In Phase zwei, von Mai bis August 2011, treten die
ersten bewaffneten Kämpfer auf. Darunter Scharfschützen, die
merkwürdigerweise . Für inländische oder ausländische Geheimdienste, für
Rebellen? Jeder im Land hat seine eigene Theorie. Demonstrieren wird
gefährlicher, die Kundgebungen aber werden größer. Auch das Regime
organisiert Märsche, an denen bis zu eine Million Menschen teilnehmen,
Mitglieder der sunnitischen Mittel- und Oberschicht, Alawiten und
Christen. Auch sie fordern Demokratie, aber mit Assad. Zu größeren
Gefechten kommt es noch selten. Die Rebellen haben nur leichte Waffen
und sind den staatlichen Sicherheitskräften deutlich unterlegen.
In der dritten Phase, von August bis Ende 2011,
präsentieren sich die bewaffneten Rebellen als Schutztruppe friedlicher
Demonstranten. Doch sie spielen diese Rolle nie wirklich. Wo sie mit
Demonstranten auftreten, suchen die bewusst die Konfrontation mit den
Sicherheitskräften. Diese schlagen hart zurück. Rebellen, Zivilisten,
Soldaten und Polizisten sterben. Gleichzeitig greifen extremistische
Rebellen zunehmend alawitische Zivilisten an, die sie pauschal als
Vertreter des Regimes betrachten. Alawiten rächen sich an Sunniten. Die
Kämpfe werden sektiererisch.
In der vierten Phase, von Anfang 2012 bis
heute,verselbständigen sich die bewaffneten Rebellen. Und radikalisieren
sich. Zu viele Freunde und Verwandte sind gefallen. Immer mehr Waffen
fließen ins Land. Ab März auch schwere Waffen aus Katar und
Saudi-Arabien. Die USA, deren Zentralkommando für den Nahen Osten sich
in Katar befindet, geben politische Schützenhilfe. Nichts geschieht ohne
ihre Billigung. Nach außen bleiben sie im Hintergrund; es ist ein Krieg
per Fernbedienung. Es kommt zu schweren Gefechten mit den staatlichen
Sicherheitskräften, die sich ebenfalls radikalisiert haben.Die
demokratischen Demonstranten der ersten Tage werden an den Rand
gedrängt. Aus den friedlichen Protesten eines Teils der Bevölkerung ist
ein erbarmungsloser Bürgerkrieg zwischen Anhängern der Regierung und
Anhängern der bewaffneten Opposition geworden. Die Regierungstruppen
bombardieren gnadenlos Wohngebiete, in denen sich Rebellen verbergen.
Sie töten dabei auch Zivilisten. Die Rebellen exekutieren immer häufiger
'feindliche' Zivilisten. Einige arbeiten eng mit Terrorkommandos von
al-Qaida zusammen. Beide Seiten haben jedes Maß verloren. Es gibt keine
anständigen Kriege. Der Slogan 'Assad tötet sein eigenes Volk' geht an
der Realität dieses gegenseitigen Mordens vorbei. Beide Seiten töten das
'eigene' Volk. Ein Drittel der Getöteten dürften Sicherheitskräfte
sein, ein Drittel Rebellen, ein Drittel Zivilisten. Regierung und
Rebellen töten wahrscheinlich gleich viele Zivilisten. Wie in den
meisten Bürgerkriegen. Die besondere Tragik dieses Bruderkrieges liegt
darin, dass beide Seiten nur Marionetten eines großen, zynischen
Machtspiels sind. Die Hauptaufgabe der Muslime des Nahen Ostens scheint
darin zu bestehen, sich gegenseitig umzubringen. Wie einst unter
Lawrence von Arabien. Divide et impera, teile und herrsche!
Dieses Machtspiel wird auf vier Ebenen ausgetragen.
Auf der ersten Ebene versuchen die USA, Katar und Saudi-Arabien, den
Iran-Verbündeten Assad zu stürzen, um dadurch den Einfluss Teherans im
Nahen Osten zu schwächen. Iran ist ihnen durch Bushs törichten Irakkrieg
zu mächtig geworden. Auf der zweiten Ebene kämpfen extremistische
Sunniten und Al-Qaida-Kämpfer aus aller Welt gegen das
'ketzerische'Schiiten- und Alawitentum. Auf der dritten versuchen die
USA in Fortsetzung des Ost-West-Konflikts, Russland aus dem Nahen Osten
zuverdrängen. Moskau wehrt sich. Auf der vierten schließlich ringen
Regierung und Opposition unter großen Blutopfern um die Macht in Syrien.
Die Kämpfer ahnen nicht, dass sie am Ende erneut die Vormacht anderer
anerkennen sollen. Und wieder verraten werden.
Die US-Regierung versucht, diese diabolischen,
ineinander verknoteten Stellvertreterkriege durch Desinformation im Stil
des Irakkriegs zu vertuschen. Sie erzählt das Märchen vom
demokratischen Aufstand eines Volkes, den Amerika unterstützen müsse.
Doch um Demokratie geht es den USA nirgendwo in der arabischen Welt. Die
USA beabsichtigen nicht, ihre Ölversorgung vom Ergebnis demokratischer
Wahlen im Nahen Osten abhängig zu machen. Diese Chaosstrategie ist wie
beim Afghanistan- und Irakkrieg in keinem Punkt zu Ende gedacht. Sie
wird für den gesamten Nahen Osten verheerende Folgen haben. Und wie ein
Bumerang auf uns zurückschlagen.
Nur die USA als Hegemonialmacht des Nahen Ostens
könnten den syrischen Knoten lösen. Durch direkte Verhandlungen mit
allen Beteiligten. Dass Assad Blut an den Händen hat, kann sie nicht
wirklich stören. Auch Obama hat Blut an den Händen. Das Blut Tausender
Afghanen und Pakistaner. Und vieler Syrer. Statt die Syrientragödie
anzuheizen, sollte Barack Obama vermitteln. Es wäre die erste wirkliche
Friedenstat des Friedensnobelpreisträgers."
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