"Hier ist ein Artikel von Patrick Cockburn, ein Sympathisant der
Rebellen, der aber nicht völlig die Augen vor der Wirklichkeit
verschließt, dem nichtsdestoweniger der volle Durchblick fehlt.
Insgeheim wünscht er den Rebellen noch "eine kräftige Transfusion aus
Geld und Waffen", wovon sie schon mehr als genug erhalten haben.
Außerdem hält er an der Mär fest, dass es sich um einen reinen
Bürgerkrieg handelt - also Syrer gegen Syrer - und nicht um eine
regelrechte ausländische Invasion durch westliche Stellvertreter in
Gestalt von moslemischen Fundamentalisten aus der ganzen Welt.
Dschihadisten erwähnt er ganz am Ende in einem undurchsichtigen
Nebensatz: "wie im Irak ist Syrien zu einem Magneten für Dschihadisten
geworden". Er vergisst nur zu sagen, dass der Magnet aus den Dollars der
Amis und Saudis und Kataris bestand. Er vergisst auch zu sagen, dass
sowohl in Saddam Husseins als auch in Assads Regierung außer Alawiten
auch Sunniten, Christen, Drusen, Kurden saßen und sitzen.
Und natürlich vergisst er auch zu sagen, welch verhängnisvolle Rolle -
praktisch eine Kriegserklärung - die von den USA auferlegten
Sanktionen spielen, die allein die Bevölkerung treffen, die man doch
verbal so ins Herz geschlossen hat. Auch die englischen, französischen,
amerikanisch/israelischen und türkischen Spezialagenten nennt Cockburn
natürlich nicht. Obwohl Syriens Regierung schon mehrfach welche gefangen
genommen und sogar im Fernsehen präsentiert hat. Das muss man doch
nebenan in Beirut als "renommierter" Journalist einfach mitbekommen
haben oder? Aber er schweigt, wie die große Mehrheit seiner Kollegen.
Und dann: "die Krise hat die USA gegen den Iran gestellt'. Da stehen
einem doch die Haare zu Berge. Und das, obwohl der Iran seit einem
halben Jahrhundert und länger vom Westen geplündert und schikaniert
wird!
Der ehrenwerte Herr Cockburn könnte sich doch mal fragen, was
geschehen wäre, wenn die Hunderttausende von Jugendlichen, die vor
nicht zu langer Zeit wütend in London demonstriert haben, von einer
wohlbekannten Macht mit Handfeuerwaffen, Granaten, Panzern, Stingers etc
ausgerüstet worden wären. Und wenn sie zudem von einigen zehntausend
bis an die Zähne bewaffneten Gangstern verstärkt worden wären. Aber
vielleicht reicht Cockburns Vorstellungsvermögen dafür nicht aus.
Patrick Cockburn30. Dezember 2012
„Schäm dich! - Schande über den Independent!“ tönte die Stimme eines syrischen Intellektuellen aus dem Hörer eine halbe Stunde, nachdem ich aus Damaskus nach Beirut zurückgekehrt war. Er war so unzusammenhängend in seiner Wut, dass es schwierig war zu erfahren, worin seine Vorwürfe bestanden, aber es schien, dass es meine Sünde war, in Damaskus gewesen zu sein und mit Mitgliedern der syrischen Regierung gesprochen hatte und zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Regierung nicht so bald stürzen würde.
Der Unterschied der Auffassungen inner- und außerhalb Syriens kann zum Teil in der Weise erklärt werden, wie internationale und lokale Medien den Krieg beschreiben. Es gibt wenig ausländische Journalisten in Damaskus, weil es schwierig ist, ein Visum zu bekommen. Im Gegensatz dazu haben die Rebellen eine supermoderne Medienapparat zur Verfügung – zum größten Teil auch im Ausland – der unmittelbar Details über jeden Vorfall liefert, die oft auf spannenden, wenn auch selektiven, Filmberichten von YouTube beruhen. Verständlicherweise ist die Version der Rebellen von Ereignissen stark gefärbt und dämonisiert die syrische Regierung. Überraschend ist die Bereitschaft der internationalen Medien, die vor allem in Beirut, aber auch in London und New York sitzen, mit so wenig Skepsis das hochzuwürgen, was im wesentlichen gut gemachte Propaganda ist. Es ist so, wie wenn vor den US-Wahlen im November ausländische Journalisten keine Einreisevisen in die USA bekommen und stattdessen für Informationen auf die Republikaner und deren Aktivisten in Mexiko und Kanada vertraut hätten.
Es stimmt, dass man in Damaskus das Grollen der Artillerie hört, aber die Stadt ist nicht belagert. Die Straßen nordwärts nach Homs und südwärts nach Daraa sind offen, ebenso wie die Straße nach Beirut. Wenn die Rebellen einen Distrikt erobern, wird er von der Regierungsartillerie beschossen, wodurch einige getötet und andere zur Flucht gezwungen werden. Für jene, die in unversehrten Vierteln von Damaskus wohnen, gibt es die ständig wachsende Furcht vor dem, was die Zukunft birgt, in Verbindung mit den zunehmenden Schwierigkeiten im täglichen Leben, wegen der ständigen Stromunterbrechungen und dem Mangel an Brot und Kochgas.
Die Rebellen haben ein paar Erfolge erzielt, aber insgesamt gesehen, stehen die Syrer einer politischen und militärische Pattsituation gegenüber. Die Angriffe der Rebellen auf Aleppo und Damaskus sind gescheitert, nur auf dem Lande um Hama, Idlib und Aleppo herum haben sie geringe Erfolge erzielt. Die Revolution hat sich in einen Bürgerkrieg verwandelt. Die Erhebung von Syrern gegen einen grausamen Polizeistaat im März 2011 sieht für Alawiten, Christen, Drusen und andere Minoritäten wie eine sektiererische Kampagne aus, die ihre Beseitigung zum Ziel hat. Sie sehen die Bilder auf YouTube, wie Alawiten-Offiziere rituell enthauptet werden und fragen sich, welches Schicksal sie erwartet, wenn al-Assad besiegt wird. Obendrein gibt es einfach die Furcht vor Anarchie seitens der städtischen Mittelklasse, die gesehen hat, wie Aleppo verwüstet wurde und die glaubt, dass mit Damaskus das gleiche geschehen wird. Als ich Anfang des Monats nach Damaskus kam und einen Freund fragte, wie die Stimmung wäre, sagte er: „15 % für die Regierung, 15 % dagegen und 70 % wollen, dass der Krieg zu Ende geht, bevor wir alle ruiniert sind.“
Kann die gegenwärtige Pattsituation gelöst werden? Das sieht nicht so aus, es sei denn, die Rebellen erhalten eine massive Transfusion von Geld, Training und Waffen, aber das würde trotzdem keine unmittelbare Wirkung haben. Andererseits haben Washington und London seit langem auf eine Spaltung in der syrischen Führung gehofft, aber das ist nicht geschehen. Selbst eine Reihe von Überläufern in den vergangenen Wochen, was stark aufgebauscht wurde, kamen nicht aus dem Zentrum der Macht.
Die Furien des Bürgerkrieges werden immer wütender. Der Krieg hat schon lange das Stadium erreicht, was wir in Nord-Irland „die Politik der letzten Gräuel“ zu nennen pflegten, wo zu viel Blut vergossen wurde, als dass Verhandlungen und Kompromisse möglich waren. Die Politik der USA und ihrer Alliierten ist immer bizarrer. Einerseits erkennen sie die oppositionelle Nationale Koalition als die legitime Regierung Syriens an, aber andererseits bezeichnen sie deren effektivste Kampftruppe – die al-Nusra Front – als eine „Terroristen-Organisation“, die mit der Al Qaida verknüpft ist. Wie im Irak 2003 ist Syrien zu einem Magneten für Dschihadisten geworden aus der ganzen moslemischen Welt.
Washington zeigt immer weniger Enthousiasmus für einen vollen Sieg der Rebellen, der die Dschihadisten stärken und die Regierungsmaschine des syrischen Staates zerstören würde. Ein Problem für Syrien in dieser Krise ist, dass so viele Konflikte in einem zusammenlaufen. Säkulare Unterstützer des Aufstands heben hervor, dass es um „das Volk gegen das Regime“ geht. Sie spielen das Sektierertum herunter und sagen, dass es von der Regierung übertrieben und manipuliert würde. Aber Sektierertum und Demokratie sind in Syrien miteinander verknüpft, wie es auch im Irak war. Im Irak bedeutete eine saubere Wahl eine Shiiten-Mehrheit, die die Sunni-Mehrheit ersetzt. In Syrien würde es bedeuten, dass die 70 % der Bevölkerung, die Sunni sind, die Alawiten und ihre Alliierten ersetzen. In beiden Ländern hatte – oder wird haben - eine demokratische Veränderung explosive sektiererische Folgen, weil eine Mehrheitsregierung eine Veränderung der Machtverhältnisse bedeutet.
Die syrische Krise wird außerdem kompliziert und verschlimmert, weil sie im Zentrum von zwei seit langem andauernden regionalen Kämpfen steht. Zum einen die zunehmende Konfrontation zwischen Sunnis und Shiiten in der moslemischen Welt und zweitens, weil der Konflikt die USA, Israel, Saudiarabien und ihre Alliierten gegen den Iran und seine wenigen Freunde gestellt hat. Es ist schwierig zu sehen, wie die gegenwärtige Pattsituation gelöst werden kann. Damaskus, Aleppo und Homs sehen immer mehr wie Beirut im 15-jährigen Bürgerkrieg aus. Teile dieser Städte führen ein normales Leben, während ein paar Viertel weiter Heckenschützen in Gebäuden sitzen, die von Artillerie-Feuer zerlöchert sind. Keine Seite hat die Stärke, den anderen Schachmatt zu setzen. Warlords (Kriegsherren), kleine und große, werden die wahren Herrscher des Landes. In Aleppo, das Kommerz-Herz Syriens, ist die Hauptbeschäftigung der Rebellen das Plündern. Die Militarisierung des Aufstandes zerstört das ursprünglich demokratische Ziel. Ausgenommen eine regelrechte ausländische Invasion, ist eine Beilegung auf dem Weg der Verhandlung unausweichlich, obwohl bis dahin noch viel Zeit vergehen kann."
Quelle: http://einarschlereth.blogspot.de/2013/01/syrische-armee-kontrolliert-alle.html
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