„Wir bringen Auszüge aus der Ansprache des christlichen
Paters Hanna Ghoneim aus Damaskus, die dieser am 15. März 2013 im Wiener
Stephansdom gehalten hat. Wer diese gelesen hat, ahnt, warum in unseren Medien
darüber der Mantel des Schweigens gebreitet wurde.
Christen in Syrien wurden bislang nicht wegen ihres
Glaubens verfolgt: weder vom Staat noch von ihren islamischen Mitbürgern. Im
Gegenteil! Diese bemühten sich stets, sie als wertvolle Kulturträger zu
behalten. Die Christen in Syrien leben nicht als Minderheit sondern sind seit
den frühesten tagen des Christentums, seit den Tagen der Bekehrung des Apostels
Paulus in Damaskus, ein unabdingbarer Teil der Gesellschaft und zutiefst in ihr
verwurzelt.
Syrien lebt heute in großer Angst vor heimtückischen,
zerstörerischen Plänen, die im Westen – besonders in den USA, Großbritannien
und Frankreich – geschmiedet werden und durch die Türkei, Nordlibanon,
Jordanien sowie Irak durchgeführt und von Saudi Arabien und Katar finanziert
werden. Das Ziel ist nicht, Syrien zur Schaffung einer Demokratie zu verhelfen
und das Volk von einem Diktator zu befreien, wie die allermeisten Weltmedien
oberflächlich bericht. Nein! Der Plan ist, das Land in ein Chaos zu stürzen.
Das langfristige Ziel ist es, Syrien in islamische Emirate wahabitischer
Prägung aufzuteilen.
Über westliche Großmächte schockiert
Syrien erlebt seit zwei Jahren eine vom Menschen
ausgelöste Katastrophe. Alles deutet darauf hin, dass islamische Extremisten,
die sogenannten Salafisten aus der ganzen Welt, die Macht für sich alleine
beanspruchen und so das syrische Volk der Scharia unterwerfen wollen. Was wir
Syrer nicht nachvollziehen können und uns schockiert, ist, dass dieses
verwerfliche Vorhaben von westlichen Weltmächten – unter dem Vorwand der
Menschenrechte und Demokratisierung! – sogar unterstützt wird. Erst jetzt
sickert allmählich in der hiesigen Medienberichterstattung durch, dass westliche
Staaten die Rebellen mit Waffen unterstützen. Mit diesen Waffen wird nicht
wirklich die offizielle Armee bekämpft, die noch über ein großes Waffenarsenal
verfügt. In erster Linie werden schutzlose und unbewaffnete Zivilisten getötet.
Viele junge und ältere Menschen haben sich inzwischen dem Militär
angeschlossen, um Waffen zu erhalten und ihre Häuser vor den Rebellen zu
verteidigen. …
Was in Syrien passiert, ist für uns Syrer unfassbar.
Menschen werden von Rebellen getötet, entführt und gefoltert, von ihren
Wohnungen vertrieben, ihre Häuser werden ausgeraubt, sie werden erpresst,
Frauen vergewaltigt und Kinder missbraucht. Vielerorts werden Bombenanschläge
verübt, Massaker finden statt, Häuser werden nach Bombenanschlägen geplündert
und verwüstet. Ausländische Rebellen dringen im Namen des Islam in die Häuser
der Zivilisten ein mit der Begründung: Sie möchten das Land von der
Diktaturmacht befreien. Die Bewohner bekommen Angst und fliehen Hals über Kopf
in einen sicheren Ort. […] Wer gegen die sogenannte „Freie Armee“ der Rebellen
ist, wird kurzerhand von ihnen hingerichtet, enthauptet oder erschossen. Solche
Gräueltaten, die tagtäglich vorkommen, werden dann per Video von den Rebellen
selber aufgenommen und im Internet triumphierend präsentiert. …
Inzwischen ist die gesamt Infrastruktur im Land
zusammengebrochen. Viele Dörfer leben bereits seit Monaten ohne
Stromversorgung, ohne Heizung und Benzin, und ohne Internet- und
Telefonverbindung. Müllberge häufen sich auf den Straßen. Der Warentransport
wird durch die vielen Kontrollstellen erschwert: Das treibt unter anderem auch
die Lebensmittelkosten auf dem Markt in unerschwingliche Höhe. Wie können
Menschen, die ihr ganzes Hab und Gut und oft auch ihren Arbeitsplatz verloren
haben, diese Verteuerung aushalten? Tausende können nicht mehr zu ihren
zerstörten Häusern zurückkehren. Sie müssen sich irgendwo um eine neue
Unterkunft bemühen. Viele Menschen können sich auch keine einfache Miete mehr
leisten….
Solange ausländische Rebellen mit Waffennachschub über
die türkischen Grenzen in das Land eingeschleust werden, ist kein Ende dieser
tragischen Situation in Sicht. Die USA-Regierung hat selbst zugegeben, dass
sich etliche dieser Rebellen aus dem Terrornetzwerk Al-Qaida rekrutieren.
“Muslime in Syrien schützen Christen mehr als die
Christen im Westen“
Seit einigen Wochen merkt man offensichtlich, dass
Christen allmählich zur Zielscheibe der Rebellen werden. Kürzlich wurden
Mörsergranaten gezielt auf christliche Viertel in Damaskus abgefeuert. Das hat
viel Todesopfer gefordert. Viele Christen geraten in Panik, weil sie jetzt
ernsthaft bedroht werden. Oft werden sie entführt – mit hohen
Lösegeldforderungen. Wir Christen gewinnen allmählich den Eindruck, dass wir
von den Machtzentren westlicher Staaten ignoriert werden. Die westlichen
Regierungen unterstützen die Rebellen, um gewisse geopolitische und vor allem
wirtschaftliche Ziele zu erreichen, doch sie merken nicht, welchen Schaden sie
dadurch den Christen im Land antun. Ein Bischof aus dem Irak hat mir zu Beginn
der syrischen Krise sinngemäß gesagt: „Der amerikanischen Regierung und
Saudi-Arabien ist ein Fass Erdöl mehr wert als das Blut – sprich: das Leben –
eines Christen im Nahen Osten.“
Wenn wir heute von Christenverfolgung in Syrien sprechen
wollen, dann kommt diese Verfolgung eher aus dem Westen. Die Solidarität
zwischen einheimischen Muslime und Christen in Syrien hat sich durch den Krieg
eher verstärkt! Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Muslime in Syrien die
Christen mehr schützen als die Christen im Westen ihre syrischen Brüder und
Schwestern.
Quelle: CSI-Österreich, Ausgabe 3, April 2013“
Quelle: http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=858&Itemid=1
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