Montag, 11. März 2013

"In Syrien kämpfen auch die Weltmächte darum, wer künftig das Sagen hat in der Region"

"Präsident Baschar al-Assad muss gehen, vorher gibt es keine Verhandlungen in Syrien - das ist die Position des Westens. Die Forderung ist fatal, denn sie verlängert das Blutvergießen. So wird das Land in Anarchie versinken, zerstört und zerstückelt in Kriegsfürstentümer und islamistische Enklaven.

In Syrien kämpft ein Volk verzweifelt um die Freiheit, gegen eine Diktatur, das kostete bisher fast 70.000 Menschen das Leben. Millionen Menschen sind deshalb auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. In Syrien kämpfen auch die Weltmächte darum, wer künftig das Sagen hat in der Region: der Westen und dessen Verbündete - oder alte Alliierte des Regimes. Niemand mischt sich offen ein in diesen Konflikt, keiner schickt Soldaten nach Damaskus, von offener Invasionspolitik scheint der Westen erst mal genug zu haben. Trotzdem haben die USA und Europa, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar Interessen in Syrien.
Was wollen der Westen und seine Verbündeten? Den Einfluss des Syrien-Alliierten Iran eindämmen und die Hisbollah schwächen, das soll vor allem Israel schützen. Den Türken und den Saudis wiederum geht es darum, die Sunniten in der Region zu stärken, denen auch ihre Völker angehören. Was die Franzosen mit Nato-Bomben in Libyen vollbrachten, den Sturz des Diktators, soll diesmal jedoch allein mit Hilfe von Geld und Agenten erreicht werden.

Die Brutalisierung wächst mit jedem Tag
Die Rollen sind klar verteilt: Amerika verbreitet, es gehe um die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten, US-Diplomaten verhandeln im Ausland mit der Oppositionselite, andere stellen die Ressourcen zur Verfügung. Die Katarer geben Geld, saudi-arabische Geheimdienstler koordinieren den Widerstand gegen das Assad-Regime auf syrischem Boden.
Saudis erteilen militärischen Rat, und sie geben auch großzügig gebündeltes Bares für Waffen. Dabei bevorzugen die Golfstaaten als Kampfpartner nicht Anfänger wie die aus den örtlichen Milizen entstandenen Rebellengruppen, sondern erfahrene Dschihadisten. Diese sind furchtlos und militärisch effektiv, auch ideologisch ist man sich einig. Dass Extremisten besonders brutal vorgehen wie im Fall der Jarmuk-Brigaden, die unbewaffnete Armeesoldaten exekutieren und die sogar Uno-Truppen als Geiseln nehmen, spielt dabei offenbar keine große Rolle. Auch in der Türkei können sich Aufständische jederzeit zur medizinischen Behandlung ins Feldlazarett zurückziehen, egal ob sie der moderateren Freien Syrischen Armee angehören oder ob sie auf der Stirn gerade noch das Banner salafistischer Organisationen trugen wie Dschabhat al-Nusra, Ansar-Brigade oder Abdullah-Assam-Brigaden. Eine Revolution für Freiheit und Demokratie, erkämpft Seite an Seite mit Verbündeten von al-Qaida, ist zumindest befremdlich.
Offiziell haben die USA al-Nusra zwar ausgeschlossen von jenen, die sie als Regierungsvertreter für die Zeit nach Assad anerkennen wollen, und noch ist der Einfluss islamistischer Kämpfer begrenzt. Doch wächst nicht nur die Brutalisierung des Konflikts mit jedem Tag, den der Bürgerkrieg andauert, sondern auch die Islamisierung.

Syrien droht in Anarchie zu versinken
Analysten in Ankara und Washington unterschätzen die Zähigkeit der syrischen Regierung. Sie übersehen auch, dass die Assad-Loyalen und die fast drei Millionen Alawiten, denen auch Präsident Baschar al-Assad angehört, gar keine Wahl haben, als bis zur letzten Patrone zu kämpfen. Werden sie besiegt, müssen sie mit dem Schlimmsten rechnen. "Wenn die Aufständischen in die Stadt kommen, fressen sie uns bei lebendigem Leibe" - so drückt es ein reicher Geschäftsmann in Damaskus aus. Tausende andere teilen seine Angst. Schon jetzt entführt die Opposition Alawiten, Christen, säkulare Sunniten oder schlicht Wohlhabende und ermordet gezielt Repräsentanten des Regimes.
Durch die einseitige Dämonisierung der Assad-Regierung und mit der von den USA aufgestellten Vorgabe, nichts sei denkbar, bevor der Despot nicht zurücktrete, hat der Westen eine Lösung durch Verhandlungen blockiert: die Hoffnung auf einen Waffenstillstand, eine mögliche geordnete Teilung des Landes oder wenigstens die Einrichtung von Schutzzonen für Flüchtlinge. Der Krieg geht einfach weiter. Auch weil Iran nicht zulassen könnte, dass der syrische Verbündete durch einen sunnitischen Regenten mit engen Beziehungen zu Riad und Washington ersetzt wird. Und Russland wird seinen Einfluss in der Region ebenfalls nicht kampflos aufgeben. Das bedeutet die Zerstörung eines ganzen Landes, in dem 21 Millionen Menschen leben und das über ein einmaliges kulturelles Erbe verfügt. Syrien könnte bald in Anarchie versinken, zerstückelt in Kriegsfürstentümer und islamistische Enklaven.
Der Gipfel der Grausamkeiten in Syrien ist noch längst nicht erreicht. Das gilt nicht nur für Assad, sondern auch für die sehr unterschiedlich ausgerichteten Revolutionäre, von denen nicht wenige schon jetzt radikalisiert sind oder durch radikale Islamisten unterwandert werden. Und mit denen der Westen bisher weithin kritiklos sympathisiert."

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/kommentar-zum-krieg-in-syrien-und-der-strategie-des-westens-a-887537.html

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