Freitag, 14. Juni 2013

"Waffenlager in der Kirche"

"Qusair ist verwüstet. Als Assads Armee und die Hizbullah den Grenzort einnahmen, zerstörten Islamisten die Häuser. Von der Revolution wollen die wenigen Rückkehrer nichts mehr wissen.

Elia steht in der Tür seines Hauses und zieht langsam an seiner Zigarette. Er ist einer der wenigen, die nach Qusair zurückgekehrt sind. Vor einer Woche erst meldete die syrische Armee von Präsident Baschar al Assad die Rückeroberung des Orts an der Grenze zum Libanon. Der Christ Elia kann sich gut an den Tag erinnern, als der Albtraum in der Kleinstadt begann. Am 9. Februar 2012 hätten Angreifer, die er „ islamische Eiferer“ nennt, erstmals die Christenviertel mit Raketen beschossen und den Christen mit dem Tod gedroht, sollten sie Qusair nicht verlassen. Er habe sofort das Nötigste gepackt und sei mit seiner Familie zu Verwandten gezogen.
Jetzt ist er zurück - sein Elektrowarengeschäft und sein Wohnhaus wurden geplündert. Wenigstens aber stehen die Gebäude noch, und so schläft er auf dem Boden. „Das sieht doch aus wie Somalia“, sagt er verbittert und blickt die mit Schutt übersäte Straße der Geisterstadt hinab. Gelegentlich fährt eine Militärpatrouille vorbei. Es sei richtig gewesen, Qusair gleich zu verlassen, sagt der Mann, der sich schon einige Tagen nicht rasiert hat. Die Islamisten hätten drei Mitglieder der Familie aus einem Haus gegenüber entführt und zu Tode gefoltert. Dann hätten auch die anderen die Stadt verlassen.
Das Regime hat Qusair vorige Woche mit Hilfe der libanesischen Hizbullah eingenommen. Für Assads Truppen war es ein großer Erfolg: Der Ort hatte der bewaffneten Opposition als Lager für Waffen gedient, die aus dem Libanon nach Syrien geschmuggelt wurden. „Vor mehr als einem Jahr“, berichtet ein Offizier in Tarnuniform, „sind die meisten Zivilisten gegangen und haben die Stadt mehr als 10.000 Bewaffneten überlassen.“ In Häusern, in der Kirche und in Tunnels habe man große Mengen tragbarer Waffen aller Art gefunden. Seinen Namen will der Offizier nicht nennen.
Die meisten Waffen stammen offenbar aus Libyen. Dorthin hatte sie Qatar vor rund zwei Jahren gebracht, um der Rebellion gegen den Diktator Gaddafi zum Sieg zu verhelfen. Nun wurden sie mit dem Schiff in die libanesische Hafenstadt Tripoli gebracht, von dort gelangten sie über die von Sunniten bewohnten Grenzstädte Arsal und Wadi Khalid nach Qusair. Der Offizier bezichtigt führende sunnitische Politiker des Libanons, diesen Schmuggel organisiert zu haben, allen voran einen Abgeordneten namens Khalid al Daher. Auf der syrischen Seite soll Mufaa Abu Sus, bekannt als Pate der Schmuggler von Qusair, die Fäden gezogen haben. Der sunnitische Muslim hatte am Uhrenplatz ein Geschäft für geschmuggelte Zigaretten betrieben. Aus seinen radikal-islamistischen Ansichten habe er nie einen Hehl gemacht, sagen Leute in Qusair, die Assad für die Rückeroberung dankbar sind.

Golfstaaten brachten Waffen und Geld für die Rebellen

Als der Aufstand gegen das Regime begann, stieg Abu Sus demnach zum Führer der Miliz „Kataib Bashair al Nasr“ auf - und damit zum militärischen Führer der bewaffneten Rebellen der Stadt. Erst habe die Freie Syrische Armee die Stadt kontrolliert, vor acht Monaten habe die Al-Nusra-Front die Herrschaft übernommen, sagt der Offizier. Viele der Dschihadisten wurden bei den Kämpfen getötet, andere setzten sich in den Libanon ab, Verwundete konnte das Roten Kreuz in den Libanon bringen. Von Abu Sus fehlt jede Spur. Als die Assad-Gegner ihren Rückzug antraten, zerstörten sie mit ferngezündeten Bomben nahezu jedes Haus.
Vor dem Krieg hatten in Qusair 25.000 Menschen gelebt. Von ihnen waren 60 Prozent Sunniten und 35 Prozent Christen; nur jeder zwanzigste Einwohner war Alawit wie Assad oder Schiit wie die Kämpfer der Hizbullah. Qusair war Knotenpunkt in einem Schmugglernetz. Nun, im Krieg, brachten die Golfstaaten Waffen und Banknoten für Assads Gegner ins Land. Dann wurde Qusair gleichsam ein islamischer Staat. In den Graffiti auf den Hauswänden kommt immer wieder der Name des radikalen syrischen Predigers Adnan Aruur vor, der im saudischen Exil lebt. Er gab der Al-Nusra-Front die Fatwas, die sie brauchten: Er rechtfertigte Morde und Vergewaltigungen. Er versprach jedem, der Vertreter des Regimes tötete, einen Platz im Paradies.
In einer Straße ist an vielen Hauswänden „kulluna Hanna“ zu lesen: „Wir sind alle Hanna.“ Der Haudegen Hanna Kasuha war, so lautet die Legende, der Beschützer der Christen von Qusair. Es gibt viele Heldengeschichten über ihn. So sollen die Rebellen sechzig alte Männer in ihre Gewalt gebracht haben, um ihn zu erpressen, die Stadt endlich zu verlassen. Darauf habe er die Rebellen entführt, und die Alten seien freigekommen. Dann aber wurde erst Hanna Kasuhas Bruder ermordet, später sein Vater und schließlich am 21. März 2012 er selbst. Das sei das Signal an die meisten Christen gewesen, die Stadt zu verlassen, sagt einer der wenigen, die geblieben sind. Auch er will seinen Namen nicht nennen, die Peiniger könnten ja zurückkehren.
Mit mehr als zehn Mitgliedern seiner Großfamilie lebt der Mann in der einzigen Straße, die unversehrt geblieben ist. Sie liegt jenseits der Bahnlinie, die am Rande der Stadt verläuft. Nach Hanna Kasuhas Tod rückte die Armee in dieses Viertel ein. „Darum fühlte ich mich sicher“, sagt der Mann. Arbeit hatte der Steinmetz keine mehr. Aber die Soldaten versorgten ihn und seine Familie mit Wasser und Nahrungsmitteln. Niemand scheint zu wissen, weshalb sie nicht viel früher die Gegner auf der anderen Seite der Bahnlinie angegriffen haben.

Auf dem Flur eines kleinen Hauses sitzen Leute auf dem Boden. Bis auf ein Bildnis Marias sind die Wände kahl. Die Christen erzählen Greuelgeschichten wie die von einem Cousin, der all sein Erspartes in ein Auto gesteckt hatte, dann aber entführt und in dem Wagen verbrannt wurde. Von den Minaretten aus seien die Christen zum Verlassen der Stadt aufgefordert worden, beteuern alle, die hier sitzen. Auf Kundgebungen sei skandiert worden: „Die Christen nach Beirut, die Alawiten ins Grab.“ Die Fatwas des Predigers Aruur seien befolgt worden. „Und wir saßen hier und haben gebetet“, sagt eine Frau und zieht das schwarze Kopftuch enger.
Basil kam aus der nahen Provinzhauptstadt Homs, um zu sehen, was von Qusair geblieben ist. Der junge Ingenieur steht vor dem Haus seiner Eltern. Hier wuchs er auf, nun ist von dem Haus nur noch ein Betonskelett übrig. Fassungslos steht er vor den Trümmern: „Von Qusair ist nichts übrig, wem nutzt das?“ Mal macht der junge Mann die Armee für die Zerstörung der Stadt verantwortlich, dann wieder die Rebellen. „Unter den Sunniten von Qusair waren schon vor dem Krieg viele Salafisten, die das Regime ablehnten“, sagt er.

„Die Revolution und ihre Parolen haben sich verändert“

Auf der anderen Seite hätten nicht wenige Christen wie er am Anfang auf der Seite der Revolution gestanden, hätten von Freiheit und Gleichheit geträumt. Die Lieder der Revolution zogen ihn an, sagt Basil, auf den Großkundgebungen in Homs habe auch er getanzt. Gerichtet waren die Großkundgebungen zunächst nicht gegen das Regime, sondern gegen den Gouverneur von Homs, der die Stadt in zwei Lager teilte. „Es war ein großes Fest - bis Schüsse fielen und die Salafisten kamen.“

Als klar wurde, dass die Herrschenden nicht auf die Sorgen der Demonstranten eingehen würden, und nichts in Bewegung geriet, habe es Demonstranten gegeben, die Regierungsgebäude angezündet hätten, gibt Basil zu. Dann habe es auf jeder Kundgebung einen gezielten Schuss gegeben, jedes Mal sei ein prominenter Bürger von Homs erschossen worden. Die Täter blieben unerkannt. Es sei nicht wahllos in die Menge geschossen worden, erinnert sich der junge Mann. Als dann der populäre Regimegegner Hadi al Dschundi getötet wurde, wandte sich erstmals die Hälfte der Bevölkerung von Homs auch offen gegen das Regime. Je mehr in der Provinzhauptstadt der Konflikt eskalierte, desto mehr griffen die Spannungen auf Qusair über. Und es gab Racheakte.
Für Basil war der Wendepunkt gekommen, als sich immer mehr Salafisten, die einen islamischen Staat wollten, unter die Demonstranten gemischt hätten. Die Revolution und ihre Parolen hätten sich verändert. Immer weniger Demonstranten hätten seine Ideale geteilt. „Sie haben alles kaputtgemacht.“ Auch Basil hat im Internet das Video angeschaut, das vor wenigen Wochen in aller Welt für Entsetzen sorgte. Zu sehen war ein Dschihadist aus Qusair, der einem Soldaten den Leib aufschnitt und so tat, als esse er das Herz des Toten. Voller Abscheu erzählt der Ingenieur davon. Noch immer glaube er an die Revolution, beteuert er. Fänden heute aber Wahlen statt, er würde seine Stimme Assad geben, sagt er. Der Präsident sei der Einzige, der den Krieg gegen den religiösen Extremismus gewinnen, den Irrsinn beenden und das Land zusammenhalten könne. Dass er heute so denken würde, sagt Basil, hätte er noch vor wenigen Monaten nicht gedacht. Die anderen sind tot."

Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/syrien-waffenlager-in-der-kirche-12218417.html

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