Freitag, 27. April 2012

Direktbericht aus Damaskus

"Ich habe Mitte April fünf Tage Urlaub in Damaskus gemacht. Wie bitte? Urlaub? In einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht? Ich verfolge zwar regelmäßig unsere Medien, aber ich glaube ihnen nicht jedes Wort. So habe ich auch nie daran geglaubt, dass der böse Diktator Panzer gegen sein eigenes Volk auffahren lässt; es gab zu viel Hinweise, dass das so einfach nicht sein konnte.
Ich habe ganz normal über die Syrische Botschaft in Berlin ein Touristenvisum beantragt, das auch postwendend gegeben wurde. Geflogen bin ich nach Beirut (preislich derzeit günstiger als Damaskus) und dann weiter mit dem Taxi. Ich hatte erwartet, in ein Land im Ausnahmezustand zu kommen, mit Straßensperren und Militärpräsenz wie im Libanon, wenigstens. Das war die erste Überraschung: Zwar wurde das Taxi ein bisschen genauer kontrolliert, als ich das von früher in Erinnerung hatte, dann konnten wir die Grenze aber zügig passsieren. Überraschung Nummer zwei: Auf dem Weg nach Damaskus und auch in der Stadt selbst war kein Militär zu sehen. Ich habe in der Stadt ein paar strategische Ziele angesteuert, von denen ich dachte, sie würden im Fall eines Aufstands besonders gesichert sein, aber auch da Fehlanzeige.
Meine große Befürchtung war, dass die Menschen Angst voreinander hatten, dass es das gewohnte Miteinander nicht mehr gab, wie es ich von früher kannte, dass in der Stadt eine Spannung und Misstrauen herrschten. Überraschung Nummer drei: Die Syrer waren genauso freundlich, genauso offen (um nicht zu sagen vertrauensselig) wie früher. Ich bin sofort ins Gespräch gekommen, in sehr kontroverse, politische Gespräche, in denen es auch darum ging, wer für und wer gegen Assad ist. Ich habe nie erlebt, dass sich jemand argumentativ weggeduckt hat. Ich hatte auch erwartet, kontrolliert und beschattet zu werden – gemerkt habe ich es jedenfalls nicht.
Ich hätte mich im ganzen Land völlig frei bewegen können (wie auch die Syrer). Ich habe es nicht getan, weil ich Tourist und kein Journalist war. Ich wolle auch kein Katastrophentourist sein. Einschränkung also: Ich war nur in Damaskus, nicht in den Brennpunkten. Dennoch kann ich mir nach dem, was ich erfahren habe, nicht vorstellen, dass sich ein bedeutender Anteil der Bevölkerung im (inneren oder äußeren) Aufstand gegen das „Regime“ befindet. Wir schon gesagt, trifft das „Regime“ keine Vorkehrungen, die Menschen in Schach zu halten; es ist offenbar nicht notwendig.
Ich habe den Einduck gewonnen, dass die Syrer ihre Zukunft selbst und ohne Einmischung westlicher und orientalischer „Demokraten“ bestimmen wollen. Ich habe den Eindruck, dass man sich Veränderungen wünscht, dass aber der Weg dorthin bereits beschritten wird und dass dieser Weg von der Mehrheit akzeptiert wird. In Damaskus herrscht unterschwellig Angst, die Terroranschläge könnten vermehrt auch diese Stadt treffen. Ich nenne es Terror, wenn jemand Bomben zündet und das Leben Unschuldiger riskiert. Ich glaube, dass, weil die Aufwiegelung der Bevölkerung offenbar nicht in gewünschtem Maße geklappt hat, nun über solche Attentate der Eindruck erweckt werden soll, im ganzen Land rege sich Widerstand. Dem ist nicht so; ich hätte es mitbekommen.
Ich habe es nicht bereut, nach Damaskus gefahren zu sein. Mir tun nur die armen Leute dort leid, die auf die gewohnten Touristenscharen (und damit auf ihr Einkommen) verzichten müssen. Ich war, wie man mir immer wieder erzählt hat, der einzige Tourist in der Stadt (und damit wohl im ganzen Land). Es ist ein eigenartiges Gefühl, in einer touri-freien Umgebung zu sein, die Leute in ihren „ganz normalen Alltag“ zu erleben (der ja ohne den gewohnten Handel so normal nicht ist). Sichtbarer Vorteil: Der Touristeneingang zur Omayaden-Moschee ist geschlossen (mangels Touristen); ich konnte ganz normal durch den Haupteingang hinein.
Ich will hier niemanden ins Unglück stürzen, aber vielleicht finden nun auch andere den Mut, diese Reise zu machen. Es lohnt sich allemal."

Quelle: http://www.sarsura-syrien.com/?p=6060#comment-34456

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