Verfolgt, eingekreist und getötet. Am Vortag 41, heute mehr als 200 Tote. Auf den Bildern des Militärfotografen sieht man einige Leichen. „Mit den Terroristen geht es zu Ende“, erklärt ein Major im Sicherheitszentrum von Aleppo triumphierend. In seinem Büro hängen eine Marienikone und ein Rosenkranz am Bild von Hafez al-Assad, dem verstorbenen Vater und Vorgänger des amtierenden Diktators Bashar al-Assad.
„Terroristen“ ist der offizielle Terminus für die Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ (FSA), die das Regime seit 18 Monaten bekämpfen. „Sehen Sie“, sagt der Offizier und legt eine Handgranate auf den roten Glastisch, „aus Schweizer Produktion.“ Das sei keine Ausnahme, betont der Major aus Aleppo, der weder seinen Namen nennen noch sich fotografieren lassen will. „Wir haben Waffen aus aller Herren Länder konfisziert“, sagt er aufgebracht. „Auch Gewehre, die die Nato benutzt.“
Der Bürgerkrieg ist für den jungen Major Produkt einer internationalen Verschwörung. Zu dieser Legende gehören auch Extremisten aus dem Ausland, wobei er damit nicht ganz unrecht hat: Der Kampf der Rebellen bekommt zunehmend einen religiös-extremistischen Ton, mehr und mehr ausländische Jihadisten reisen ein. Aber den Aufstand in Syrien darauf zu reduzieren ist abwegig.
„Selbst bei den Demonstrationen wisse man nicht so recht, wer sie angestachelt und wer auf wen geschossen hat“, erklärt der maronitische Erzbischof von Aleppo in seiner Residenz. Zwischen den Zeilen bestätigt er damit die offizielle Version: Die Proteste und die Toten seien ein Ergebnis von „Provokateuren“. Erzbischof Mar Gregorios ist ein kluger Mann, der Reformen einfordert und für eine Verhandlungslösung ist. Aber gegen Verschwörungstheorien scheint er dennoch nicht gefeit zu sein.
Rücksicht auf Zivilisten?
Über „Provokateure“ kann ein Deutscher, der seit vielen Jahren in Aleppo lebt, nur müde lächeln. „Ich konnte es genau beobachten: Brutal hat das Regime die protestierenden Studenten zusammengeschlagen und auf sie geschossen.“ Damals gab es mindestens sieben Tote unter den Studenten. Die meisten Menschen in Syrien hätten am Anfang gehofft, es könnte besser werden, meint der Deutsche, der anonym bleiben will: „Aber nun, angesichts des Bürgerkriegs, wären viele froh, die Proteste hätten nie begonnen.“Im Militärhauptquartier von Aleppo zieht der diensthabende General einen türkischen Ausweis aus der Brusttasche seiner Uniform, ausgestellt auf Metin Ekinici, geboren 1974. Nachweislich ein militanter Islamist, sein Bruder gehörte zur al-Qaida. Neben dem General liegen auf einer goldfarbenen Plüschcouch ein Funkgerät, ein iPad und Google-Earth-Bilder von Aleppo, auf denen Stadtviertel mit rotem Filzstift markiert sind. Das Kommandozentrum ist etwas versteckt im Hinterhof einer Privatwohnung untergebracht. „Der Besitzer hat sie uns zur Verfügung gestellt, nachdem wir das Viertel vor drei Tagen von den Terroristen befreit haben.“ Der General wirkt angespannt. Krieg macht müde.
Von Vorwürfen, wie sie auch die UNO erhebt, dass die Armee keine Rücksicht auf Zivilisten nehme, will er nichts hören: „Im Gegenteil, wir achten auf das Leben der Zivilisten, sonst wäre die Operation in Aleppo längst zu Ende.“
„Armee der dummen Esel“
Erneut knallen in unmittelbarer Nähe Schüsse. „Sie feuern mit einer M-16 auf uns“, meint der General scheinbar ungerührt und fügt hinzu: „Das Gewehr stammt aus den USA.“ Die Feinde Syriens sind hier leicht ausgemacht. Auch für die Soldaten, die das Hauptquartier bewachen. Sie scherzen und scheinen guten Mutes zu sein. Man trinkt Tee und raucht eine Zigarette nach der anderen. „Die Terroristen kennen kein Erbarmen. Man kennt das doch, wie sie Köpfe abschneiden“, sagt einer. Er meint die grausamen Videos, die radikal-islamistische FSA-Kämpfer zeigen, die unter „Gott ist groß!“-Rufen Regimeanhänger enthaupten.„Das ist keine freie Armee, sondern eine der dummen Esel!“, ruft ein anderer; alle lachen. „Ich habe meine Familie über ein Jahr nicht gesehen“, meint ein Dritter: „Aber ich mache das gern für unser Land und unsere Freiheit. Wir wollen keine Islamisten in Syrien.“
In Aleppo sind Tag und Nacht Explosionen von Panzergranaten zu hören. Nachts sieht man die Leuchtspurgeschosse der Scharfschützen, die von hohen Gebäuden ins Häusermeer schießen. MG-Feuer ist allgegenwärtig. Wer dachte, der Fall des Regimes sei nur eine Frage der Zeit, der wird eines Besseren belehrt. Militär- und Sicherheitsapparat scheinen bestens zu funktionieren, auch wenn die Rebellen das Gegenteil behaupteten. An hunderten Straßensperren erledigen Soldaten beflissen ihren Dienst. An jeder Busstation, auf allen öffentlichen Plätzen, dazu Sicherheitsleute in Zivil.
Flüchtlinge aus dem von Rebellen besetzten Teil Aleppos berichten von Vertreibungen und Misshandlungen. „Mein Bub hier wurde von der FSA angeschossen!“, ruft ein Vater erzürnt in einer zum Flüchtlingslager umfunktionierten Schule. Der Kleine trägt nach einer Operation einen Gips am Fuß und Metallgestänge im Knochen. „An Checkpoints kontrollieren sie Handys nach verdächtigen Fotos und Nachrichten“, sagt ein junger Mann. „Finden sie etwas, wird man geschlagen oder gar erschossen.“ Erzählungen, die sich ins kollektive Gedächtnis einprägen.
Verwüstung und Totenstille
In Salahedine, dem ersten hart umkämpften Stadtteil von Aleppo, herrscht Totenstille. Verwüstete Straßenzüge, in denen ganze Häuser eingestürzt sind. Nach der „Befreiung“ durch Elitetruppen patrouillieren jetzt „normale“ Soldaten. „Die Armee hat wieder Elektrizität und Wasser angeschlossen“, erklärt ein Familienvater, während seine beiden Kinder lachend auf den Schultern von Soldaten reiten.Inmitten unbeschreiblicher Verwüstung herrscht geisterhafte Totenstille. Völlig zerschossene Glasfassaden, ausgebrannte Wohnungen. „Alles von Terroristen gereinigt“, sagt die Armee. Aber weit gehen kann man in dem zum militärischen Sperrbezirk erklärten Stadtteil nicht. Der Schuss eines Scharfschützen macht klar, warum."
Quelle: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1293405/Syrien_Viele-waeren-froh-Proteste-haetten-nie-begonnen
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