"Die türkische Regierung hat eingeräumt, daß die von Online-Aktivisten
veröffentlichten Geheimdokumente über den Anschlag vom 11. Mai in
Reyhanli echt sind. Innenminister Muammer Güler erklärte jedoch, die
Gruppe »Red Hack« habe die Papiere nicht durch einen elektronischen
Angriff auf das Netzwerk der paramilitärischen Jandarma erlangt.
Vielmehr seien sie ihr durch einen Militär zugespielt worden, der
inzwischen verhaftet worden sei. Die Papiere, die »Red Hack« am Mittwoch
ins Internet gestellt hatte, widersprechen der bisherigen offiziellen
Version Ankaras über den Autobombenanschlag, bei dem offiziellen Angaben
zufolge 51 Menschen getötet worden waren. Aus den Dokumenten geht
hervor, daß der militärische Geheimdienst die späteren Attentäter
beobachtet hatte, den Anschlag jedoch nicht verhinderte. Unmittelbar
danach hatte Ankara den syrischen Geheimdienst für das Verbrechen
verantwortlich gemacht. In den Papieren der Jandarma wird hingegen die
islamistische Al-Nusra-Front als Urheber bezichtigt. Diese Gruppierung,
die von den USA als terroristisch eingeschätzt wird, gehört zur
syrischen Aufstandsbewegung gegen die Regierung von Staatschef Baschar
Al-Assad.
Trotz der neuen Tatsachen beharrt die türkische Regierung darauf, das
Regime in Damaskus für den Anschlag verantwortlich zu machen.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan brachte am Freitag sogar die
kemalistische Oppositionspartei CHP mit dem Attentat in Verbindung. Bei
einer Rede vor Mitgliedern seiner AK-Partei sagte der Regierungschef,
hinter dem Attentat stünden die selben, die im Jahr 2011 führenden
CHP-Vertretern zu einem Treffen mit Assad verholfen hätten. »Sie stecken
in der Sache drin«, zitierte ihn die englischsprachige türkische
Tageszeitung Today’s Zaman.
Demgegenüber erklärt »Red Hack« auf ihrer Internetseite, der
festgenommene Offizier sei unschuldig. Zudem sei es kein Verbrechen, vor
der Öffentlichkeit geheimgehaltene Informationen über den Tod von
Zivilisten zu veröffentlichen. Vielmehr habe der »faschistische
türkische Staat« Verbrechen begangen, als er die Durchführung des
Anschlags zugelassen habe. »Ministerpräsident Erdogan sagt, die
Bombenanschläge von Reyhanli würden vom Geheimdienst untersucht, und die
Medien sollten warten, bis die Ergebnisse veröffentlicht werden. Wenn
das so ist, warum hat er dann gleich am ersten Tag das syrische Regime
dafür verantwortlich gemacht?« Die von »Red Hack« geäußerte Vermutung
ist, daß Erdogan das Attentat für seinen Besuch bei US-Präsident Barack
Obama wenige Tage später gelegen kam, um Washington für einen offenen
Krieg gegen Syrien zu gewinnen.
Am Freitag zeichnete sich ab, daß die Zersplitterung der syrischen
Regierungsgegner zum wichtigen Hindernis für eine Verhandlungslösung
werden könnte. Damaskus sei prinzipiell zur Teilnahme an einer
Friedenskonferenz bereit, erklärte der Sprecher des russischen
Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, am Freitag in Moskau. Es
müsse aber geklärt werden, »wer mit welcher Berechtigung für die
Opposition« spreche. Diese versuchte, sich in Istanbul bei einem
zweitägigen Treffen auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Ein
Vertreter der »Nationalen Koalition«, Chaled Chodscha, forderte
gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, die westlichen und arabischen
Staaten müßten »vermehrte militärische Unterstützung« für die »Freie
Syrische Armee« leisten. Die bisherigen EU-Sanktionen gegen Damaskus
laufen in der kommenden Woche aus. London und Paris fordern, einzelnen
Staaten Waffenlieferungen an die Aufständischen zu gestatten."
Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/05-25/038.php
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