"Herr Präsident, die syrische Armee hat die Kontrolle über Teile Syriens verloren. Fällt das Land auseinander?
Wir befinden uns nicht in einem gewöhnlichen Krieg,
in dem wir die Kontrolle über Landesteile verlieren und andere Teile
kontrollieren. Es ist kein Krieg einer Armee gegen eine andere Armee.
Unsere Armee sieht sich vielmehr Banden gegenüber. Richtig ist, dass die
Armee nur dann an einen Ort vordringen wollte, wenn sie das auch
konnte. Wollte sie es, tat sie es auch. So können wir jeden Ort, in den
wir vordringen, auch kontrollieren. Die Jagd auf die Terroristen hat
einen hohen Preis. Wir zweifeln nicht daran, dass wir die Terroristen
auf unserem Boden vollkommen ausschalten werden. Das Problem ist die
Zerstörung, die dabei entsteht.
Sie sprechen von Terroristen. Ist jeder Aufständische ein Terrorist?
Ist es in Ihrem Land erlaubt, Waffen zu tragen,
unschuldige Menschen zu töten, Bürger zu terrorisieren, Schaden
anzurichten, zu stehlen? In allen Ländern der Welt wird jeder, der
Waffen trägt - ausgenommen Armee und Polizei -, um Menschen zu
schikanieren und zu töten, als Terrorist definiert. Und die Leute in
Syrien, die Waffen tragen, tun genau das. Ob sie ein extremistisches
oder kriminelles Motiv haben - für die trifft die Bezeichnung Terrorist
zu. Daher unterscheiden wir zwischen Terroristen und der Opposition, die
politisch ist und ein politisches Programm hat. Töten und Abschlachten
aber ist Terrorismus.
Wie lange wird der Krieg dauern?
Seit den ersten Tagen wird mir die Frage gestellt,
wann die Krise zu Ende geht. Meine Antwort war, die Krise könnte lange
Zeit dauern. Denn der externe Faktor ist offensichtlich. Eine innere
Krise wird entweder endgültig gelöst, oder sie entwickelt sich in einen
Bürgerkrieg. Weder ist das eine passiert noch das andere. Der Grund
dafür ist der externe Faktor, der bemüht ist, die Krise politisch und
militärisch zu verlängern.
Tragen
Sie nicht eine Mitschuld an der Zerstörung des Landes? Am Anfang waren
die Proteste rein politischer Natur, erst später wurde daraus ein
bewaffneter Konflikt.
Seit Beginn der Krise, ja sogar schon mehrere Jahre
vor ihrem Ausbruch haben wir mit Reformen begonnen. Wir haben mehrere
Gesetze erlassen, das Notstandsgesetz aufgehoben, die Verfassung
geändert und darüber ein Referendum abgehalten. Vielleicht weiß der
Westen das, vielleicht auch nicht. Was er nicht sehen will ist das:
Schon in den ersten Demonstrationswochen hat es unter der Polizei Tote
gegeben, Märtyrer. Wie konnte es bei friedlichen Demonstrationen dazu
kommen, dass Polizisten getötet wurden? Unter den Demonstranten waren
Bewaffnete, die auf die Polizisten schossen. Manchmal waren sie auf
Plätzen unweit der Demonstration, und vor dort schossen sie auf
Demonstranten und Polizisten, damit man annimmt, die eine Seite habe auf
die andere das Feuer eröffnet.
Es gibt zentrifugale Kräfte in Syrien.
Einzelne Regionen des Landes orientieren sich mehr an ihren
Nachbarstaaten. Werden sich in der Levante die Grenzen verschieben?
Nimmt man aus einem Steinbogen den Schlussstein
heraus, und der ist Syrien, fällt der gesamte Bogen auseinander. Jedes
Spielen mit den Grenzen in der Region bedeutet, die Landkarte neu zu
ziehen. Das hat einen Dominoeffekt, den keiner mehr kontrollieren kann.
Es kann sein, dass eine der Großmächte diesen Prozess anstößt. Aber
niemand wird es gelingen, diesen Prozess an einer bestimmten Stelle zu
stoppen. Es gibt heute im Nahen Osten neue soziale Abgrenzungen -
konfessionelle und nationale, neben den politischen Grenzen. Sie machen
die Lage kompliziert. Niemand kann sich bei einem Neuskizzieren der
Landkarte vorstellen, wie die Region aussehen wird. Sie wird
wahrscheinlich eine Landkarte für unzählige Kriege im Nahen Osten und
möglicherweise anderswo sein, die von niemand gestoppt werden können.
Wie wird also die regionale Ordnung in den kommenden Jahren aussehen?
Wenn wir das Szenario einer zerstörenden Spaltung
Syriens ausschließen, glaube ich an ein anderes, positives Szenario. Die
erste Herausforderung ist die Wiederherstellung von Sicherheit und
Stabilität, die zweite der Wiederaufbau. Die größte und wichtigste
Herausforderung aber ist, sich gegen den Extremismus zu stellen. Denn es
hat sich gezeigt, dass in manchen Gesellschaften der Region
Verschiebungen in Richtung Extremismus stattfinden und ein Entfernen von
der Mäßigung, insbesondere in Angelegenheiten der Religion. Es stellt
sich die Frage, ob es uns gelingt, diese Gesellschaften neu zu
positionieren, so wie sie in der Geschichte gewesen waren. Manche
sprechen von Toleranz, manche sagen, es sei Koexistenz. Hält sich jemand
für tolerant, kann er eines Tages den Anderen plötzlich nicht mehr
tolerieren. Es hängt auch nicht von bloßer Koexistenz ab, sondern vom
Zusammenfügen der Teile der Gesellschaft. Das hatte diese Region
ausgezeichnet. Die andere Herausforderung ist die Reform, die wir
wollen. Die ständige Frage ist, welches das beste politische System ist,
das unsere Gesellschaft zusammenhält: das präsidiale oder
halbpräsidiale System? Das parlamentarische? Was ist das passende
Parteiensystem? Wir können hier keine religiöse Partei haben - weder
eine christliche noch eine islamische. Für uns ist die Religion die
Aufforderung zum persönlichen Glauben, kein Instrument, um Politik zu
machen. Das Wichtigste ist, den Anderen zu akzeptieren. Tut man das
nicht, kann es keine Demokratie geben, selbst wenn wir über die beste
Verfassung und die besten Gesetze verfügen.
Was bedeutet Säkularismus in einem Umfeld, in dem die islamistischen Tendenzen an Stärke gewinnen?
Der Nahe Osten ist eine ideologiegebundene Region.
Die arabische Gesellschaft stützt sich auf zwei Säulen: den Panarabismus
und den Islam. Alles andere hat nicht diese Bedeutung. Für uns in
Syrien bedeutet Säkularismus die Freiheit der Religionen: Christen,
Muslime und Juden, mit allen ihren vielfältigen Konfessionen. Der
Säkularismus ist notwendig für die Einheit der Gesellschaft und für das
Gefühl von Staatsbürgerschaft. Dazu gibt es keine Alternative. Denn zur
gleichen Zeit sind die Religionen in unserer Region stark. Das ist schön
und nicht schlecht. Schlecht ist indes, dass Fanatismus in Terrorismus
umschlägt. Nicht jeder Fanatiker ist ein Terrorist, aber jeder Terrorist
ist ein Fanatiker. Deshalb sage ich: Das Konzept unseres säkularen
Staats ist, dass jeder das Recht hat, seine Religion frei auszuüben.
Keiner wird aufgrund seiner Religion, Konfession und Rasse anders
behandelt.
Wie bewerten Sie das „Arabische Erwachen”, das manche „Arabischer Frühling“ genannt haben?
In einem Frühling gibt es kein Blutvergießen, kein
Töten und keinen Extremismus; Schulen werden nicht zerstört, Kindern
wird der Schulbesuch nicht verboten, der Frau wird nicht verboten, sich
so zu kleiden, wie sie es will. Was wir heute durchmachen, ist kein
Frühling. Schauen Sie, was in Syrien vor sich geht - töten, schlachten,
Menschen enthaupten, sogar Menschenteile essen. Die Kur wird weder vom
Frühling kommen noch von sonst wo. Sie wird von uns kommen. Wir und
viele andere Staaten des Nahen Ostens haben unzählige Probleme, die wir
kennen und objektiv betrachten. Das ist der richtige Ansatz, Probleme zu
lösen. Viel wichtiger ist, dass die Behandlung von innen kommt. Denn
jede Sache, die von außen kommt, bringt ein Geschöpf zur Welt, das
lebensunfähig ist. Wenn wir zum Dialog aufrufen oder Lösungen suchen,
müssen sie lokal und national sein, damit wir das Syrien erreichen,
welches wir wollen.
Sie werfen Ländern wie Saudi-Arabien,
Qatar, der Türkei und Großbritannien Einmischung vor. Sind nicht auch
Russland und Iran aktiv beteiligt?
Es besteht ein großer Unterschied zwischen der
Zusammenarbeit unter Staaten und der Einmischung in die inneren
Angelegenheiten eines Staates mit der Absicht, dessen Stabilität zu
untergraben. Staaten arbeiten in dem Willen zusammen, ihre Souveränität,
Unabhängigkeit, die Freiheit ihrer Entscheidungen und ihre Stabilität
zu gewährleisten. Das Verhältnis zwischen Syrien und Russland, Iran und
anderen Staaten, die an der Seite Syriens stehen, ist ein Verhältnis der
Zusammenarbeit, das vom Völkerrecht garantiert und abgesichert ist. Die
Staaten aber, die Sie genannt haben, mischen sich mit ihrer
Syrien-Politik in die inneren Angelegenheiten Syriens ein. Diese
Einmischung stellt eine eklatante Verletzung des Völkerrechts und der
Souveränität des Landes dar. Sie will das Land destabilisieren und Chaos
und Rückständigkeit verbreiten. Sehen wir die Realität, so erkennen
wir, was im Irak geschieht und zuvor im Libanon. Das hing mit dem
zusammen, was in Syrien passiert. Das weitet sich ganz natürlich aus.
Was wird erst dann sein, sollte eine militärische Einmischung erfolgen?
Sicher wird die Lage dann viel schlimmer sein als sie heute ist. Dann
werden wir den Dominoeffekt der Ausbreitung des Extremismus, des Chaos
und der Spaltung sehen.
Der Libanon und der Irak werden von
konfessionellen Spannungen geprägt. Tragen Sunniten und Schiiten beider
Länder ihre Konflikte nach Syrien?
Hat man in der Nachbarschaft konfessionelle
Systeme, konfessionelle Unruhen oder Bürgerkriege - wie es im Libanon
vor 30 Jahren der Fall war -, wird man selbst in Mitleidenschaft
gezogen. Syrien hat sich daher 1976 im Libanon eingemischt, um sich
selbst und auch den Libanon zu schützen. Daher kümmern wir uns auch um
das, was im Irak geschieht, denn wir werden direkt davon beeinflusst.
Gegen den Krieg im Irak zu sein, war daher entscheidend, trotz der
amerikanischen Drohungen jener Zeit. Konfessionelle Ordnungen sind
gefährlich.
Auf der Seite der Rebellen in Syrien kämpft die Nusra-Front. Wer ist das? Wer versorgt sie mit Waffen und Geldern?
Die Nusra-Front ist ein Zweig von Al Qaida. Sie
vertritt dieselbe Ideologie. Zu finden ist sie in Syrien, im Irak, im
Libanon und in Jordanien. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich durch
anonyme Personen und Organisationen mit derselben Ideologie. Sie
verfügen über Unsummen an Geld und Waffen. Die Spenden fließen direkt an
die Nusra-Front; es ist schwierig, Herkunft und Abnehmer dieser
Ressourcen aufzuspüren. Die Nusra-Front zielt auf die Errichtung eines
islamischen Staats und stützt sich hauptsächlich auf die wahhabitische
Konfession. Letztlich mündet das ins Konzept von Al Qaida - siehe die
Lage in Afghanistan. Das betrifft in erster Linie die Frauen. Die
Nusra-Front will das islamische Gesetz, die Scharia, anwenden. Das ist
eine entstellte und deformierte Form des Islams. Auf Youtube kann man
eine Vorstellung von ihrem barbarischen Handeln bekommen. Im belgischen
Fernsehen war kürzlich zu sehen, wie ein Unschuldiger mit einem Beil
enthauptet wurde. Die Mitglieder der Nusra-Front kommen aus Syrien, aus
anderen arabischen und islamischen Staaten, auch aus Europa.
Welche Motivation haben Saudi-Arabien und Qatar, die bewaffneten Rebellen im Kampf gegen Sie zu unterstützen?
Unterstützen sie die Bewaffneten, weil sie an die
Freiheit und Demokratie glauben, wie sie in ihren Medien behaupten? Gibt
es in diesen Ländern überhaupt Demokratie, um die Demokratie in Syrien
zu unterstützen? Haben sie gewählte Parlamente? Haben sie Verfassungen,
denen ihre Völker zugestimmt haben? Hat das Volk einst entschieden, wie
die staatliche Ordnung auszusehen hat, als Monarchie, Präsidialsystem,
Emirat oder sonstiges? Die Dinge sind doch klar. Sie sollten sich zuerst
um ihre eigenen Völker kümmern, und zweitens dann Ihre Frage
beantworten.
Wie schätzen Sie die Syrien-Politik Frankreichs und Großbritanniens ein?
Ich bin der Auffassung, dass Frankreich und
Großbritannien ein Problem mit der - nach ihrer Auffassung - störenden
syrischen Rolle in der Region haben. Sie und die Vereinigten Staaten
suchen nach Lakaien und Puppen, die ihre Interessen durchsetzen. Wir
haben das abgelehnt. Wir waren immer unabhängig und frei. Frankreich und
Großbritannien sind historisch Kolonialmächte. Wahrscheinlich haben sie
das nicht vergessen. Sie handeln in dieser Region durch Vertreter und
Kollaborateure. Es kann sein, dass Frankreich und Großbritannien
Saudi-Arabien und Qatar steuern. Wir sollten nicht außer Acht lassen,
dass die Politik und die Wirtschaften Frankreichs und Großbritanniens
von Petrodollars abhängig sind. Was in Syrien vor sich geht, ist eine
Chance für diese Staaten, einen nicht fügsamen Staat an den Rand zu
drängen und nach einem neuen Präsidenten zu suchen, der immer nur
„jawohl“ sagt. Den haben sie nicht gefunden und den werden sie auch in
Zukunft nicht finden.
Die EU hat ihr Waffenembargo gegen Syrien
nicht verlängert, aber noch keine Entscheidung zur Lieferung von Waffen
an die Rebellen getroffen.
Ich kann nicht behaupten, dass die Europäer auf der
Seite Syriens stehen. Es gibt Staaten, die gegenüber dem syrischen
Staat eine feindselige Haltung einnehmen, insbesondere Frankreich und
Großbritannien. Die anderen Staaten, in erster Linie Deutschland,
stellen rationale Fragen zu Waffenlieferungen an Terroristen. Was würde
geschehen? Erstens, Syrien würde noch mehr zerstört. Wer würde den Preis
zahlen? Das syrische Volk. Zweitens, die Europäer liefern Waffen und
wissen, dass sie diese an Terroristen liefern. Manche unterscheiden
zwischen „guten“ und „schlechten“ Kämpfern, so wie sie vor ein paar
Jahren zwischen „guten“ und „schlechten“ Taliban sowie einer „guten“ und
„schlechten“ Al Qaida unterschieden haben. Ist das vernünftig? Wenn die
Europäer Waffen liefern, wird der Hinterhof Europas terroristisch, und
Europa wird den Preis dafür zahlen. Terrorismus bedeutet hier Chaos;
Chaos führt zu Armut; und Armut bedeutet, dass Europa einen wichtigen
Markt verliert. Die zweite Folge wäre der direkte Export des Terrorismus
nach Europa. Terroristen werden kampferfahren und mit extremistischer
Ideologie ausgerüstet zurückkehren. Für Europa gibt es zu einer
Kooperation mit dem syrischen Staat keine Alternative, auch wenn das
Europa nicht gefällt.
Sehen Sie sich als Teil des Kampfes gegen den Terrorismus?
Das sagt einem die Vernunft. Leider gehen viele
Verantwortliche in Europa nicht rational vor, nicht realistisch und
nicht objektiv. Sie lassen sich von negativen Gefühlen leiten statt vom
Verstand. Politik hat mit Interessen zu tun, sie basiert nicht auf Liebe
oder Hass. Sie sollten sich als Deutscher fragen, worin Ihr Interesse
an dem besteht, was in dieser Region geschieht. Was hier geschieht,
richtet sich gegen das Interesse Europas. Denn Europa hat ein Interesse
an der Bekämpfung des Terrorismus.
Nicht wenige sehen die libanesische
Hizbullah als terroristische Organisation. Sie kämpft an der Seite der
syrischen Armee, etwa in Qusair. Es gibt Hinweise, dass iranische
Pasdaran syrische Einheiten ausbilden. Brauchen Sie diese Verbündeten?
Medien versuchen das Bild zu vermitteln, dass die
Hizbullah kämpfe, weil die syrische Armee schwach sei. In Wirklichkeit
erringen wir seit ein paar Monaten große Siege in verschiedenen
Regionen, die vielleicht wichtiger sind als Qusair. Aber darüber wird
nicht berichtet. Niemand anders kämpft in solchen Gebieten als die
syrische Armee. Es gibt auch lokale Bürgerwehren, die zusammen mit der
Armee ihre eigenen Gebiete verteidigen. Das ist ein Grund unseres
Erfolgs. Qusair bekam besondere Bedeutung aufgrund der Erklärungen
westlicher Verantwortlicher, dass es sich in Qusair um eine strategische
Stadt handle. Das ist übertrieben. In der Stadt gab es jedoch viele
Bewaffnete und Waffenarsenale.
Was war dann die Rolle der Hizbullah?
Die Terroristen hatten begonnen, die der Hizbullah
nahestehenden Dörfer entlang der Grenze zu beschießen. Es war
unumgänglich, dass die Hizbullah mit der syrischen Armee eingriff, um
das Chaos zu beenden. Die syrische Armee ist eine große Armee und kann
ihre Aufgabe mit den lokalen Bürgern in allen Gebieten wahrnehmen.
Brauchten wir wirklich Hilfe, hätten wir diese Hizbullah-Kräfte in das
Umland von Damaskus gebracht. Sie wissen, dass Kämpfe an der Peripherie
von Damaskus stattfinden. Damaskus ist viel wichtiger als Qusair, auch
Aleppo ist wichtiger als Qusair, alle Großstädte sind es. Diese
Propaganda bezweckte zweierlei: Erstens zu zeigen, dass die Hizbullah
die Arbeit macht, und zweitens sollte die westliche und internationale
Meinung gegen die Hizbullah aufgebracht werden.
Wie groß sind die Einheiten der Hizbullah in Syrien?
Es gibt keine Verbände. Es handelt sich um
individuelle Kämpfer entlang der Grenze, etwa wo die Terroristen bei
Qusair zu finden waren. Sie haben die syrische Armee bei den
Säuberungsaktionen entlang der libanesischen Grenze unterstützt. Die
Kräfte der Hizbullah sind Richtung Israel stationiert und können den
Süden des Libanons nicht verlassen. Auch wenn die Hizbullah Kämpfer nach
Syrien geschickt hatte, wie viele können das sein? Einige Hunderte? Wir
sprechen von einer Schlacht mit hunderttausend Soldaten der syrischen
Armee. Einige Hunderte können an einem Ort Einfluss nehmen, nicht aber
das Kräfteverhältnis in Syrien verändern.
Die Regierungen Frankreichs und
Großbritanniens sagen, ihnen lägen Beweise vor, dass die syrische Armee
chemische Waffen eingesetzt habe. Nun sagt das auch die amerikanische
Regierung. Weshalb gestatten Sie den Inspekteuren der UN nur den Zugang
nach Aleppo?
Beginnen wir mit dem, was das Weiße Haus
bekanntgegeben hat, mit den 150 Toten in einem Zeitraum von einem Jahr.
Militärisch gesehen, können konventionelle Waffen an einem Tag viel mehr
als diese Zahl in einem ganzen Jahr töten. Waffen, die zur
Massenvernichtung eingesetzt werden, sind in der Lage, Hunderte,
Tausende auf einmal zu töten. Deshalb werden sie eingesetzt. Es ist
daher unlogisch, Chemiewaffen einzusetzen, um eine Zahl von Menschen zu
töten, die durch Einsatz konventioneller Waffen erreicht werden kann.
Frankreich und Großbritannien sowie einige amerikanische und europäische
Verantwortliche haben gesagt, wir hätten diese Waffen in einigen
syrischen Gebieten eingesetzt. Wir haben weder erklärt, dass wir
chemische Waffen besitzen, noch, dass wir sie nicht besitzen. Chemische
Waffen sind Massenvernichtungswaffen. Hätten Paris, London und
Washington nur ein einziges Beweismittel für ihre Behauptungen, hätten
sie dieses der Weltöffentlichkeit vorgelegt. Wo bleibt die Kette der
Beweise, die zu dem Ergebnis führen soll, dass „Syrien chemische Waffen
eingesetzt“ habe? Als Beweis dafür, dass die Terroristen diejenigen
sind, die chemische Waffen einsetzen, haben wir die UN aufgefordert,
eine Untersuchungskommission an jenen Ort zu schicken, an dem die
Terroristen chemische Waffen eingesetzt haben - und das war in Aleppo.
Franzosen und Briten haben diesen Antrag blockiert. Wäre die
Untersuchungskommission gekommen, hätte sie festgestellt, dass die
Terroristen chemische Waffen eingesetzt haben. Alles, was über den
Einsatz von Chemiewaffen gesagt wird, ist eine Fortsetzung der Lügen
über Syrien. Es ist der Versuch, mehr militärische Einmischung zu
rechtfertigen.
Weshalb lehnen Sie dann Inspekteure der UN ab?
Es wird sich herausstellen, dass Frankreich und
Großbritannien an der Wahrheit vorbeigehen. Sie wollten, dass die
Kommission Zugang zu allen Plätzen bekommt und die gleiche Arbeit
verrichtet, die einst die Waffeninspekteure im Irak getan haben. Dabei
haben sie sich in Angelegenheiten eingemischt, die nicht unter ihre
Befugnisse fallen. Wir sind ein Staat, wir haben unsere Armee, wir haben
unsere Geheimnisse. Wir werden niemand erlauben, sich Einblick in sie
zu verschaffen, nicht den UN, nicht Frankreich, nicht Großbritannien,
nicht anderen.
Weshalb bombardiert die syrische Armee bewohnte Gebiete?
Wir jagen die Terroristen, wohin sie auch gehen.
Sie gehen oft in Wohngebiete. Nehmen wir als Beispiel Qusair. Westliche
Medien berichteten von 50.000 Zivilisten in Qusair. Die Zahl der
Bewohner war ursprünglich viel kleiner. Als sich die Terroristen des
Orts bemächtigten, verließen ihn die Bewohner. Wir fanden nahezu keine
Zivilisten vor, als wir in Qusair einzogen. Kommen die Terroristen,
verlassen die Zivilisten jeden Ort, und die Kämpfe brechen aus. Beleg
dafür ist die Tatsache, dass die meisten Opfer Angehörige des Militärs
sind. Die Zivilisten, die getötet wurden, sind Opfer von Terroristen,
die Hinrichtungen vollstreckten und Zivilisten als menschliche
Schutzschilder benutzten. Eine große Zahl der zivilen Opfer wird durch
Selbstmordanschläge und Autobomben getötet. Die restlichen Getöteten
sind entweder syrische oder ausländische Terroristen.
Nachdem Ihre Armee die Stadt Qusair erobert
hat: Warum nutzen Sie das nicht, um der Opposition die Hand zur
nationalen Versöhnung auszustrecken?
Vom ersten Tag hatten wir unsere Hand ausgestreckt
für jeden, der den Dialog will. Wir haben diese Haltung nicht geändert.
Wir haben zu Beginn der Krise eine nationale Dialogkonferenz abgehalten,
parallel dazu bekämpften wir die Terroristen. Bei dem Begriff
Opposition sollten wir nicht alle in einen Topf werfen, wir sollten
nicht Terroristen mit Politikern zusammentun. Sie haben in Deutschland
eine Opposition, sie trägt aber keine Waffen. Sprechen wir von
Opposition, meinen wir Politiker. Wir sind stets bereits, mit diesen
Politikern in einen Dialog einzutreten. Das hat mit Qusair nichts zu
tun. Ich glaube nicht, dass nationale Versöhnung ein zutreffender
Begriff ist. Es handelt sich bei uns nicht um einen Bürgerkrieg wie im
Libanon. Es ist auch nicht eine Frage wie zwischen Weißen und Schwarzen
in Südafrika. Hier handelt es sich um einen Dialog, der darauf zielt,
aus der Krise herauszukommen und die Terroristen dazu zu bewegen, die
Waffen niederzulegen. Die Genfer Konferenz verfolgt die genannten
politischen Ziele. Also, der politische Prozess ist nicht zum Stillstand
gekommen. Es gibt allerdings Hindernisse von außen - die Türkei, Qatar,
Saudi-Arabien, Frankreich und Großbritannien. Sie wollen den Dialog
nicht. Sie wollen vielmehr die Fortsetzung der Unruhen, und das führt
dazu, dass sich der Dialog und die politische Lösung verzögern.
Mit wem sind Sie bereit, sich an einen Tisch zu setzen?
Mit jeder Opposition, die keine Waffen trägt, nicht
den Terrorismus unterstützt und ein politisches Programm hat. Die
Opposition hat sich in Wahlen zu bewähren; das sind Lokalwahlen und -
als wichtigstes - Parlamentswahlen. Wir haben es mit Kräften zu tun, die
sich Opposition nennen. Hier stellen wir zwei Fragen: Was ist ihre
Basis im Volk? Was ist ihr politisches Programm? Entsprechend verhalten
wir uns.
Weshalb haben Sie bisher nicht mit der Opposition in Syrien verhandelt?
Wir haben in der ersten Dialogkonferenz von 2011
jeden eingeladen, der sich als Oppositioneller betrachtet. Ein Teil der
Oppositionellen kam, andere schlugen die Einladung mit der Begründung
aus, dass wir ihnen nicht entgegengekommen seien. Was ist damit gemeint?
Was bieten wir ihnen an? Ministerposten im Kabinett? Sie haben ja
keinen Sitz im Parlament. Wie können wir wissen, wer es verdient, in der
Regierung zu sein? Dazu braucht man Kriterien und Maßstäbe. Das hat
nichts mit Launen zu tun. Die einzige Opposition, die sich heute in der
Regierung befindet, ist die Opposition, die Sitze im Parlament errungen
hat. Um es klar zu sagen: Der Staat ist nicht Eigentum des Präsidenten,
um Geschenke in Form von Ministerien zu verteilen. Es ist ein nationaler
Prozess, Regierung und Verfassung werden vom Volk bestimmt. Unsere
Türen sind geöffnet.
Gibt es Raum für eine politische Lösung?
Wenn die Opposition unabhängig und national ist,
haben wir kein Problem. Die Opposition im Ausland legt ihre Berichte den
westlichen Außenministerien und deren Geheimdiensten vor. Wer sie
finanziert, gibt ihnen ihre Entscheidungen vor. Für uns bedeutet
Opposition, dass sie einen Teil der Bevölkerung repräsentiert und nicht
einen ausländischen Staat. Um eine aufrichtige Opposition zu sein, muss
man auf syrischem Boden mit seinem Volk sowie dessen Problemen und Nöten
leben. Erst dann kann diese Opposition Teil eines politischen Prozesses
sein.
Sie haben gesagt, Sie verhandeln nicht mit Sklaven, sondern nur mit deren Herren. Was bedeutet das?
Ich habe diesen Vergleich angestellt, um
klarzustellen, was wirklich passiert. Im Fernsehen war zu sehen, wie der
französische Botschafter in Syrien mit der syrischen Opposition
gesprochen hat, wie er ihr Befehle gegeben und sie sogar beschimpft hat.
In einem anderen Video haben Oppositionelle ausgesagt, wie der
amerikanische Botschafter in Syrien sie beschimpft hat. Praktisch werden
wir Verhandlungen führen mit den Vereinigten Staaten, Frankreich und
Großbritannien sowie deren Werkzeugen Türkei, Qatar und Saudi-Arabien.
Die Kräfte, die sich Opposition im Ausland nennen, sind bloße
Angestellte und in diesem Sinne Sklaven.
Was erwarten Sie von der Syrien-Konferenz, die in diesem Sommer in Genf stattfinden soll?
Wir hoffen, dass die Genfer Konferenz eine wichtige
Station wird, um den Dialog in Syrien voranzutreiben. Insbesondere weil
wir zu Beginn des Jahres eine Vision für eine politische Lösung
bekanntgegeben haben. Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass es
Staaten gibt, die an einem Erfolg in Genf nicht interessiert sind. Das
sind die gleichen Staaten, die den Terrorismus in Syrien unterstützen.
Gelingt es der Konferenz - und das ist es, was wir hoffen -, zu
verbieten, dass Waffen nach Syrien eingeschleust werden und Terroristen
einsickern - es gibt Terroristen aus 29 Nationen -, dann ist das ein
Ansatz zum Erfolg. Geschähe das nicht und setzte sich der Terrorismus
fort: Worin bestünde dann der Wert einer politischen Lösung? Eine
politische Lösung basiert darauf, das Einschleusen von Terroristen und
Waffen nach Syrien zu stoppen. Wir hoffen, dass die Genfer Konferenz mit
diesem Punkt beginnt. Sollte es ihr gelingen, dies zu beschließen,
betrachte ich die Konferenz als erfolgreich. Ohne dieses Ergebnis würde
die Konferenz keinen Erfolg haben.
Was wäre die Folge eines Scheiterns der Konferenz?
Geht die syrische Krise nicht zu Ende, wird sie auf
andere Länder übergreifen, und die Lage wird sich verschlechtern. Der
Verstand gebietet es zwar, dass alle an einem Erfolg Interesse haben.
Aber die Opposition im Ausland würde ihre Gelder verlieren, sollte die
Konferenz erfolgreich sein. Hat man weder Geld noch eine Basis in der
Bevölkerung, besitzt man gar nichts.
Kann aus Genf eine Übergangsregierung mit Personen aus verschiedenen politischen Lagern hervorgehen?
Wir sind auf eine erweiterte Regierung eingegangen,
die unterschiedliche Seiten vertritt und die Parlamentswahlen
vorbereitet. Wer in diesen Wahlen Erfolg hat, wird an der Regierung
teilnehmen, wer nicht, hat darin keinen Platz.
Es heißt, nach so viel Blutvergießen sei
ein politischer Neubeginn nur mit neuen Führern möglich. Sind Sie
bereit, Ihr Amt als Präsident aufzugeben?
Die Verfassung schreibt die Aufgaben des
Präsidenten vor. Seine Legislaturperiode endet 2014. Befindet sich das
Land in einer Krise, so sind die Aufgaben des Präsidenten größer und
nicht kleiner. Selbstverständlich kann man das Land während einer Krise
nicht im Stich lassen. Immer wieder vergleiche ich die Lage mit einem
Schiff, das in einen Sturm gerät. Man stelle sich vor, der Kapitän
verlässt das Schiff und flieht mit einem Rettungsboot. Unter diesen
Umständen aufzugeben, bedeutete, einen großen nationalen Verrat zu
begehen. Eine andere Sache ist es, wenn das Volk beschließt, dass jemand
sein Amt verlieren soll. Wie kann man wissen, ob das Volk will, dass
man das Amt aufgibt? Entweder durch Wahlen oder ein Referendum. Am
Referendum zur neuen Verfassung haben sich 58 Prozent der Wähler
beteiligt. 89,4 Prozent stimmten der neuen Verfassung zu, das ist ein
guter Indikator. Nicht der Präsident ist das Problem. Andere Staaten
wollen, dass der Präsident zugunsten eines von diesen Staaten bestimmten
Lakaien abtritt.
Im Jahr 2014 soll eine Präsidentschaftswahl stattfinden. Wie soll sie ablaufen?
Nach der neuen Verfassung wird es mehr als einen
Kandidaten geben, und das wird eine neue Erfahrung sein. Es ist
schwierig, genau zu wissen, wie es sein wird, bis wir es erprobt haben.
Wie wird Syrien in fünf Jahren aussehen?
Ich wiederhole: Extremismus ist die größte
Herausforderung. Gelingt es uns, gegen diesen vorzugehen, dann können
wir einen richtigen demokratischen Pfad einschlagen. Die Demokratie, die
wir in Syrien anstreben, ist nicht ein Ziel, sondern ein Mittel für
Stabilität und Entwicklung. Diese Frage handelt nicht von Gesetzen und
Verfassungen. Der demokratische Prozess ist in erster Linie ein
kulturgesellschaftlicher Prozess."
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/syriens-machthaber-assad-im-f-a-z-gespraech-europa-wird-den-preis-fuer-waffenlieferungen-zahlen-12224899.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen