"Die EU-Staaten verhandeln über das Embargo
gegen Syrien. Sollte man angesichts des Wiedererstarkens Assads die
Rebellen mit Waffen versorgen? ARD-Korrespondent Carsten Kühntopp warnt
im Interview mit tagesschau.de vor einem "irrsinnigen Wettrüsten".
tagesschau.de: Die Außenminister der Europäischen Union beraten über eine mögliche Verlängerung des Waffenembargos gegen Syrien. Welche Rolle spielt der Einfuhrstopp für Assad und seine Gegner?
Carsten Kühntopp: Ich habe nicht
den Eindruck, dass das Embargo Assad und seinem Regime militärisch
bisher geschadet hat. Für Assad ist viel entscheidender, dass ihm seine
Verbündeten Iran und Russland die Treue halten. Ganz anders die
Opposition: Sie wünscht sich, dass die EU sich endlich durchringt, ihr
Waffen jeder Art zu liefern.
tagesschau.de: Wie könnte ein Aufheben des Embargos die militärische Lage in Syrien beeinflussen?
Kühntopp: Egal, wie viele Tonnen
Waffen aus der EU geliefert würden: Assad ist auf absehbare Zeit nicht
zu besiegen. Überlegungen wie die aus Großbritannien, das Ende des
Bürgerkriegs mit Waffennachschub zu beschleunigen, sind zu kurz gedacht.
Assads Verbündete Iran und Russland legen dann ihrerseits mit
Lieferungen nach. Es würde ein irrsinniges Wettrüsten beginnen. Die
Einsicht mag herzzereißend sein, weil man ja gern helfen möchte, aber
man sollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.
tagesschau.de: Wie könnten Waffenlieferungen aus der EU an die Assad-Gegner theoretisch ablaufen?
Kühntopp: Die Lieferungen würden
wohl an die Freie Syrische Armee gehen, aber die hat keine echte
Kommandostruktur. Es wäre schwer zu kontrollieren, ob nicht auch die
Widerständler von der mit Al Kaida verbündeten Al-Nusra-Front Waffen
bekämen. Man muss sich das mal vorstellen: Nach einem Sturz Assads
könnten von der EU gelieferte Luftabwehrsysteme in die Hände von
Al-Kaida-Kämpfern gelangen. Und die könnten damit den zivilen Luftraum
über Syrien angreifen.
tagesschau.de: Noch Mitte März
hieß es vom Bundesnachrichtendienst, eine Niederlage Assads im syrischen
Bürgerkrieg sei sicher. Zuletzt war das Gegenteil zu lesen: Die
militärische Situation des Assad-Regimes soll sich in den vergangenen
Wochen massiv verbessert haben. Wie kam es zu der Wende?
Kühntopp: Die syrische Armee
verfolgt seit einigen Wochen eine neue Strategie und ist damit
erfolgreich: Man konzentriert sich jetzt auf strategisch wichtige
Knotenpunkte und verzettelt sich nicht mehr damit, die Rebellen überall
in der Fläche schlagen zu wollen. Der Westen des Landes soll gehalten
und Knotenpunkte dort von den Rebellen zurückerobert werden. Der Osten
wird dagegen weitgehend den Aufständischen überlassen, weil er
strategisch weniger bedeutend ist.
Der Armee ist es gelungen, Nachschubwege der
Rebellen zu kappen und Einheiten der Gegner voneinander abzuschneiden
und zu isolieren. Die syrische Armee wird auch nicht mehr weiter von
innen ausgehöhlt durch Überläufer. All das führt dazu, dass sich das
Blatt in der ersten Hälfte dieses Jahres gewendet hat und Assad
militärisch wesentlich besser dasteht. Deshalb hat auch der BND seine
Lageeinschätzung revidiert.
tagesschau.de: Welche Regionen werden von Assad kontrolliert, welche von der Opposition?
Kühntopp: In und um Damaskus hat
Assads Armee viele Viertel zurückerobert. Von insgesamt 14
Provinzhauptstsädten hat die Regierung nur eine einzige an die Rebellen
verloren. Jetzt sind Assads Truppen dabei, die strategisch wichtige
Stadt Al Kussair einzunehmen, die den Rebellen als Nachschubweg für
Nahrung und Waffen diente. Mit der Rückeroberung Kussairs hätte Assad
wieder die Möglichkeiten einer Offensive in der Rebellenstadt Homs.
Manche in der Opposition sagen, dass das den Bürgerkrieg entscheiden
würde.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt die Hisbollah bei den militärischen Erfolgen Assads?
Kühntopp: Früher hatten die
Rebellen Vorteile, weil sie besser im Straßenkampf waren. Das hat sich
durch die Beteiligung der Hisbollah geändert: Guerillakampf ist eine
Spezialität der Hisbollah. Und sie hat jetzt syrische Armeeeinheiten
darin ausgebildet. Außerdem kämpfen mittlerweile wahrscheinlich mehrere
Tausend Milizionäre der Hisbollah an der Seite der Assad-Truppen.
Darunter sind Eliteeinheiten, die lokal sogar die militärische Führung
übernehmen.
tagesschau.de: Warum signalisiert die Assad-Regierung plötzlich ihre Bereitschaft zur Teilnahme an den Verhandlungen in Genf?
Kühntopp: Assad fühlt sich stark
genug, die Ergebnisse der möglichen Verhandlungen in Genf diktieren zu
können. Er scheint auch der Meinung zu sein, dass die USA ihren
Standpunkt ein wenig geändert haben: Bisher wollte Washington Assad
weghaben, jetzt deuten Äußerungen von US-Außenminister Kerry darauf hin,
dass man einen Rücktritt Assads nicht mehr zur Bedingung für
Verhandlungen macht. Die Opposition konnte sich im Gegensatz zu Assad
bisher nicht zu einer Zusage für Genf durchringen – deshalb glaubt
Assad, in der der öffentlichen Meinung im Westen bald besser dazustehen
als die zersplitterte Opposition.
tagesschau.de: Welches realistische Ergebnis könnten die Verhandlungen in Genf liefern?
Kühntopp: Im besten Fall als
Anfang eines langen Prozesses. Assad wird eine Delegation schicken, die
das Ziel hat, dass er bei den nächsten regulären Wahlen in einem Jahr
wieder antreten kann. Ich glaube nicht, dass es die Opposition schaffen
kann, Assad in Genf wegzuverhandeln."
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