Sonntag, 12. August 2012

Interview mit Manuel Ochsenreiter über seine journalistische Arbeit in Syrien


Q: Wen unterstützen Sie in Syrien und warum?
A: Ich bin Journalist, kein Aktivist. Ich unterstütze keine Regierungen oder Gruppen in fremden Ländern, aber ich berichte über sie, mache Interviews und Reportagen. Syrien ist in diesen Tagen im Focus der Weltmedien – aber die Fakten spielen in der westlichen Medienberichterstattung keine große Rolle. Für mich war es wichtig, selber nach Syrien zu kommen und meine Augen und Ohren zu benutzen – und nicht auf die „Berichte“ meiner europäischen Kollegen zurückgreifen zu müssen, die in London, Paris, Hamburg oder in Kairo und Beirut schreiben. Besonders in Krisen- und Kriegszeiten sollte niemand nur auf Gruppen mit bestimmten Interessen in diesen Konflikten hören. Die „Mainstreem-Medien“ scheinen nur auf die sogenannte „Opposition“ außerhalb Syriens zu hören. Und so gibt es eine große Lücke in ihren Berichten. Ich bin nach Damaskus gegangen, um von „der anderen Seite“ zu berichten. Und die „andere Seite“ bedeutet in diesem Falle, wirklich vom Inneren Syriens zu berichten, mit syrischen Soldaten zu sprechen und ihnen zuzuhören, mit Journalisten-Kollegen und dem einfachen Volk. Das ist, was ich getan habe. Nichts anderes.

Q: Sind Sie gebeten worden, Informationen und Fakten in Ihren Artikeln zu bearbeiten, um sie zu veröffentlichen? Und haben Sie das getan?

A: Nein. Die Syrer haben nie darum gebeten, dies oder das zu schreiben. Dies könnte das überraschendste für europäische Kollegen sein, die Syrien ständig als Hardcore-Diktatur beschreiben. Ich war völlig frei in meinen Aktivitäten dort. Ich konnte mit jedem sprechen, habe alles gefragt, ohne irgendeine Zensur oder Kontrolle. Aber ich schätze, Ihre Frage bezieht sich auf meine deutschen Verleger. Ich arbeite für ein unabhängiges Verlagshaus in Deutschland, wir sind nicht groß und reich, wir sind nicht sehr beliebt, wir sind nicht „jedermanns Liebling“, aber wir schreiben, war wir wollen. Mein Verleger hat mich nie gedrängt, meine Artikel zu „justieren“, diese oder jene Information zu bearbeiten. Er unterstützt zu 100 % was ich tue. Und das beantwortet auch Ihre zweite Frage. Das ist der Grund, weshalb ich für diesen Verlag arbeite, weil ich niemals irgendeine Zensur in meinen Artikeln akzeptieren würde. 

 
Q: Wie war Ihr Gespräch mit dem syrischen Soldaten? Und sind Sie der Meinung, die syrische Armee hätte Massaker begangen?

A: Die Gespräche, die ich mit syrischen Soldaten hatte, waren sehr wichtig für mich. Warum? Weil wir in den westlichen Medien endlose Portraits und Interviews mit den sogenannten Rebellen vorgesetzt bekommen, der von Istanbul gestützten Rebellen-„Regierung“. Es liegt ein großer Schatten auf den staatlichen Sicherheitskräften. Wenn der Westen sie erwähnt, spricht er über sie, nicht mit ihnen. Sie werden als Schlächter, Barbaren und Baby-Mörder bezeichnet. Ich war neugierig, wer diese Leute sind, die von unseren Mainstreem-Medien und Regierungen so sehr gehaßt werden. Und ich habe nicht viel geredet, aber sehr gut zugehört, wenn sie erzählt haben. Ich traf junge Männer, Väter von kleinen Kindern, die ihr Land in einem Krieg verteidigen, der von außen nach Syrien getragen wurde. Ich traf schwer verletzte junge Soldaten im Lazarett, die mir gesagt haben: „Im Moment müssen wir gegen die ganze Welt kämpfen!“ Sie sprachen über die sogenannten Rebellen, die aus dem Ausland kamen, um ihren gut bezahlten „Jihad“ gegen Syrien zu kämpfen. 

Als ich im Stadtteil al-Midan in Damaskus war, gab es einige Schießereien zwischen den Rebellen und der Armee. Ich sprach mit einem Offizier über die Zivilisten. Er erzählte mir, dass die Armee hart daran arbeitet, die Zivilisten aus der Kampfzone heraus zu halten. Das ist ein schwieriger Job, besonders in städtischen Gebieten. Während der Rebellenoffensive gegen Damaskus wurde ich Zeuge, dass die sogenannte FSA versucht hat, den Krieg in die Stadt zu drängen und dass die syrische Armee versucht hat, ihn aus der Stadt heraus zu halten. Das klingt vielleicht „einseitig“, aber das ist mein Eindruck: Die Kampfbereiche waren auf eine geringe Anzahl von Bezirken beschränkt. 

Q: Was war das schlimmste (Foto/Video), das Sie in dieser Krise gesehen haben?

A: Das ist schwierig zu sagen, weil ich generell versuche, mich NICHT von Youtube-Videos beeindrucken zu lassen. Ich glaube meinen eigenen Augen mehr als Youtube-Kanälen. Bildern kann man nicht vertrauen, das sogenannte „Hula-Bild“ beispielsweise mit einer Menge Leichen wurde auf vielen westlichen Medien-Webseiten gezeigt. Es stellte sich heraus, dass es aus Bagdad war. Natürlich gibt es beunruhigende Berichte und Bilder aus Syrien. Für mich ist es verstörend, dreijährige Kinder mit einer Pistole und einer Rebellen-Flagge in der Hand zu sehen – missbraucht für die Propaganda der „Guten“.

Q: Wie wird der Konflikt in Syrien enden?

A: Das ist schwer zu sagen. Ich kann nicht im Kaffeesatz lesen. Aber es sieht so aus, dass Syrien einem langen Konflikt ausgesetzt ist. Gerade jetzt, wo so viele verschiedene militante Gruppen in Syrien kämpfen, es so viele verschiedene Interessen gibt (natürlich geht es um Macht) und die Krise so viele Ursachen hat. Es gibt viele Waffen, die illegal nach Syrien gebracht worden sind. Während ich Ihren Fragen antworte, gibt es Militante, die die Grenze nach Syrien überschreiten, um gegen die Syrer und ihre Armee zu kämpfen. Solange die Nachbarn Syriens nichts gegen diese illegalen Aktivitäten unternehmen, sehe ich keine Chance für Frieden.

Hoffentlich wird dieses Land nicht enden wie der Libanon, der sich nicht schnell zu erholen scheint, obwohl mehr als 20 Jahre vergangen sind, seit der Bürgerkrieg beendet wurde.


 

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