"Die jüngsten militärischen Erfolge der syrischen Armee, über die auch
die westliche Berichterstattung nicht hinweggehen konnte, markieren eine
drastische Kehrtwende in der öffentlichen Wahrnehmung des Konfliktes.
Noch
vergangene Woche wurde in den etablierten Medien beinahe einhellig von
einem bevorstehenden Ende des Assad-Regimes fabuliert und von
Auflösungserscheinungen der Armee gesprochen. „Jetzt steht die deutsche
Presse im wahrsten Sinne des Wortes vor den Trümmern ihrer
Berichterstattung. Die Rebellen hochgejubelt, Assad maßlos unterschätzt,
alle mahnenden Stimmen in Zweifel gezogen, teilweise sogar lächerlich
gemacht – und nun stellt sich heraus, dass die Kritiker des
Medien-Mainstreams richtig lagen“, schreibt die junge Welt, die
als einzige Tageszeitung Deutschlands konsequent kritisch über die
Ereignisse in Syrien berichtet, über die nun als propagandistische
Stimmungsmache entlarvte Berichterstattung ihrer Mainstream-Kollegen.
(1)
Auch das deutsche Außenministerium teilte die Einschätzung
des baldigen Sieges der Opposition und plante bereits für den „Tag
danach“ (2) – und steht nun ebenso düppiert da wie der
Bundesnachrichtendienst, der mit seinen Berichten diese Fehleinschätzung
maßgeblich mit zu verantworten hat.
Noch Ende 2012 hatte
BND-Chef Gerhard Schindler die Assad-Regierung in ihrer „Endphase“
gesehen. Nun plötzlich sei die syrische Armee so stark wie lange nicht,
so der Auslandsgeheimdienst in einer aktuellen Stellungnahme.
„Die
Kursänderung kommt so überraschend, dass man sich fragt: Will uns da
jemand für dumm verkaufen? Eine militärische Lage ändert sich doch nicht
komplett über Nacht. Und aus einer Armee, die gestern angeblich noch
kurz davor war, in alle Himmelsrichtungen davonzulaufen, wird nicht von
heute auf morgen ein regimetreues Bollwerk.“ (3)
Hintergrund berichtete
bereits vor zwei Monaten, dass die „Rebellen“ nicht in der Lage seien,
einen Sieg zu erringen, stattdessen erhebliche Verluste zu verzeichnen
hätten und dass das auch vom BND beschworene bevorstehende Ende Assads
Propaganda sei – eine Einschätzung, der sich nun auch die Leitmedien
aufgrund der nicht zu verbergenden militärischen Erfolge der syrischen
Armee gezwungenermaßen anschließen müssen. (4)
Die schamlosen Freunde der Heuchelei
Auch
die sich als „Freunde Syriens“ bezeichnende Staatenkoalition, die den
in Syrien agierenden Terroristen die Mittel für einen mit Gewalt
erzwungenen Regime-Wechsel bereitstellt, vollzieht zumindest rhetorisch
eine Kehrtwende. Hat sie bis vor kurzem noch jede Verhandlung mit
Vertretern der syrischen Regierung abgelehnt, übt sie nun Druck auf
ebenjene aus, an den für kommenden Monat von Russland und den USA
angesetzten Verhandlungen teilzunehmen. US-Außenminister John Kerry
drohte im Fall eines Fernbleibens vom Verhandlungstisch mit einer
Eskalation der Gewalt durch eine verstärkte Unterstützung der
„Rebellen“.
Ziel der Gespräche soll die Schaffung einer
Übergangsregierung sein. Im Grunde handelt es sich um eine Neuauflage
des Ende Juni 2012 in Genf unter Beteiligung des Westens, Russlands und
Chinas ausgehandelten Kofi Annan-Plans, der die Bildung einer syrischen
Übergangsregierung aus Vertretern der derzeitigen Regierung und der
Opposition vorsah, sowie Eckpunkte eines Überganges festlegte. Damals
aufkeimende Hoffnungen nach einer friedlichen Lösung wurden aber nur
Tage später von den „Freunden Syriens“ enttäuscht, indem sie den
Rücktritt Baschar al-Assads zur Vorbedingung für Verhandlungen machten.
Bei
einem Treffen in der jordanischen Hauptstadt Amman verabschiedete die
Kerngruppe der „Freunde Syriens“, der unter anderen die USA,
Deutschland, Saudi-Arabien und die Türkei angehören, in der Nacht zum
heutigen Donnerstag eine Erklärung, in der ausdrücklich der Eingriff der
libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah und iranischer Kämpfer in den
Konflikt verurteilt wird. Dabei handele es sich um eine „schamlose
Intervention in syrisches Gebiet und eine ernsthafte Bedrohung der
regionalen Stabilität“.
Gleichzeitig sprach sich auch
Deutschlands Außenminister Westerwelle nach längerem Zögern dafür aus,
mindestens den militärischen Arm der Hisbollah von der EU als
Terrororganisation einstufen zu lassen.
Ausgerechnet die
Vertreter jener Nationen, die mittels ihrer Geheimdienste tausende
ausländische Kämpfer – vornehmlich aus dem dschihadistischen Spektrum –
nach Syrien brachten, sprechen von Schamlosigkeit. Diese Heuchelei geht
einher mit einer Überhöhung der Rolle, die die Hisbollah in dem Konflikt
tatsächlich spielt. Die „Intervention“ der Hisbollah beschränkt sich
auf die an der Grenze zum Libanon gelegenen Dorfschaften rund um die
Stadt Al-Kusair, die vor Tagen zum Großteil von der syrischen Armee
zurückerobert wurde. Die Dörfer befinden sich zwar auf syrischem
Staatsgebiet, deren Einwohner sind aber vornehmlich libanesische
Schiiten und Christen. Die französische Staatsmacht hatte dort in den
1930er Jahren willkürlich eine Grenze gezogen und so die libanesische
Bevölkerung auf syrisches Territorium verbannt. Die Hisbollah hat nie
einen Hehl daraus gemacht, in dieser Region die Bevölkerung vor
Angriffen der „Rebellen“ zu schützen. „Die Dörfer gehören
verwaltungstechnisch zur libanesischen nördlichen Bekaa-Ebene, die von
der Hisbollah regiert wird. Viele Bewohner sind Anhänger oder Mitglieder
der Hisbollah, was deren militärisches Engagement in Al-Kusair
erklärt“, so die aus Damaskus berichtende deutsche Journalistin Karin
Leukefeld über die Hintergründe. (5)
Es gibt keinerlei Anzeichen
dafür, dass die Hisbollah außerhalb dieses Gebietes an Kämpfen auf
Seiten der syrischen Armee teilnimmt, auch wenn die Propagandaorgane der
„Rebellen“ das seit zwei Jahren behaupten.
Die westliche
Interventionsgemeinschaft bauscht die Rolle der Hisbollah auch deshalb
auf, um die eigene Unterstützung ausländischer Kämpfer in Syrien zu
kaschieren beziehungsweise zu rechtfertigen.
EU-Mitglieder wollen „Rebellen“ aufrüsten
Das
am Monatsende auslaufende Waffenembargo der EU wird voraussichtlich
nicht verlängert werden. Denn dazu wäre ein einstimmiger Beschluss
nötig. Frankreich und Großbritannien kündigten bereits an, wenn nötig
auch auf eigene Faust Waffen an die „Rebellen“ zu liefern. Europa müsse
den Druck auf den Machthaber Assad erhöhen, forderte der britische
Premierminister David Cameron. Frankreichs Präsident Hollande
unterstützte ihn: „Wir können es nicht hinnehmen., dass es auf der einen
Seite ein Regime gibt, das von Russland Waffen bekommt und auf der
anderen Seite eine Opposition, die davon ausgeschlossen wird.“
Hollande
vergaß zu erwähnen, dass Russland ausschließlich Defensiv-Waffen
liefert, deren Kaufverträge bereits vor Ausbruch der Krise abgeschlossen
wurden. Zudem ist die „Opposition“ nicht außen vor, was
Waffenlieferungen angeht. Alleine aus kroatischen Beständen empfing sie
in den vergangenen Monaten über dreitausend Tonnen an Kriegsmaterial.
(6)
Innerhalb der EU sorgt die aggressive Haltung Frankreichs und
Großbritanniens für Streit. Vor allem Österreich positioniert sich
deutlich gegen eine Aufhebung des Embargos. „Wir sind ganz entschieden
gegen eine Lockerung“ erklärte Bundeskanzler Werner Faymann. Österreich
könne dann seine 370 UN-Blauhelmsoldaten vermutlich nicht mehr auf den
Golan-Höhen stationiert lassen, wo sie den Waffenstillstand zwischen
Israel und Syrien kontrollieren. Österreichs Außenminister Michael
Spindelegger wies bereits vor Monaten, als noch die Rede von einem
bevorstehenden Ende Assads die Gazetten beherrschte, darauf hin, dass
der syrische Präsident offenbar noch immer von einer Mehrheit der
Bevölkerung unterstützt werde. (7)
Auch Russland warnte vor der
„sehr riskanten“ Aufhebung des Embargos. „Die syrische Opposition ist
ein kunterbunter Haufen verschiedener Organisationen“, sagte der
russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow der Agentur Interfax.
Dabei hätten die moderaten Gruppen deutlich weniger Einfluss als die
radikalen. Es sei daher unmöglich sicherzustellen, dass Waffen nicht in
den Händen von Islamisten landeten.
Dschihad für Demokratie und Menschenrechte?
Die
Bezeichnung „moderat“ ist in diesem Zusammenhang ohnehin äußerst
relativ zu betrachten. Kaum einer der Kämpfer der als moderat
bezeichneten Gruppen würde hierzulande nicht vom Verfassungsschutz
beobachtet werden. Selbst die vom Westen hofierte und als Gegenpart zu
den islamistischen Kämpfern präsentierte „Freie Syrische Armee“ hat
jüngst eine nach Osama Bin Laden benannte Brigade ins Leben gerufen. (8)
Das
Argument, der Westen könne mit Waffenlieferungen gezielt die moderaten
Kräfte unterstützen, entlarvt sich nicht nur aufgrund des Mangels an
diesen als Beschwichtigungspropaganda. Denn die Frage des „Könnens“
bleibt zweitrangig, solange ein wirkliches „Wollen“ nicht erkennbar ist.
Solange auf einen militärischen Regime-Wechsel gesetzt wird, solange
muss der Westen auf die kampfstärksten und am besten organisierten
Kräfte vor Ort setzen, um überhaupt Aussicht auf Erfolg zu haben. Und in
diesem Stellvertreterkrieg sind das die Gruppen aus dem salafistischen
und dschihadistischen Spektrum. Es ist daher kein Versehen, wenn in der
Vergangenheit die vom CIA koordinierten Waffenlieferungen in den Händen
von Gruppen wie Ahrar al-Sham landeten. (9) Diese ist neben der sich zu
Al-Qaida bekennenden Al-Nusra-Front die kampfstärkste Truppe aus dem
islamistischen Spektrum. Im UN-Sicherheitsrat verhinderten Frankreich
und Großbritannien, die Al-Nusra-Front auf die „schwarze Liste“ der
Organisationen mit Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Qaida zu setzen.
Hanna
Ghoneim, christlicher Pater aus Damaskus, zeichnet ein düsteres Bild
der Lage, das sich kaum mit der Berichterstattung der Mainstreammedien
vereinbaren lässt:
„Alles deutet darauf hin, dass islamische
Extremisten (…) die Macht für sich alleine beanspruchen und so das
syrische Volk der Scharia unterwerfen wollen. Was wir Syrer nicht
nachvollziehen können und uns schockiert, ist, dass dieses verwerfliche
Vorhaben von westlichen Weltmächten – unter dem Vorwand der
Menschenrechte und Demokratisierung! – sogar unterstützt wird. Erst
jetzt sickert allmählich in der hiesigen Medienberichterstattung durch,
dass westliche Staaten die Rebellen mit Waffen unterstützen. Mit diesen
Waffen wird nicht wirklich die offizielle Armee bekämpft, die noch über
ein großes Waffenarsenal verfügt. In erster Linie werden schutzlose und
unbewaffnete Zivilisten getötet. Viele junge und ältere Menschen haben
sich inzwischen dem Militär angeschlossen, um Waffen zu erhalten und
ihre Häuser vor den Rebellen zu verteidigen. (…)
Menschen werden
von Rebellen getötet, entführt und gefoltert, von ihren Wohnungen
vertrieben, ihre Häuser werden ausgeraubt, sie werden erpresst, Frauen
vergewaltigt und Kinder missbraucht. Vielerorts werden Bombenanschläge
verübt, Massaker finden statt, Häuser werden nach Bombenanschlägen
geplündert und verwüstet. Ausländische Rebellen dringen im Namen des
Islam in die Häuser der Zivilisten ein mit der Begründung: Sie möchten
das Land von der Diktaturmacht befreien. Die Bewohner bekommen Angst und
fliehen Hals über Kopf in einen sicheren Ort. Wer gegen die sogenannte
„Freie Armee“ der Rebellen ist, wird kurzerhand von ihnen hingerichtet,
enthauptet oder erschossen. Solche Gräueltaten, die tagtäglich
vorkommen, werden dann per Video von den Rebellen selber aufgenommen und
im Internet triumphierend präsentiert.“
Was die gegenwärtige
Verfolgung von Christen betrifft, komme diese eher aus dem Westen. „Die
Solidarität zwischen einheimischen Muslime und Christen in Syrien hat
sich durch den Krieg eher verstärkt! Ich übertreibe nicht, wenn ich
sage, dass Muslime in Syrien die Christen mehr schützen als die Christen
im Westen ihre syrischen Brüder und Schwestern“, so Pater Ghoneim. (10)
Der
Westen unterstützt in Syrien keine Demokratiebewegung, sondern
bewaffnete Banden religiöser Fanatiker, die einen Krieg gegen
Andersgläubige führen. Selbst das EU-finanzierte und der Opposition
zugehörige „Syrische Observatorium für Menschenrechte“ in London musste
diesen Aspekt insgeheim eingestehen. Laut einer jüngsten
Veröffentlichung des Observatoriums, das grundsätzlich getötete Kämpfer
der Opposition in der Kategorie ziviler Opfer verbucht, befinden sich
unter den auf insgesamt 94.000 bezifferten Toten 41.000 Angehörige der
alawitischen Religionsgemeinschaft, dir nur rund zehn Prozent der
Bevölkerung stellt und sich mehrheitlich loyal gegenüber der Regierung
verhält. (11)
In der Vergangenheit hatten radikale Prediger aus
den Reihen der „Rebellen“ wiederholt dazu aufgerufen, Angehörige dieser
Minderheit zu ermorden und selbst das Vergewaltigen von alawitischen
Frauen und Kindern für rechtmäßig erklärt.
Der Fanatismus der
bewaffneten Oppositionskämpfer und die von ihnen verübten Gewaltexzesse
und Massaker haben ihrem Rückhalt in der Bevölkerung schweren Schaden
zugefügt.
Die westliche Wertegemeinschaft droht den von ihr
geführten Stellvertreterkrieg zu verlieren. Das erhöht die Gefahr einer
direkten militärischen Intervention.
Generaloberst i. R. Leonid
Iwaschow, Präsident der Moskauer Akademie für geopolitische Probleme,
wies vor einer Woche auf das Dilemma der „Freunde Syriens“ hin: „Sie
haben vor zwei Jahren diese Operation begonnen, bestimmte Mittel
eingeplant und Stabsstrukturen geschaffen und stehen heute vor einer
Niederlage. Sie sind das nicht gewohnt und schüren deshalb eine Psychose
um Syrien, um einen Anlass (für eine Intervention, Anm. d. Red.) zu
finden – selbst den geringsten“, sagte der General. (12)
Und zur
Not werden Anlässe fingiert. Dazu zählt wohl auch das Bombenattentat auf
Zivilisten in der an der Grenze zu Syrien gelegenen türkischen Stadt
Reyhanli vor zwei Wochen, bei dem über fünfzig Menschen getötet wurden.
Die türkische Regierung machte sofort den syrischen Geheimdienst
verantwortlich. Statt Beweise für diese Behauptung zu präsentieren,
verhängte sie eine Nachrichtensperre.
Geheimdokumente, die von
der türkischen Hackergruppe Redhack der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht wurden, werfen ein anderes Licht auf die Ereignisse in Reyhanli.
Laut diesen habe die Al-Nusra-Front die bei dem Anschlag verwendeten
Fahrzeuge zu Autobomben umfunktioniert – mit dem Wissen des türkischen
Geheimdiensts. (13)
Anmerkungen
(1) http://www.jungewelt.de/2013/05-23/031.php
(2)
Siehe:
http://www.hintergrund.de/201208292221/politik/welt/the-day-after-ein-konspirativer-zirkel-referiert-in-berlin-die-zukunft-syriens.html
(3) http://www.jungewelt.de/2013/05-23/031.php
(4) http://www.hintergrund.de/201303282508/politik/welt/syrien-westen-forciert-eskalation.html
(5) http://www.jungewelt.de/2013/05-21/050.php
(6) Siehe: http://www.hintergrund.de/201303282508/politik/welt/syrien-westen-forciert-eskalation.html
(7)
http://www.wirtschaft.com/20130324-oesterreichs-aussenminister-eu-hat-bislang-zu-wenig-in-syrien-getanhttp://www.military.com/video/operations-and-strategy/battles/fsa-osama-bin-laden-brigade/2399706179001/
-97267
(8)
(9) Siehe: http://www.hintergrund.de/201303282508/politik/welt/syrien-westen-forciert-eskalation.html
(10) http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=858&Itemid=1
(11)
http://www.washingtonpost.com/world/middle_east/video-purporting-to-show-syrian-rebel-biting-heart-highlights-challenges-for-west-on-aid/2013/05/14/d06585de-bca6-11e2-89c9-3be8095fe767_story.html
(12) http://de.rian.ru/security_and_military/20130517/266134593.html
(13) http://redhack.tumblr.com/"
Quelle: http://www.hintergrund.de/201305232586/politik/welt/syrien-rueckschlag-im-stellvertreterkrieg-brueskiert-den-westen.html
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