Dienstag, 14. Mai 2013

"Erdogan erfindet neuen Kriegsvorwand"

"Die Behauptung des türkische Premiers Erdogan, die syrischen Regierungstruppen hätten Giftgas eingesetzt, hat nicht die gewünschten Reaktionen ausgelöst. Nun versucht Ankara mit der Unterstellung, daß Syrien den blutigen Anschlag von Reyhanli zu verantworten habe, doch noch eine westliche Militärintervention zu provozieren. Das Bombenattentat im türkisch-syrischen Grenzgebiet sei von einer türkischen Gruppe mit Verbindungen zum syrischen Geheimdienst verübt worden, behauptete Erdogans Vize Besir Atalay. Vorsorglich meinte er auch zu wissen, daß »dieses grausame Verbrechen« nicht mit der syrischen Opposition in Verbindung gebracht werden könne.

Nachdem die Schuldzuweisung an Damaskus in die Welt hinausposaunt war, verhängte ein türkisches Gericht unter der Begründung, Staatsgeheimnisse zu schützen, eine Nachrichtensperre über die Umstände des Anschlages. Die Absicht der Türkei, einen NATO-Krieg gegen Syrien anzuzetteln, ist freilich längst kein Staatsgeheimnis mehr.

Die Bevölkerung im türkisch-syrischen Grenzgebiet, wo der Anschlag stattfand, ist über den aggressiven Kurs, den die Regierung Erdogan gegenüber Damaskus eingeschlagen hat, alles andere als erfreut. Nicht nur, weil sie unmittelbar mit dem syrischen Flüchtlingselend konfrontiert ist, sondern auch, weil sie zu Recht einen regionalen Flächenbrand befürchtet. Das den syrischen Behörden unterstellte Attentat sollte wohl einen Stimmungsumschwung herbeiführen. Die Regierung in Ankara ist nämlich wild entschlossen, ihr ehrgeiziges außenpolitisches Programm, das auf eine regionale Führungsrolle an der Seite der westlichen Hegemonialmächte zielt, durchzuziehen. Hatte es zu Beginn des »arabischen Frühlings« noch den Anschein, die Türkei könnte im Bündnis mit Kairo und Teheran einen Gegenblock zur westlichen Vorherrschaft bilden, so bezog sie im Syrien-Konflikt eindeutig Position zugunsten der westlichen Ordnungspolitik.

Es sieht gegenwärtig nicht so aus, als wollten die USA dem türkischen Drängen auf eine Militär­intervention nachgeben. Zwar hält die Obama-Regierung an ihrem Ziel, einen Regimewechsel in Damaskus zu erzwingen, eisern fest. Doch sollen dafür nunmehr auch diplomatische Mittel eingesetzt werden. Gelänge es Washington, syrische Regierungsvertreter unter Ausschluß von Präsident Assad mit Abgesandten der Opposition an einen Tisch zu bringen, wäre es seinem Ziel einen großen Schritt näher. Denn wer sich auf seiten der Regierung auf solche Verhandlungen einließe, wäre noch zu ganz anderen Dingen bereit. Zur Fortsetzung der eigenen Karriere unter Aufsicht von USA und EU zum Beispiel und damit auch zur Preisgabe der Identität des Landes als Widerstandsfaktor gegen die Hegemonie der Westmächte und Israels. Moskau, das sich nie auf die Person Assad festgelegt hat, könnte einem solchen Deal, der auch zur Isolierung der radikalen Islamisten führen würde, durchaus zustimmen."

Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/05-13/025.php

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