament, auch der überwiegende Teil der türkischen Bevölkerung ist nach Umfragen strikt gegen ein militärisches Eingreifen in Syrien. Trotzdem wird das Parlament mit der Mehrheit der Regierungspartei AKP an diesem Donnerstag einem Antrag des Kabinetts stattgeben, mit dem grenzüberschreitende Interventionen gebilligt werden. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Vorratsbeschluss: Er gibt Erdogan künftig die Gelegenheit, sofort gegen Syrien zu reagieren, ohne das Parlament befragen zu müssen. "Die Türkei hat kein Interesse an einem Krieg mit Syrien", twitterte Erdogans Berater Ibrahim Kalin zwar. "Aber die Türkei ist in der Lage, ihre Grenzen zu schützen und wenn nötig zurückzuschlagen."
Mit weiteren Zwischenfällen ist also zu rechnen."

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkische-attacken-gegen-syrien-erdogans-spiel-mit-dem-feuer-a-859407.html 

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