"Anlässlich der Anschläge auf zwei Kirchen in Nigeria gab der Sprecher
des Auswärtigen Amtes, Andreas Peschke, auf der Bundespressekonferenz am
Montag eine Erklärung im Namen von Außenminister Westerwelle ab, der
die Anschläge „verurteilt“. „Dieser religiöse Terror ist durch nichts zu
rechtfertigen. Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht,
für das die Bundesregierung weltweit entschieden eintritt. Wir erwarten
deshalb von den nigerianischen Behörden, dass sie konsequent gegen
diesen religiös motivierten Terror vorgehen und die Sicherheit aller
Religionsgemeinschaften in Nigeria sicherstellen“, so die Stellungnahme.
Nachfragen gab es keine. Dabei drängt sich eine Frage geradezu
auf: Warum schweigt Außenminister Westerwelle zu den zahlreichen
Verbrechen, die islamistische Extremisten an Christen und Angehörigen
anderer religiöser Minderheiten in Syrien verüben?
Überall dort,
wo die in den Medien zumeist euphemistisch als „Rebellen“ oder
„Freiheitskämpfer“ bezeichneten islamistischen Kräfte es geschafft
haben, das syrische Militär zu vertreiben, beginnt für die dort lebenden
Christen, Schiiten und Alawiten ein Leben in Angst und Schrecken.
Bereits
vor einen halben Jahr berichtete Erzbischof Matta Roham aus Hassake
über den Terror, dem Christen zunehmend ausgesetzt sind. „Gestern rief
mich, noch unter Schock, ein Bischof aus Homs an mit der furchtbaren
Nachricht, dass weitere vier Christen aus seiner Gemeinde verschleppt
wurden,” so der Erzbischof . Kurz zuvor waren zwei Christen entführt
worden. Einer wurde erhängt, die Leiche des anderen zerstückelt
wiedergefunden. „Die Entführer haben mit Mord gedroht! Wie wird wohl in
Zukunft das Schicksal aller Christen sein?”
Die Entwicklung
seitdem verheißt nichts gutes für Zukunft der Angehörigen religiöser
Minderheiten in Syrien. In einem Gebetsbrief der Kommission für
Religionsfreiheit der Weltweiten Evangelischen Allianz von Mitte Februar
heißt es, mehr als 100 Christen seien seit Beginn der Aufstandes im
März 2011 getötet wurden.
Asia News berichtete zu
diesem Zeitpunkt bereits von mehr als 230 getöteten Christen alleine in
der Provinz Homs, der Hochburg der Aufständischen. „Der Konflikt, der
mit populären Forderungen nach Demokratie und Freiheit begann,
verwandelte sich in eine islamische Revolution“ wird eine Angehörige des
syrischen Klosters von Saint Jacques le Mutilé zitiert.
Auch
die Schilderungen des Buchautors und ehemaligen
CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer, der das arabische Land
besuchte und im April in der FAZ über seine Erlebnisse schrieb,
passen nicht in die üblichen Darstellungen, wie sie von der Politik
vorgegeben und von Leitmedien, allen voran dem Spiegel,
unkritisch verbreitet werden. Ein Mitglied der „Freien Syrischen Armee“
(FSA) berichtete ihm, dass alleine in seinem Umfeld 20 alawitische
„Kollaborateure“ durch Kopfschuss oder Durchschneiden der Kehle
hingerichtet worden seien. In Homs war Todenhöfer mit einem sunnitischen
Ingenieur namens Sharif unterwegs, der sich selbst zwischen den Fronten
verortet.
Zu Beginn des Aufstands habe die Regierung schwere
Fehler gemacht und auf friedliche Demonstranten geschossen, so der
Ingenieur. Allerdings sei die Rebellion von Anfang an bewaffnet gewesen.
„Mindestens die Hälfte“ der Toten gehe auf das Konto der FSA, darunter
auch Frauen und Kinder. Alawitische und schiitische Zivilisten würden in
Homs „gnadenlos gefoltert“. Die westliche Berichterstattung stelle die
Dinge auf den Kopf, erklärt der Syrer seinem deutschen Begleiter.
Bestätigung
für diese Aussage fand Todenhöfer in einem Damaszener Flüchtlingsheim.
Dort „haben wir völlig gebrochene Menschen getroffen, die von Homser
Rebellen bestialisch gequält und verletzt wurden.“
Auch der
griechisch-katholische Patriarch Gregorios III kritisierte die westliche
Berichterstattung. Das Miteinander von Christen, Sunniten, Schiiten,
Alawiten, Drusen und Ismaeliten sei ein hoher demokratischer Wert, so
der Kirchenführer gegenüber Todenhöfer. Der vom Ausland unterstützte
Aufstand sei eine existentielle Bedrohung dieses Miteinanders. Der
Westen müsse aufhören, den Konflikt anzuheizen.
Die Mehrheit der
Bevölkerung stehe hinter Präsident Assad. Der Patriarch staune über die
„schablonenhaft“ falsche Berichterstattung der ausländischen Medien.
Vieles sei frei erfunden, gibt Todenhöfer die Einschätzung seines
Gesprächspartners wieder.
Zunehmender Terror gegen Christen
In
den vergangenen Wochen häuften sich die von den Massenmedien zumeist
ignorierten Meldungen über die Verbrechen der „Freiheitskämpfer“. Das
Presseorgan der Päpstlichen Missionswerke zitiert einen geflohenen
Christen, der darüber berichtet, wie Christen ermordet oder verschleppt
und gefoltert würden, weil „sie nicht in den Reihen der Revolutionäre
kämpfen wollten“.
Auch die Äbtissin des Ordens der heiligen
Thekla berichtete von Drohungen gegenüber Christen, „die sich nicht auf
die Seite der ‚Revolution’ stellen wollten“. Tausende Christen seien aus
Homs und dem ebenfalls an der libanesischen Grenze gelegenen Qusair
geflohen.
Ende März berichtete die Christian Post,
dass bereits 90 Prozent der Christen aus Homs vertrieben worden seien.
(7) Das deckt sich mit der Aussage von Silvanus Petros Al-nemeh, dem
Erzbischof von Homs und Hama. 50 000 Christen, auch er selbst, hätten
Homs verlassen. „Wir befürchten ein Szenario wie im Irak, wo viele
Christen bedroht und getötet werden, auf der Flucht sind oder sich nicht
mehr auf die Straße trauen”, so der Erzbischof. Die Lage sei
katastrophaler, als man sich vorstellen könne.
Vor Tagen berichtete die US-Zeitung Miami Herald,
dass sich die ganze Region zwischen dem nördlich gelegenen Jisr
al-Shughour-Gebirge und der südlich davon gelegenen Stadt Salhab unter
Kontrolle der Aufständischen befinde.
Die Region diene als
Rückzugsgebiet, von dem aus Angriffe auf angrenzende und bislang von den
Unruhen verschonte Gebiete gestartet würden. Der sichere Rückzugsort
erlaube es den „Rebellen“, Waffen herzustellen beziehungsweise ins Land
zu schmuggeln, sowie Menschen gefangen zu halten.
„Die Armee
kontrolliert nur das Gebiet direkt unter ihren Panzern“, wird Mohanned
al-Masri zitiert, ein Mitglied der salafistischen Gruppe Ahrar al-Sham,
die den Hauptteil der Kämpfer in al-Haffa stelle. „Hier ist das Regime
bereits gefallen.“
Wie es in diesen „befreiten“ Zonen um die
Menschenrechte bestellt ist, lässt ein Augenzeugenbericht erahnen, der
auf dem ansonsten regimekritischen Webportal syriacomment wiedergegeben
wird, das von Joshua Landis, dem Direktor des Center of Middle Eastern
Studies, betrieben wird: „Mehr als 40 junge Männer (darunter eine Anzahl
von Ärzten) aus dem Wadi-Gebiet wurden von den bärtigen Männern
getötet, die uns so eifrig die Demokratie bringen wollen. In einigen
Fällen enthaupteten sie die Getöteten und trennten Körperteile ab. In
einem Fall gaben sie der Familie den Körper zurück, behielten jedoch den
Kopf und stellten ihn sichtbar auf einem Hügel auf. Sie standen in
mehreren hundert Metern Entfernung und bedrohten jeden der kam, um ihn
aufzuheben. Endlich kam ein Mann mit seinem Ladewagen in hoher
Geschwindigkeit und schnappte sich unter Beschuss den Kopf.(...)
Die
Militanten fahren permanent durch die Gegend und geben Schüsse in die
Luft ab oder zeigen ihre Waffen.(...) Kirchen werden von innen
demoliert. Was wertvoll ist, wird gestohlen. Sachen von geringem Wert
werden auf die Straße geworfen und zerstört.“
Der kürzlich
aus Syrien zurückgekehrte französische Bischof Philip Tournyol Clos fand
klare Worte: „Der Frieden in Syrien wäre möglich, wenn alle die
Wahrheit sagen würden. Ein Jahr nach Beginn des Konflikts ist die
tatsächliche Lage im Land weit von dem entfernt, was die westlichen
Medien darzustellen versuchen“.
Homs sei zu einer
„Märtyrer-Stadt“ geworden. Die Opposition habe die beiden Stadtviertel,
in denen sich alle Kirchen und Bischofsresidenzen befinden, besetzt.
Eine Kirche sei von ihnen okkupiert worden, während die Kirche Mar Elian
zur Hälfte zerstört worden sei. Alle Christen seien geflohen oder
hielten sich in der Umgebung versteckt. Die „Rebellen“ seien von Katar
und Saudi-Arabien mit schweren Waffen ausgerüstet worden.
„In
der Hauptstadt hat man Angst vor Autobomben und Selbstmordattentaten.
Gegenwärtig versucht man das Land durch den Einsatz von Abenteurern zu
destabilisieren, die zu Bluttaten bereit sind, bei denen es sich aber
nicht um Syrier handelt. Darauf hatte auch der ehemalige französische
Botschafter, Eric Chevalier hingewiesen, dessen Informationen jedoch
abgelehnt wurden, sowie viele andere Informationen gefälscht werden, um
damit den Krieg gegen Syrien zu schüren“, so der französische Bischof
gegenüber Fides, dem Presseorgan der Päpstlichen Missionswerke.
„Sunnitische
Salafisten“, so der Bischof weiter, „verüben kriminelle Übergriffe auf
Zivilisten und zwingen einfache Bürger in ihren Reihen zu kämpfen.
Fanatische Extremisten kämpfen einen heiligen Krieg gegen Alawiten.
Alawiten haben dabei keine Überlebenschance“. Alleine in der letzten
Mai-Woche seien in Damaskus 130 Menschen (davon 38 Christen) bei
Attentaten getötet worden.
Auch das Massaker in al-Hula am 25.
Mai, bei dem 108 Menschen getötet wurden, darunter viele Frauen und
Kinder, geht offenbar auf das Konto salafistischer Terroristen. Syrische
Oppositionelle konnten, so die FAZ in der vergangenen Woche,
aufgrund „glaubwürdiger Zeugenaussagen den wahrscheinlichen Tathergang
in Hula rekonstruieren. Ihr Ergebnis widerspricht den Behauptungen der
Rebellen, die die regimenahen Milizen Schabiha der Tat beschuldigt
hatten.(...)
Getötet worden seien nahezu ausschließlich Familien
der alawitischen und schiitischen Minderheit Hulas, dessen Bevölkerung
zu mehr als neunzig Prozent Sunniten sind. So wurden mehrere Dutzend
Mitglieder einer Familie abgeschlachtet, die in den vergangenen Jahren
vom sunnitischen zum schiitischen Islam übergetreten sei. Getötet wurden
ferner Mitglieder der alawitischen Familie Shomaliya und die Familie
eines sunnitischen Parlamentsabgeordneten, weil dieser als Kollaborateur
galt. Unmittelbar nach dem Massaker hätten die Täter ihre Opfer
gefilmt, sie als sunnitische Opfer ausgegeben und die Videos über
Internet verbreitet.“
„Allein 60 Personen gehörten einer Familie an die als regimetreu galt“, schrieb die Frankfurter Rundschau
am Wochenende und wies darauf hin, dass die Bundesregierung über
Informationen verfüge, denen zufolge Präsident Assad auf die Nachricht
des Massakers „überrascht reagiert“ habe.
Das hielt die
deutsche Regierung – im Verbund mit den westlichen Partnern – allerdings
nicht davon ab, einseitige Schuldzuweisungen Richtung Assad
auszusprechen und den syrischen Botschafter des Landes zu verweisen.
Obwohl die Faktenlage gegen die These spricht, Regierungskräfte stünden
hinter dem Massaker und auch die UN-Beobachter mit ihrer Untersuchung
vor Ort nicht zur Erhärtung dieser These beitragen konnten, wird das
Verbrechen propagandistisch ausgeschlachtet, um Akzeptanz für eine
militärische Intervention zu generieren. Vorläufiger Höhepunkt der
medialen Mobilmachung war die Anne Will-Sendung in der ARD vergangenen
Woche, in der unter dem Titel „Assad lässt Kinder töten – wie lange
wollen wir noch zuschauen? “ für den militärischen Einsatz gegen Syrien
getrommelt wurde.
Die Reaktion des Westens auf das Massaker
in al-Hula müssen die verantwortlichen Terroristen geradezu als
Aufforderung verstehen, weitere grausame Bluttaten zu begehen. Denn der
von den Massakern ausgehende Nutzen für die bewaffnet kämpfenden
„Rebellen“ liegt auf der Hand. Außenpolitisch erhöhen sie den Druck auf
das Assad-Regime. Innenpolitisch erzeugen sie Angst und Schrecken unter
den politischen Gegnern, tragen zu Destabilisierung des Landes bei und
offenbaren die Handlungsunfähigkeit des Staates, die eigenen Bürger
nicht vor Terroristen schützen zu können.
Wie berechnend die
„Rebellen“ in Bezug auf die westliche Berichterstattung vorgehen,
schilderte jüngst der britische Journalist Alex Thomson. Sie hätten ihn
und seine Begleiter in Qusair gezielt in eine Falle laufen lassen in der
Hoffnung, dass sie von Regierungstruppen unter Beschuss genommen
werden. „Denn tote Journalisten sind schlecht für Damaskus“, so Thomson.
Vergangene Woche kam es erneut zu einem Massaker. In dem
Dorf Masraat-al-Kubeir seien laut Angaben der Opposition fast 80
Menschen getötet worden. Opposition und Regierung weisen sich
gegenseitig die Schuld zu.
„Stellt man allerdings die Frage,
welche Seite ein Interesse an der weiteren Eskalation des Konfliktes
hat, dann ergibt sich die Antwort fast wie von selbst. Es sind die von
den NATO-Staaten und der arabischen Reaktion bewaffneten und trainierten
Terrorbanden der sogenannten „Freien Syrischen Armee“, die sich von
UN-Friedensplänen und Waffenstillständen nicht weiter aufhalten und eine
Entscheidung der Machtfrage gewaltsam erzwingen wollen.(...)
Die
unschwer als Provokationen zu erkennenden Massaker sollen das Fanal zum
blutigen Finale bilden. Mit dem Sturz des Assad-Regimes erhofft sich
der Westen, eine von der Hisbollah bis zum Iran reichende regionale
Gegenhegemonie zu seiner Vorherrschaft bereits im Ansatz unterbinden zu
können. Als natürliche Verbündete der Hegemonialmächte erweisen sich die
reaktionären Ölmonarchien, die, aufgeschreckt von den Umbrüchen in der
arabischen Welt, mit allen Mitteln einen Machtwechsel in Damaskus
anstreben, um die tradierten Herrschaftsverhältnisse in der Region gegen
revolutionäre Veränderungen zu schützen“, so ein Kommentar in der jungen Welt.
Die
Zeitung zitiert Sergej Demidenko vom Institut für strategische
Einschätzungen und Analyse: „Die Islamisten und die Monarchen des
Persischen Golfs werden versuchen, Al-Assad endgültig zu zerschlagen,
weil er vorläufig die einzige Kraft ist, die in der arabischen Welt noch
ihr Opponent ist.“ Dazu diene auch der gegen Syrien entfesselte
„psychologische Krieg“.
Bestandteil dieser psychologischen
Kriegsführung ist auch, die Verbrechen der Anti-Assad-Kämpfer und die
„andauernde ethnische Säuberung“ – so bezeichnet mittlerweile die
syrische Orthodoxe Kirche das Treiben der vom Ausland finanzierten
Mörderbanden – zu verschweigen oder der syrischen Staatsgewalt
anzulasten.
Eine Säuberung, die – zumindest indirekt – auch vom
deutschen Steuerzahler bezahlt wird. Denn die Bundesregierung finanziert
gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten das als Anlaufstelle
dienende Berliner Büro der „Freunde des syrischen Volkes“.
Zu den
vorgeblichen Freunden Syriens zählen neben den USA auch die
Golfdiktaturen, die die islamistischen Kämpfer mit dreistelligen
Millionenbeträgen unterstützen und die ganz gewiss kein Interesse
an einer wirklich demokratischen Entwicklung Syriens haben.
Die
politische Schizophrenie, einerseits den Terror gegenüber Christen in
Nigeria zu verurteilen und die dortigen Behörden zum „konsequenten
Vorgehen“ aufzufordern, andererseits in Syrien denjenigen Kräfte mit
aller Gewalt zur Macht zu verhelfen, die solchen Terror ausüben,
entlarvt die „Freunde Syriens“ als Feinde der syrischen Bevölkerung, die
unter der zunehmenden und sich gegenseitig hochschaukelnden Gewalt zu
leiden hat."
Quelle: http://www.hintergrund.de/201206122104/politik/welt/zweierlei-mass-syrien-und-die-deutsche-aussenpolitik.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen