Donnerstag, 9. August 2012

"Namen als Kampfansage"

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Der 30-jährige Alawit Aref lebt in Maryamin, einer Ortschaft nahe der Ebene von Hula, auf halbem Weg zwischen Homs und Hama. Vergangenen Freitag, erzählt er, seien dort erneut rebellierende Milizen eingefallen und hätten die Olivenfelder angezündet. Mittlerweile sei ein Bestand von rund 35'000 Bäumen vernichtet worden. Die Männer, sagt er, gehörten zum Umfeld der Faruk-Brigade. Dabei handelt es sich um eine Miliz, die laut der libanesischen Tageszeitung «Al-Akhbar» über 16 Einheiten mit 4000 bis 5000 Angehörigen verfügt. Seit Monaten verängstigen diese das Dreieck um Homs, Talbiseh und Hula, in dem auch Alawiten und Schiiten leben. Ihre Gegnerschaft gegen Alawiten und Schiiten ist an ihrem Namen abzulesen: Al-Faruk ist der Beiname, den Sunniten Umar bin al-Khattab, dem zweiten Kalifen des Islams (592–644), geben. Er bedeutet «der gerechte Führer». Schiiten hätten zweifellos andere Worte für ihn gefunden. Ihrer Auffassung nach hat Ibn Khattab den Propheten verraten und dessen Tochter vergewaltigt.

Gerechte gegen Häretiker

Doch nicht nur dieser Kalif gilt Schiiten wie Alawiten als Bête noire. Sie verachten alle drei Kalifen des frühen Islams, weil sie glauben, diese hätten Ali, den Schwiegersohn Mohammeds und rechtmässigen Nachfolger des Propheten, übergangen. Bei der Kalifenfrage geht es also um nichts Geringeres als um die Basis des Islams. Dass die Schiiten die historische Entwicklung so vehement kritisieren, empört fundamentalistische Sunniten wiederum derart, dass sie sie kurzerhand zu «falschen Muslimen» erklären, die die Religion von innen her verderben. So lautete das Urteil von Mohammed bin al-Wahhab (1703 bis 1792), dem Begründer der wahhabitischen Lehre, die in Saudiarabien Staatsreligion und dem Salafismus sehr ähnlich ist.
Die Faruk-Brigade, die von Saudiarabien mit Waffen und Geld unterstützt wird, hat sich ihren Hass gegen die Schiiten somit förmlich auf die Stirn geschrieben. Gleiches gilt für jene, die sich nach Khalid bin al-Walid (592–642) benannt haben, einem Gefährten und Heerführer Mohammeds. Die 1200 Mitglieder dieser Brigade stehen ideologisch der syrischen Muslimbruderschaft nahe, die im Vergleich zu den extremistischen Wahhabiten zwar moderat ist. Doch der Freundschaft zum Schiitentum ist auch sie unverdächtig. Unter der Ägide der Brigade Khalid bin al-Walid hat sich etwa das Bataillon Adnan al-Arur formiert.
Al-Arur, die Inkarnation eines Hasspredigers, ist regelmässiger Gast des saudischen Satellitenfernsehens. Bereits im Juni 2011 rief er dazu auf, die Alawiten, die sich der syrischen Revolte entgegenstellen, zu zerhacken und an die Hunde zu verfüttern. Dass sich ein Bataillon, das mit der syrischen Muslimbruderschaft koaliert, nach diesem Salafisten benennt, beweist, dass in Syrien ein Nährboden für den von Saudiarabien exportierten Wahhabismus existiert. Allerdings befinden sich laut «Al-Akhbar» unter den Kämpfern der Brigade Khalid bin al-Walid viele Tunesier und Libyer. Überhaupt stamme die Mehrheit der jihadistischen Schiitenhasser aus dem Ausland – aus Kuwait, Libyen, Jemen, Saudiarabien, Pakistan, Jordanien, Libanon, Palästina und aus dem Irak. Viele von ihnen hätten schon im Irak gegen die Amerikaner gekämpft.

Ein zweiter Irak

Die Sorge, dass in Syrien ein zweiter Irak entsteht, wird denn auch immer greifbarer. Hinzu kommt die verstärkte Erinnerung an das Afghanistan der achtziger Jahre. Nach dem Einmarsch der Roten Armee 1979 setzten die USA im Kampf gegen die Sowjets auf arabische Jihadisten. Fast scheint es, als finde dieses Szenario heute seine Neuauflage in Syrien. So ist dort bereits die 2009 überregional gegründete, der Kaida nahestehende Brigade Abdallah Azzam aktiv. Der Theologe Azzam (1941–1989) war nicht nur ein Mentor Usama bin Ladins und einer der Mitbegründer der Hamas, sondern auch einer der ersten Araber, die in den Jihad nach Afghanistan zogen. Die nach ihm benannte Brigade wird des Selbstmordattentats beschuldigt, bei dem im Dezember in Damaskus 40 Personen umkamen. Laut «Al-Akhbar» strebt die Gruppierung vorderhand dasselbe an wie alle anderen, den Sturz des Regimes Asad. Danach aber wolle sie vorgehen wie einst Salah ad-Din al-Ayyubi (1137–1193), der Eroberer Jerusalems. Während dieser die Kreuzritter vernichtet habe, wollten die Krieger der Azzam-Brigade die Alawiten sowie jene, die ihnen beistünden, vertreiben oder ausrotten, seien diese doch alle «Grenzsoldaten Israels».

Ohne politische Vision

Die Liste der Brigaden lässt sich fortsetzen. Allein im Raum Homs sollen es mittlerweile rund 23 sein. Und nicht allein der Alawit Aref fürchtet sie. Sogar die bewaffnete syrische Opposition hat Angst vor ihnen. Bereits diesen März schlossen sich 24 Rebellengruppen in Homs zusammen, um dem monopolistischen Zugriff der Faruk-Brigade die Stirn zu bieten. Sie beklagten sich in einer E-Mail bei Burhan Ghaliun, dem damaligen Vorsitzenden des Syrischen Nationalrates, über die ungerechtfertigte Gewalt, die die Brigade gegen all ihre Widersacher ausübe.
Der Inhalt der E-Mail wurde freilich nur bekannt, weil diese «Al-Akhbar» zugespielt worden war. Offiziell spielt die Freie Syrische Armee die Anzahl der salafistischen Jihadisten sowie das ganze Problem konsequent herunter. Es seien nur einige hundert, die sich zudem in Syrien nicht auskennten und also keine grosse Rolle spielten, erklärt sie – und wirkt dabei ausgesprochen hilflos. Zumal sie selber nach wie vor wenig koordiniert und ohne jede politische Vision auftritt. Die ausländischen Jihadisten scheinen demgegenüber klare Vorstellungen davon zu haben, wie es nach dem Sturz Asads in Syrien weitergehen soll."

Quelle: http://www.nzz.ch/aktuell/international/namen-der-milizen-verraten-ihren-konfessionellen-charakter-1.17451374
 

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