Abschrift eines Interviews
mit Professor Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen
Welt an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz:
"Der Wind hat gedreht. Immer mehr kommen die syrischen
Rebellen in´s Visier. Ihnen wird vorgeworfen, dass SIE Giftgaswaffen eingesetzt
hätten und nicht das Regime Assad. Professor Günter Meyer leitet an der
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz das Zentrum für Forschung zur
Arabischen Welt. Er vertritt die These, dass die Rebellen und nicht die
Regierung Assad Giftgas verwendet hat. Ich habe ihn gefragt: „Wie können Sie
sich von Mainz aus dessen so sicher sein?“ „Es ist völliger Unsinn anzunehmen,
dass die Regierungstruppen in der gegenwärtigen Situation Giftgas einsetzen.
Das Regime ist auf dem Vormarsch. Sie haben eine überragende Feuerkraft mit konventionellen
Waffen, mit ihrer Artillerie, mit ihrer Luftwaffe, mit ihren Kampfflugzeugen
können sie die Aufständischen ganz gezielt bekämpfen. Das heißt, in dieser
Situation kann man davon ausgehen, dass das Regime auf keinen Fall das Risiko
eingehen wird, Giftgas einzusetzen, was eben auch durch eine Änderung der
Windrichtung etwa in die falsche Richtung gelenkt werden könnte.“ „Das macht
Sinn, wenn die Regierung rational handelt, wenn Assad ein rational handelnder
Diktator ist.“ „Zu unterstellen, dass er irrational handelt, dafür gibt es
nicht den geringsten Anlass. Er selber hat kürzlich in einem Interview erklärt:
„Wir lassen uns doch nicht von unseren Gegnern über die rote Linie hinweg
ziehen.“ Die rote Linie, die von Obama aufgestellt worden ist. Das heißt, es
steht hier die klare Aussage: Wenn Giftgas gegen die eigene Bevölkerung
eingesetzt wird, dann wird das Konsequenzen haben von Seiten der USA, die damit
den entscheidenden Grund hat,um militärisch in Syrien einzugreifen. Und daran
haben nur die Gegner von Bashar al-Assad ein Interesse.“ „Könnte Assad nicht
hoffen, dass er seine Unterstützer mobilisiert, falls die Amerikaner in Syrien
intervenieren?“ „Hier müssen wir ganz klar auch die Perspektive der
Obama-Regierung uns anschauen, denn die Obama-Regierung ist sich ganz klar
darüber was passiert, wenn eine Flugverbotszone eingerichtet wird, wenn in
großem Umfang Waffen an die Aufständischen geliefert werden und das Regime dann
tatsächlich stürzt. Dann entsteht ein Machtvakuum. Und das wird gefüllt von den
Aufständischen, insbesondere der al-Nusra-Front, den Jihadisten, den
al-Qaida-Anhängern, die nur darauf warten, in dieses Machtvakuum hineinzustoßen
und das heißt, die Furcht davor, dass genau die Jihadisten, die Islamisten,
hier die Macht übernehmen, das ist das Hauptmotiv, weshalb Obama auf keinen
Fall hier militärisch eingreifen will.“ „Aber warum ist dann selbst die
unabhängige UNO-Kommission zu Syrien sehr skeptisch, nicht nur die Amerikaner?“
„Wir müssen uns die Aussage von Carla del Ponte anhören, das prominente Kommissions-Mitglied:
Alle vorliegenden Indizien sprechen dafür, dass die Rebellen die
Verantwortlichen sind für den Chemiewaffeneinsatz. Das wird auch noch ganz
deutlich, wenn wir uns die konkrete Situation bei diesem Giftgaseinsatz
anschauen, wo 27 Menschen getötet worden sind: Das ist ein Dorf, das auf Seiten
des Regimes stand. Dass Regierungstruppen eine von ihnen selbst kontrollierte
Siedlung mit chemischen Kampfstoffen angreifen, das widerspricht jeglicher
Logik. Für diesen Angriff können nur die Aufständischen verantwortlich sein.“ „Woher
haben die Rebellen denn das Giftgas Ihrer Meinung nach?“ „Der Guardian hat sehr
detailiert recherchiert und er kommt zu dem Schluss, dass eine kleine, mit
einer Giftgasgranate bestückte Rakete abgeschossen worden ist von dem Dorf Bab,
das unmittelbar an der türkischen Grenze liegt. Dieser Ort ist die Hochburg der
jihadistischen Nusra-Front, die sich al-Qaida angeschlossen hat. Immer wieder
haben westliche Geheimdienste betont, dass die syrischen Chemiewaffenlager
sicher sind, solange das Regime an der Macht bleibt. Es ist deshalb auszuschließen,
dass die Chemiewaffen von hier ihren Weg zu den Rebellen gefunden haben. Viel
naheliegender ist es dagegen, dass über die benachbarte offene Grenze von
türkischem Gebiet her die Chemiewaffen in die Hände der al-Nusra-Front gelangt
sind.“ „Das heißt also, Sie glauben, dass die Türkei die Rebellen mit Giftgas
beliefert – und das, obwohl sie Verbündete sind der USA, die das überhaupt
nicht wollen?“ „Der Verdacht liegt zumindest nahe und er wird auch dadurch
bestärkt, dass Erdogan jetzt behauptet hat, dass der türkische Geheimdienst
über die Reste von mindestens 200 Geschossen mit Giftgasspuren verfüge, die von
dem Regime in Syrien eingesetzt worden sein sollen. Wenn tatsächlich 300
Geschosse mit Giftgas eingesetzt worden sind, das hätte hunderte, gar tausende
Tote gegeben. Nichts, wie wir das hier bei diesem einen Angriff bisher gesehen
haben. Also es deutet alles hin auf eine großangelegte Propagandaaktion, um den
Druck jetzt bei den anstehenden Verhandlungen in Washington auf Obama zu
erhöhen.“ „Nun gibt es ja eine unübersichtliche Vielfalt von Rebellen. Welche
setzen denn das Giftgas ein?“ „Am besten organisiert sind natürlich die Mitglieder
der al-Nusra-Front, unterstützt von – nach unterschiedlichen Schätzungen mindestens
600 - Jihadisten allein aus europäischen Ländern, zahlreichen al-Qaida-Leuten,
die aus dem Irak eingesickert sind. Diese Gruppen sind hervorragend
organisiert. Das sind die Leute, die ein gezieltes Interesse daran haben, die
genau sehen: das Regime gewinnt wieder an Boden, wir dagegen verlieren. Das
heißt, um das Blatt noch einmal zu wenden, ist es entscheidend, dieses Argument
– Überschreiten der roten Linie – in die Diskussion hinein zu bringen. Und es
ist ein Leichtes, solche chemischen Waffen sich da im Endeffekt zu beschaffen.“
„Professor Günter Meyer leitet an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz
das Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt.“
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