Montag, 17. Juni 2013

"Die Rebellen haben sich völlig radikalisiert"

"Seit 1980 bereist Jürgen Todenhöfer Krisen- und Kriegsgebiete. Die neue Lage in Syrien bereitet ihm große Sorgen. Im Interview wirft er Barack Obama vor, das Gegenteil von dem zu tun, was er sagt. Die Politik der USA, Frankreichs und Großbritanniens bezeichnet er als absurd.

Haben die Amerikaner mit ihrer Einschätzung recht, dass chemische Waffen eingesetzt wurden?
Nach UNO-Berichten gibt es zwar Hinweise, dass chemische Waffen eingesetzt wurden. Aber auch dass niemand genau weiß, von welcher Seite. Die angeblichen Erkenntnisse der USA sind daher merkwürdig. Immerhin sind in den letzten Jahrzehnten alle amerikanischen Militärinterventionen mit Lügen begründet worden. Vom Vietnam- bis zum Irakkrieg. Die Lüge ist eine beliebte Kriegswaffe.
Wie, glauben Sie, wird Obama vorgehen?
Das ist schwer zu sagen. Obama pflegt ja oft das Gegenteil von dem zu tun, was er sagt. Seine fünf Regierungsjahre haben nicht viel mit dem zu tun, was er versprochen hat. Er hat die Welt zwar verändert, aber in die falsche Richtung. Statt "yes we can", heißt es jetzt: "Yes, we scan."
Was wird die Auswirkung amerikanischer Waffenlieferungen auf die Zivilbevölkerung sein?
Verheerend. Wir haben in Syrien einen Bürgerkrieg, in dem die eine Hälfte des Volkes gegen die andere kämpft. Hinzu kommen Tausende ausländische Dschihadisten. Schon jetzt gibt es durch die Geld- und Waffenlieferungen aus Katar und Saudi-Arabien sowie aus Russland und Iran zu viele Waffen im Land. Frieden in Syrien wird man nur erreichen, wenn man diese Waffenlieferungen stoppt. Nicht, wenn man noch mehr Waffen liefert.
Aber die Waffen sollen doch nur an gemäßigte Rebellen gehen?
Es gibt in Syrien keine nennenswerten gemäßigten Rebellengruppen mehr. Die Zeiten, in denen dort friedliche Demonstranten für Demokratie eintraten, sind vorbei. Die Rebellen haben sich völlig radikalisiert. Die beherrschende Rebellengruppe ist jetzt die Al-Qaida-Filiale Al Nusra. Wir haben in Syrien die größte Konzentration von Al-Qaida-Kämpfern auf der Welt. Die können sich aus jeder Waffenlieferung bedienen. Wer Waffen an syrische Rebellen liefert, unterstützt letztlich immer Al-Qaida. Das ist ja das Perverse an diesem Krieg, dass die USA gewollt oder ungewollt schon lange über Katar und Saudi-Arabien das Geschäft Al-Qaidas betreiben.
Was bedeutet das für uns?
Wir Europäer werden dafür möglicherweise bald einen hohen Preis bezahlen. Einige Hundert Dschihadisten von Al Nusra stammen aus Westeuropa und werden hierher zurückkehren. Nicht um ihren Ruhestand zu genießen, sondern um das, was sie in Syrien gelernt haben, auch bei uns anzuwenden. Die Terrorgefahr für unsere Bürger steigt durch die dilettantische westliche Politik täglich. Ich schließe davon ausdrücklich die deutsche Syrienpolitik aus, die wohltuend unkriegerisch ist und zu Recht auf Verhandlungen setzt.
Mit dem Krieg in Syrien soll die Achse Teheran - Damaskus - Beirut gebrochen werden. Was ist der Hintergrund?
Syrien, die Hisbollah und Iran weigern sich seit Jahren, sich der amerikanischen Hegemonialpolitik zu unterwerfen. Sie gehören zur "Achse der Ungehorsamen", die die USA "Achse des Bösen" nennen. Hauptziel der USA ist letztlich die Schwächung Irans, das ihnen durch George W. Bushs törichten Irakkrieg zu mächtig geworden ist.
Sind die Tage Assads gezählt?
Im Augenblick ist Assad militärisch auf dem Vormarsch. Das scheint ja auch einer der Gründe zu sein, warum die USA plötzlich Waffen an die Rebellen liefern wollen. Es kann natürlich auch sein, dass er morgen durch einen Anschlag umkommt. Wie Gaddafi. Die Feinde der USA leben gefährlich. Was der Westen allerdings völlig unterschätzt, ist, dass Assad nicht nur unter Alawiten und Christen viele Anhänger hat, sondern auch in der sunnitischen Mittelschicht. Er hat mindestens so viel Unterstützung in der Bevölkerung wie die Rebellen, vielleicht sogar mehr. Das ist ja auch der Grund, warum sich alle westlichen Voraussagen der letzten zwei Jahre, er werde schnell stürzen, als falsch erwiesen haben.
Wird ein islamistischer Staat die Folge sein?
Wenn die Rebellen den Krieg mit westlicher Hilfe gewinnen, wird es ein islamisches Kalifat geben, das heißt, eine Diktatur religiöser Fanatiker. Mit Al-Qaida-Beteiligung. Es ist eine absurde Politik, die die USA, Großbritannien und Frankreich da betreiben. Irgendwie ist ihnen der Kompass verloren gegangen. Aber nicht nur die Tatsache, dass sich die USA auf die Seite von Al-Qaida stellen, ist grotesk. Wir treiben im Mittleren Osten auch auf einen Flächenbrand zu. Schon jetzt sind zehn Länder in diesen Konflikt verwickelt. Wenn der Mittlere Osten brennt, könnte das auch verheerende Folgen für Europa haben. Dort liegen 70 Prozent der bekannten Erdölvorkommen."

Quelle: http://www.frankenpost.de/regional/oberfranken/laenderspiegel/Die-Rebellen-haben-sich-voellig-radikalisiert;art2388,2634889

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