"Seit 1980 bereist Jürgen Todenhöfer Krisen- und
Kriegsgebiete. Die neue Lage in Syrien bereitet ihm große Sorgen. Im
Interview wirft er Barack Obama vor, das Gegenteil von dem zu tun, was
er sagt. Die Politik der USA, Frankreichs und Großbritanniens bezeichnet
er als absurd.
Haben die Amerikaner mit ihrer Einschätzung recht, dass chemische Waffen eingesetzt wurden?
Nach UNO-Berichten gibt es zwar Hinweise, dass chemische Waffen
eingesetzt wurden. Aber auch dass niemand genau weiß, von welcher Seite.
Die angeblichen Erkenntnisse der USA sind daher merkwürdig. Immerhin
sind in den letzten Jahrzehnten alle amerikanischen
Militärinterventionen mit Lügen begründet worden. Vom Vietnam- bis zum
Irakkrieg. Die Lüge ist eine beliebte Kriegswaffe.
Wie, glauben Sie, wird Obama vorgehen?
Das ist schwer zu sagen. Obama pflegt ja oft das Gegenteil von dem zu
tun, was er sagt. Seine fünf Regierungsjahre haben nicht viel mit dem
zu tun, was er versprochen hat. Er hat die Welt zwar verändert, aber in
die falsche Richtung. Statt "yes we can", heißt es jetzt: "Yes, we
scan."
Was wird die Auswirkung amerikanischer Waffenlieferungen auf die Zivilbevölkerung sein?
Verheerend. Wir haben in Syrien einen Bürgerkrieg, in dem die eine
Hälfte des Volkes gegen die andere kämpft. Hinzu kommen Tausende
ausländische Dschihadisten. Schon jetzt gibt es durch die Geld- und
Waffenlieferungen aus Katar und Saudi-Arabien sowie aus Russland und
Iran zu viele Waffen im Land. Frieden in Syrien wird man nur erreichen,
wenn man diese Waffenlieferungen stoppt. Nicht, wenn man noch mehr
Waffen liefert.
Aber die Waffen sollen doch nur an gemäßigte Rebellen gehen?
Es gibt in Syrien keine nennenswerten gemäßigten Rebellengruppen
mehr. Die Zeiten, in denen dort friedliche Demonstranten für Demokratie
eintraten, sind vorbei. Die Rebellen haben sich völlig radikalisiert.
Die beherrschende Rebellengruppe ist jetzt die Al-Qaida-Filiale Al
Nusra. Wir haben in Syrien die größte Konzentration von
Al-Qaida-Kämpfern auf der Welt. Die können sich aus jeder
Waffenlieferung bedienen. Wer Waffen an syrische Rebellen liefert,
unterstützt letztlich immer Al-Qaida. Das ist ja das Perverse an diesem
Krieg, dass die USA gewollt oder ungewollt schon lange über Katar und
Saudi-Arabien das Geschäft Al-Qaidas betreiben.
Was bedeutet das für uns?
Wir Europäer werden dafür möglicherweise bald einen hohen Preis
bezahlen. Einige Hundert Dschihadisten von Al Nusra stammen aus
Westeuropa und werden hierher zurückkehren. Nicht um ihren Ruhestand zu
genießen, sondern um das, was sie in Syrien gelernt haben, auch bei uns
anzuwenden. Die Terrorgefahr für unsere Bürger steigt durch die
dilettantische westliche Politik täglich. Ich schließe davon
ausdrücklich die deutsche Syrienpolitik aus, die wohltuend unkriegerisch
ist und zu Recht auf Verhandlungen setzt.
Mit dem Krieg in Syrien soll die Achse Teheran - Damaskus - Beirut gebrochen werden. Was ist der Hintergrund?
Syrien, die Hisbollah und Iran weigern sich seit Jahren, sich der
amerikanischen Hegemonialpolitik zu unterwerfen. Sie gehören zur "Achse
der Ungehorsamen", die die USA "Achse des Bösen" nennen. Hauptziel der
USA ist letztlich die Schwächung Irans, das ihnen durch George W. Bushs
törichten Irakkrieg zu mächtig geworden ist.
Sind die Tage Assads gezählt?
Im Augenblick ist Assad militärisch auf dem Vormarsch. Das scheint ja
auch einer der Gründe zu sein, warum die USA plötzlich Waffen an die
Rebellen liefern wollen. Es kann natürlich auch sein, dass er morgen
durch einen Anschlag umkommt. Wie Gaddafi. Die Feinde der USA leben
gefährlich. Was der Westen allerdings völlig unterschätzt, ist, dass
Assad nicht nur unter Alawiten und Christen viele Anhänger hat, sondern
auch in der sunnitischen Mittelschicht. Er hat mindestens so viel
Unterstützung in der Bevölkerung wie die Rebellen, vielleicht sogar
mehr. Das ist ja auch der Grund, warum sich alle westlichen Voraussagen
der letzten zwei Jahre, er werde schnell stürzen, als falsch erwiesen
haben.
Wird ein islamistischer Staat die Folge sein?
Wenn die Rebellen den Krieg mit westlicher Hilfe gewinnen, wird es
ein islamisches Kalifat geben, das heißt, eine Diktatur religiöser
Fanatiker. Mit Al-Qaida-Beteiligung. Es ist eine absurde Politik, die
die USA, Großbritannien und Frankreich da betreiben. Irgendwie ist ihnen
der Kompass verloren gegangen. Aber nicht nur die Tatsache, dass sich
die USA auf die Seite von Al-Qaida stellen, ist grotesk. Wir treiben im
Mittleren Osten auch auf einen Flächenbrand zu. Schon jetzt sind zehn
Länder in diesen Konflikt verwickelt. Wenn der Mittlere Osten brennt,
könnte das auch verheerende Folgen für Europa haben. Dort liegen 70
Prozent der bekannten Erdölvorkommen."
Quelle: http://www.frankenpost.de/regional/oberfranken/laenderspiegel/Die-Rebellen-haben-sich-voellig-radikalisiert;art2388,2634889
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